Ein zwölfjähriger Junge kommt am Morgen ins Wohnzimmer, weckt seine drogenabhängige Mutter, wischt ihr Erbrochenes auf und geht danach in die Schule. Was sich wie das erschreckende Schicksal eines Großstadtkindes liest, ist tatsächlich ein Fall aus dem Landkreis Passau. Sylvia Seider vom hiesigen Gesundheitsamt hat täglich mit solchen Fällen zu tun. Sie weiß: Sucht kann jeden treffen, Sucht taucht in allen Gesellschaftsschichten auf und bedeutet nicht automatisch den Konsum von Alkohol, Nikotin oder Marihuana.
Smartphonesucht ist ein zeitgenössisches Phänomen, das zwar der Fachmann nicht als Sucht bezeichnet, dennoch aber die meisten Kriterien dafür erfüllt. Zu diesen gehören laut Seider unter anderem ein unbezwingbares Verlangen nach dem Mittel, die Tendenz die Dosis zu steigern sowie die psychische und oft physische Abhängigkeit von der Wirkung.
Die Zahl der Menschen, die sich an die Beratungsstelle im Landkreis Passau wenden, ist in den letzten Jahren etwa gleich geblieben. Im Jahr 2017 waren es 350 Menschen – bei etwa 240000 Einwohnern in Stadt und Landkreis. "Das ist wenig, ja. Bei Süchtigen gibt es leider lange keine Krankheitseinsicht", erklärt Seider. So würden sich viele selbst als nicht krank wahrnehmen. "Seit 1963 ist die Sucht zwar offiziell als Krankheit anerkannt, das Thema ist dennoch stark moralisch aufgeladen." Immer noch ein Tabuthema, ähnlich wie die Depression. "Ein Outing fällt den Betroffenen sehr schwer", weiß Seider.
Nach wie vor ist Alkohol das am häufigsten missbrauchte Suchtmittel – auch im Landkreis. "Die Stoffe, die legal verfügbar sind, fordern die meisten Opfer. Das ist nichts Neues." Hinzu komme, dass Alkohol bezahlbar und gerade in Bayern zur Kultur zu gehören scheint und eine große Akzeptanz genießt. Bei Alkohol gehe man davon aus, dass zehn Prozent der Bevölkerung ein Abhängigkeitsproblem hat. Die Zahlen sind laut Sylvia Seider eher eine Unter- als eine Überschätzung.
"Klar ist: Sucht ist überall in Deutschland ein Thema. Und das schon immer. Auch der Landkreis Passau ist keine Insel der Glückseligkeit", sagt Seider.
BRAUCHEN SIE HILFE? 0851/397 800 oder aber E-Mail an: gesundheitsamt@landkreis-passau.de
Weitere Fälle aus dem Landkreis, wie den Betroffenen geholfen werden kann und wie es um den Zigarettenkonsum bestellt ist, lesen Sie in der Donnerstagsausgabe (22. Februar) der Passauer Neuen Presse.
Suchtberaterin Sylvia Seider vom Gesundheitsamt − Foto: enz
