Luftwaffe bereitet sich vor
Erste Corona-"Kleeblatt-Flüge" wohl am Freitag: Das bedeutet das

25.11.2021 | Stand 21.09.2023, 6:25 Uhr

−Symbolbild: Julian Stratenschulte/dpa

Erstmals in der vierten Corona-Welle werden Dutzende Intensivpatienten bundesweit verlegt. Die Bundeswehr bereitet in Bayern einen Start von Luftwaffenflügen von Freitag an vor. Fragen und Antworten zu dem sogenannten Kleeblatt-System.



Auf dem Tisch liegen am Freitag nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur Planungen, die einen Lufttransport vom bayrischen Flughafen Memmingen nach Nordrhein-Westfalen vorsehen. Geplant ist eine Landung auf dem Flughafen Münster-Osnabrück.

Schnelle Transportkapazitäten mit Flugzeugen sollen eingesetzt werden, um Intensivpatienten bei einer regionalen Überlastung von Krankenhäusern in Regionen mit freien Kapazitäten fliegen zu können. Über die Details des Einsatzes der Luftwaffe soll erst am Freitag endgültig entschieden werden.

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Die Luftwaffe hält zwei Flugzeuge für den Hilfseinsatz bereit. Dazu gehört der Airbus A310 MedEvac, eine "fliegende Intensivstation" mit sechs dieser Behandlungsplätze, sowie eine umgerüstete Spezialmaschine, das Überwachungsflugzeug A319OH ("offener Himmel"). In dieses waren zwei Plätze zur Intensivbehandlung eingebaut worden. In Wunstorf (Niedersachsen) ist zudem ein A400M MedEvac stationiert.

Doch was ist das Kleeblatt-System eigentlich genau- und was bedeutet das für Patienten? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Wie funktioniert das Kleeblatt-System?

Das System wurde vor dem Hintergrund der ersten Corona-Welle 2020 eingeführt. Die Idee: Um Überforderungen bei einzelnen Krankenhäusern zu vermeiden, sollen innerhalb eines Kleeblatts, dem meist noch Nachbarbundesländer angehören, unkompliziert Patienten-Verlegungen möglich sein. Nach Angaben der Intensivmedizinervereinigung Divi passiert das schon seit Anfang Oktober in großer Zahl. Ist das innerhalb eines Kleeblatts nicht mehr möglich, sollen bundesweite Verlegungen möglich sein. Dafür muss das System politisch "aktiviert" werden. Dann wird zwischen Bund, Ländern und Experten des Robert Koch-Instituts koordiniert, welches Bundesland noch Kapazitäten hat, in welches Krankenhaus die Patienten bestenfalls sollen und welche Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Von wo nach wo wird nun verlegt?

Aktiviert wurde das System laut Divi durch das besonders von Corona betroffene Bayern sowie durch Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Berlin. Bayern bildet das Kleeblatt Süd, die anderen Länder bilden gemeinsam mit Sachsen-Anhalt das Kleeblatt Ost. Von dort sollen nun in den kommenden Tagen dutzende Patienten bundesweit verlegt werden - vornehmlich in Regionen, die weniger stark von der Corona-Pandemie betroffen sind.

Aus Bayern werden in den kommenden Tagen voraussichtlich 50 Corona-Intensivpatienten verlegt. Etwa zehn davon könnten allein aus München kommen. Betroffen seien vor allem der Südwesten und die Mitte des Freistaats. Aus Sachsen sollen 20 Patienten, vorzugsweise aus dem Krankenhaus-Cluster Chemnitz, verlegt werden. Berlin plante zunächst keine Verlegungen.

Wieso wurde die Aktivierung nötig?

In den betroffenen Kleeblättern sind die Intensivstationen in den vergangenen Wochen vollgelaufen. In Bayern, Berlin, Sachsen oder Sachsen-Anhalt war am Mittwoch weniger als jedes zehnte Intensivbett noch frei. In Bayern, Sachsen und Thüringen waren obendrein je rund ein Drittel der Betten mit Covid-19-Patienten belegt. "Es ist jetzt wirklich Alarmstufe Rot", sagte eine Sprecherin des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt, an das die Koordination des Kleeblatts Ost angedockt ist. Zwar seien in einigen Kreisen noch Intensivbetten frei hieß es aus Thüringen - diese müssten aber auch frei gehalten werden, um weiter Unfallpatienten versorgen zu können.

Wer ist von Verlegungen betroffen?

Von den ersten geplanten Verlegungen entfällt der Großteil auf Covid-19-Patienten, wie der Vorsitzenden des Arbeitskreises der Innenministerkonferenz für Feuerwehrangelegenheiten, Rettungswesen, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung, Hermann Schröder, mitteilte. Nur in Ausnahmefällen könnten Patienten mit anderen Erkrankungen verlegt werden. Generell sieht das Kleeblatt-Konzept laut einem Kriterienkatalog der Divi nur die Verlegung von Covid-Patienten vor. Die Patienten sollen auch in einem stabilen Zustand sein und nicht bereits länger an einer künstlichen Lunge liegen. Etwa schwer Erkrankte, die in Bauchlage beatmet würden, seien nicht transportfähig, sagte die Leiterin der Krankenhauskoordinierung in München, Viktoria Bogner-Flatz.

Wie läuft der Transport ab?

Angesichts der weiten Strecke müssen sich beispielsweise Thüringer Patienten wohl auf einen Transport per Helikopter einstellen, hieß es aus dem dortigen Gesundheitsministerium. Das sei aber vom Zustand der Patienten abhängig. Auch in Bayern werden am Freitag erste Transporte per Bundeswehr-Maschinen erwartet.

Nicht immer werde über den Luftweg verlegt, teilte eine Sprecherin des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit. Bei schlechtem Wetter könne auch ein Transport auf dem Land sinnvoll sein. Dafür gibt es speziell ausgestattete Intensivtransportwagen, die in der Regel nicht weiter aufgerüstet werden müssen. Werden irgendwo zusätzliche Transportkapazitäten benötigt, können die Länder das über das Gemeinsame Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ) abfragen.

Wie ist die Lage in den besonders betroffenen Regionen?

Mediziner und für die Verlegung Verantwortliche zeichnen ein alarmierendes Bild. "Manchmal haben wir in München nicht ein einziges Intensivbett frei. Wir telefonieren stundenlang, um Patienten unterzubringen, die eventuell noch im Schockraum liegen", sagte Bogner-Flatz. Schon jetzt würden Patienten früher als sonst von Intensiv- auf Normalstation verlegt und von dort früher nach Hause entlassen - mit allen damit verbundenen Risiken. "Wir haben aufgrund der Notlage Behandlungsstandards aufgeweicht und verlassen müssen - weil wir für manches die Ressourcen die wir bräuchten, nicht bereitstellen können", sagte Bogner-Flatz. "So eine Verlegung macht man nicht gerne als Intensivmediziner. Aber es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir das tun müssen - weil es noch schlimmer kommt."

− dpa