Fischer Museum in Neumarkt/Oberpfalz
Die Eischs erfanden den Künstler, der nie lebte

22.11.2021 | Stand 21.09.2023, 5:53 Uhr

Sie erweiterten den Kunstbegriff: Gretel Eisch (damals Stadler), Max Strack und Erwin Eisch; rechts ein Zeitungsreporter. −Foto: Kurt Huhle

Auf eine spannende Zeitreise schickt das Lothar Fischer Museum in Neumarkt seine Besucher. In Werken, Bild, Texten, Artikeln, nachgestellten Wohn- und Ausstellungsarrangements und Installationen ist ein vogelwilder Skandal und das künstlerische Wirken des Malers und Glaskünstlers Erwin Eisch (geboren 1927), der Bildhauerin Gretel Eisch (1937) und des Bildhauers Max Strack (1934) nachzuerleben. Im November wurde das Künstlerpaar Eisch, das in Frauenau im Landkreis Regen lebt und arbeitet, mit dem Kulturpreis Bayern ausgezeichnet.

1959 hatten sich die drei, Gretel Eisch hieß damals noch Stadler, zur Gruppe "Radama", einer Abspaltung der Gruppe "Spur", zusammengeschlossen. 1961 präsentierte das Trio in der Galerie Malura in München eine aufwendige Gedächtnisausstellung für den zu Tode gekommenen Künstlerkollegen Bolus Krim – und hatte damit der Kunstwelt und den Kritikern ein gehöriges Schnippchen geschlagen. Bolus Krim hat nie gelebt.

Heutzutage würden sie für einen solchen Fake, für eine solche Täuschung, für das gelungen Spiel zwischen Fiktion und Realität gefeiert. Doch damals? Gab es nicht nur Begeisterung. Die einen ließen sich von der perfekten Inszenierung täuschen. Andere, ganz vorneweg eine BR-Kritikerin, entlarvten die Maskerade und die Kunstfigur – und verstanden keinen Spaß und damit auch nicht die innovative und zukunftsweisende Idee dahinter. Susanne Carwin unterstellte den Künstlern, sie hätten, um ihre eigenen Werke besser verkaufen zu können, auf das schlechte Gewissen der Deutschen spekuliert, weil Bolus Krim ein schweres Schicksal im Nationalsozialismus hatte.

Zahlreiche Artikel in nationalen und internationalen Zeitungen berichteten über den Skandal, mal kritisch, empört, mal amüsiert über den "Jokus mit Bolus". Anerkennung kam aus Frankreich von der Gruppe der Situationistischen Internationalen, deren Ziel es auch war, ästhetische Konzepte auf eine freie Gesellschaft zu übertragen.

Das Lothar Fischer Museum, seit Sommer 2019 im Besitz zahlreicher Werke, Dokumente und Unterlagen der Gruppe, die sich 1962 auflöste, hat nun die legendäre Bolus-Krim-Gedächtnisausstellung, die pompöse Trauerinszenierung, aber auch die nachfolgende Ausstellung, "Kunst und Wohnraum", nachgestellt. Mit schwebenden Möbeln, Kunstwerken, Originalstücken, Gebrauchsgegenständen, die sich auf großen Fotos von damals im Ausstellungsraum wiederfinden. Die perfekte Illusion! Und die Presseschau von damals – von der "Zürcher Zeitung" bis zur "Bild am Sonntag" – ist eine wahre Freude.

Erwin Eisch, Gretel Eisch und Max Strack ging es um eine Erweiterung des Kunstbegriffs, ums Infragestellen konventioneller Bedeutung von Kunst, um Klischees und neue Zusammenhänge, um die Integration von Kunst in das alltägliche Leben. Die umfassende Ausstellung, die die Gruppe auch im historischen Kontext der Kunst der 60er Jahre würdigt, zeigt neben dem konzeptuellen Ansatz auch die große Vielfalt ihrer künstlerischen Ausdruckskraft. Gretel Eischs beeindruckende Keramik-, Holz- und Bronzearbeiten, die modernen Glasobjekte und expressiven Gemälde von Erwin Eisch sowie die hintersinnigen Skulpturen von Max Strack.

Vor wenigen Wochen wurden das Künstlerehepaar Gretel und Erwin Eisch mit dem Kulturpreis Bayern ausgezeichnet: für "ihr Engagement, ihr Wirken und ihre Begeisterung für Kunst, Kultur und Wissenschaft, mit der sie unsere Gesellschaft bereichern". Und das, wie man in Neumarkt erleben kann, seit Jahrzehnten. Integrierend und auch international bedeutsam – ausgehend von den ereignisreichen und wegweisenden Zeiten von "Radama".

Katrin Fehr



Bis 30. Januar, Museum Lothar Fischer in Neumarkt in der Oberpfalz, Weiherstraße 7A, Mi. bis Fr. 14 bis 17 Uhr, Sa und So von 11 bis 17 Uhr. Info auf www.museum- lothar-fischer.de

Katalog zum Kunst-"Skandal"

Es war im Januar 1961, als die Münchner Künstlergruppe Radama zum Topthema in den Feuilletons wurde und Magazine wie "Stern" dem Thema mehrere Seiten widmeten. Erwin Eisch, Gretel Stadler und Max Strack hatten in Schwabing ihrem angeblichen Vierten im Bunde eine Ausstellung und Gedenkfeier gewidmet. Doch dieser Bolus Krim hat nie existiert. Journalistin Susanne Carwin unterstellte der Gruppe in einem tribunalartigen TV-Interview, das im Museum Lothar Fischer in Neumarkt in der Oberpfalz zu sehen ist, und einem Artikel, betrügerische Absichten.

Die ganze Geschichte der Ausstellung und der Personen dahinter erzählt der Katalog "Gruppe Radama – Erwin Eisch, Gretel Stadler, Max Strack. 1959-1962", herausgegeben von von Margrit Brehm und Pia Dornacher, Leiterin des Lothar Fischer Museums, mit Beiträgen der Herausgeberinnen sowie von Erwin Eisch und Selima Niggl.

Erschienen in der Edition Metzel, 160 S., 25 Euro