Die Frau an Hitlers Seite

Historikerin Heike Görtemaker über Eva Brauns Leben am Obersalzberg – Loyal bis in den Tod

03.06.2021 | Stand 19.09.2023, 22:17 Uhr

Ein Bild aus dem Bundesarchiv, datiert auf den 14. Juni 1942: Eva Braun und Adolf Hitler auf dem sommerlichen Berghof am Obersalzberg mit zwei Hunden. −Foto: BArch, Bild-F051673-0059/o.Ang /CC-BY-SA 3.0

Berchtesgaden. Nach Kriegsende galt sie als dümmliche Blondine an der Seite eines Massenmörders: als der "blasse Schatten des Führers", sagt Historikerin Heike Görtemaker über Eva Braun. Doch wer war die Frau, die mit Adolf Hitler viel Zeit auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden verbrachte und ihn kurz vor seinem Selbstmord im Luftschutzbunker der Reichskanzlei in Berlin heiratete? Eine veröffentlichte Spiegel-TV-Doku über das Leben Eva Brauns erreichte auf YouTube Hunderttausende Klicks. Görtemaker hat zwei Bücher über die Frau an Hitlers Seite und dessen "Hofstaat", den inneren Kreis, geschrieben. Ein Gespräch.

"In der Erinnerungsliteratur über die NS-Zeit erscheinen fast alle Frauen der führenden Nationalsozialisten als unwichtig", sagt Heike Görtemaker. Das trifft auch auf Eva Braun zu. Über sie existieren nur wenige Quellen. Sie selbst hat kaum etwas hinterlassen. Ein Tagebuchfragment ist wissenschaftlich umstritten. Allgemein galt sie lange als unpolitisch und gänzlich unbedeutend – als bloße "Dekoration" auf dem Obersalzberg.

Ein Mann ohne Privatleben und menschliche Bindung

In den Memoiren des Hitler-Vertrauten Albert Speer, der zum Kronzeugen des Dritten Reiches stilisiert wurde, erscheint Eva Braun lediglich als eine Randfigur an der Seite eines übermächtigen Diktators. Historiker machten sich diese Sichtweise zu eigen. In Hitler-Biografien blieb Eva Braun deshalb immer unscharf – ebenso wie alle anderen Frauen im Kreis um Hitler.

Tatsächlich durfte die 1912 geborene Braun, deren Eltern in Ruhpolding begraben sind, in der Öffentlichkeit nicht an der Seite Hitlers auftreten. In der Propaganda wurde er immer nur als einsamer Führer gezeigt, der kein Privatleben hatte und ausschließlich für seine politische Arbeit, für das "deutsche Volk" lebte. Nach dem Untergang des NS-Staates existierte dieser Mythos auf andere Weise fort. Jetzt wurde Hitler als "Unperson" dargestellt, der angeblich keine menschlichen Regungen und Bindungen gehabt habe, sagt Görtemaker.

Eva Braun war eine von drei Töchtern eines Münchner Berufsschullehrers aus Schwabing. Nach dem Schulabschluss in München und anschließender Ausbildung an der Kloster-Handelsschule in Simbach am Inn erhielt sie eine Stelle als Fotolaborantin bei Heinrich Hoffmann, dem engen Freund und persönlichen Fotografen Hitlers, der selber ein Nationalsozialist der ersten Stunde war. Im Atelier Hoffmanns lernte sie 1929 mit damals 17 Jahren den 23 Jahre älteren Adolf Hitler kennen, "ein ältlicher Junggeselle, der verklemmt wirkte", sagt Görtemaker.

Die Beziehung ist rückblickend undurchsichtig. Weder von Hitler noch von Braun gibt es Aufzeichnungen, die Aufschluss über das Wesen ihrer Beziehung geben. Seine Privatkorrespondenz ließ Hitler vor seinem Tod vernichten, nur in den Testamenten des Diktators wird Eva Braun erwähnt. Diese bat in einem letzten Brief ihre Schwester, alle Schreiben des "Führers" an sie und ihre Antwortentwürfe an ihn wasserdicht zu verpacken und – wenn nötig – zu vergraben, sagt Heike Görtemaker. "Etliche Historiker haben sich daran abgearbeitet, die Briefe Hitlers an seine Freundin zu finden", so die 57-jährige NS-Expertin. "Bisher vergeblich."

Eva Braun sei im Laufe der Jahre an der Seite von Hitler immer wichtiger geworden. Spätestens als dieser sich nach seiner Ernennung zum Reichskanzler 1933 immer wieder vor wichtigen Entscheidungen auf den Obersalzberg zurückzog, habe ihre Bedeutung in seinem engsten sozialen Zirkel zugenommen. Auf Parteitagen der NSDAP sitzt sie mit anderen Frauen der NS-Elite auf der Ehrentribüne. Fotos der Berghof-Gesellschaft, die an Wochenenden und Feiertagen auf dem Obersalzberg zusammenkam, zeigen Eva Braun auf der Terrasse im Pelzmantel, umgeben von den anderen Männern und Frauen. "Jene, die Hitlers Nähe suchten, hofierten sie", sagt Heike Görtemaker, die der jungen Frau eine "Machtposition im privaten Kreis" attestiert. Eine persönliche Annäherung an Hitler sei nicht zuletzt auch über sie gelaufen.

Mit den Jahren entwickelte sich Eva Braun, die bekanntlich als Fotolaborantin begonnen hatte, selbst zu einer passionierten Fotografin, die auf dem Obersalzberg oftmals den Fotoapparat oder eine Filmkamera zur Hand nahm und ihren früheren Chef Heinrich Hoffmann mit Filmen und Bildern vom Berghof belieferte. Dafür wurde sie von ihm reichlich entlohnt. Allein für eine Fotoarbeit soll sie, wie Hoffmann nach Kriegsende vor Gericht aussagte, 20000 Reichsmark erhalten haben.

Privatleben, Politik und Geschäfte seien in Hitlers Umfeld untrennbar miteinander verknüpft gewesen, sagt Heike Görtemaker. Auf Brauns Fotos wird Hitler als Kinder liebender, fürsorglicher Familienmensch inszeniert. "Sie war daran beteiligt, am Bild des Führers mitzustricken", weiß die Historikern, die in Kleinmachnow lebt. Braun war somit Teil der Propagandamaschinerie und nicht lediglich Teil einer privaten Scheinidylle in der Alpenresidenz, wie es bisher immer wieder hieß. "Alle in Hitlers engstem Kreis waren nicht nur Zeugen, sondern auch Überzeugte der NS-Ideologie."

Vom Teehaus am Mooslahnerkopf am Obersalzberg existieren private Bilder, die Eva Braun in nächster Nähe zu Hitler zeigen. "Privatfotos, auf denen sich die beiden umarmen, gibt es aber nicht", sagt Görtemaker. Was hinter verschlossenen Türen stattfand, ob sie auch eine sexuelle Beziehung pflegten, all das bleibt bis heute ungeklärt. Während des Krieges wuchs die Bedeutung Eva Brauns immer weiter. "Sie unterstützte Hitler bis zum Ende des Krieges in seiner Selbsttäuschung, diesen noch gewinnen zu können." Als der von den Nationalsozialisten begonnene rassische Vernichtungskrieg bereits verloren war, zog sich Hitler auf den Obersalzberg zurück, verbrachte dort von Februar bis Juli 1944 fast fünf Monate am Stück. Im Oktober 1944, nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli, machte Eva Braun ihr Testament. Ihr Entschluss, zu sterben, wenn Hitler stirbt, war lange gefallen. "Eine Welt nach dem Nationalsozialismus war für sie ebenso unvorstellbar wie für Magda Goebbels", sagt Heike Görtemaker.

Wer zuerst starb, war nicht mehr festzustellen

Während sich jahrelange Wegbegleiter aus dem Staub machten, blieb Eva Braun loyal und erwartete auch von anderen Treue bis in den Tod. Hitler dankte es ihr, indem er sie ehelichte, einen Tag vor ihrer beider Tod am 30. April 1945. Als sie auf eine Blausäurekapsel biss und Hitler sich neben ihr im Luftschutzbunker der Reichskanzlei erschoss, war Braun 33 Jahre alt. Die Leichen wurden mit Benzin übergossen und verbrannt, damit sie nicht in die Hände des Feindes fielen.

Erst 1956, nach einem vier Jahre dauernden Verfahren, stellte das Amtsgericht Berchtesgaden den Tod der beiden offiziell fest. "Wer zuerst starb, ließ sich nicht mehr klären", sagt Heike Görtemaker. Das Gericht bestimmte schließlich, dass Eva Braun zuerst den Tod fand. Andernfalls hätte es zum Streit um das Erbe des Massenmörders kommen können.