Der Barbier von Pfarrkirchen

Wie Schemdin Abdul Aziz (20) seine Kunden im "Gentlemen’s Barbershop" zufrieden stellt

11.08.2018 | Stand 21.09.2023, 5:54 Uhr

Ruhig und mit sicherer Hand führt Schemdin Abdul Aziz das Rasiermesser – sehr zum Gefallen von Josef Hochwimmer, der sich danach begeistert zeigt. − Fotos: Huber

Pfarrkirchen. Er ist schon etwas sehr Besonderes, dieser "Gentlemen’s Barbershop" in der Lindnerstraße: Stylische Einrichtung und ein junger Barbier, der seinen und den Traum aller Bärte leben lässt. Hier dreht sich alles um Männer. Mit viel Geschick und großer Motivation werden Bart und Haupthaar der Kunden zu Bestform getrimmt, geschnitten und frisiert. Der Erfolg gibt dem Betreiber recht.

Sanft gleitet das scharfe Rasiermesser über das schaumbedeckte Kinn von Josef Hochwimmer. Der Pfarrkirchner entspannt sich im Lederstuhl, schließt die Augen. Zug um Zug entfernt Schemdin Abdul Aziz die Stopeln – ruhig, akkurat und mit sicherer Hand. Der 20-Jährige ist schließlich ein Meister seines Fachs, hat das Handwerk von der Pike auf gelernt.

Alles beginnt in Kamisli, einer Stadt im kurdischen Norden Syriens, wo Schemdins Vater einen Barbershop besitzt. In dem wächst er quasi auf, verfolgt täglich aufmerksam, wie sein Vater die Klinge führt – und hat sein Vorbild gefunden. Zunächst darf der Bub aber nur die Haare zusammenkehren und die Spiegel putzen, doch als er elf Jahre alt wird, drückt ihm der Vater das Rasiermesser in die Hand: "Mach mal."
Also darf sich Schemdin an einem Freund seines Vaters versuchen. "Ich war so aufgeregt, meine Hände zitterten", erinnert er sich. Prompt verpasst er seinem ersten Kunden einen blutenden Schnitt. Sein Vater "belohnt" ihn mit einem kräftigen Klaps auf den Hinterkopf, verbunden mit der klaren Ansage: "Das passiert dir nie mehr." Von da an nimmt er den Filius unter seine Fittiche, lehrt ihm alle Feinheiten und Kniffe, die ein guter Barbier benötigt.

Was Schemdin damals lernt, hat sich eingebrannt: "Man muss den Kopf frei haben, braucht eine ruhige Hand und viel Gefühl, vor allem aber muss man vor den Kunden immer Respekt haben." So gerüstet, scheint seine Zukunft vorbestimmt: Irgendwann den Laden des Vaters übernehmen, ein Leben als Barbier in Kamisli.

Doch alles kommt ganz anders, denn in dem vom Krieg gebeutelten Syrien gibt es nur sehr selten ein rosiges Morgen. Im Alter von 17 Jahren flattert der Einberufungsbefehl für die syrische Armee ins Haus. "Ich war entsetzt, wollte auf keinen Fall gegen das eigene Volk kämpfen, auf meine Brüder und Cousins schießen." Schemdin weiß, wenn er das Gewehr in die Hand nimmt, verliert er seine Familie. Also entscheidet er sich mit Einverständnis des Vaters zur Flucht nach Deutschland: "Ich wählte die Freiheit."

Ehe Schemdin sein Ziel erreicht, muss er einen abenteuerlichen Weg zurücklegen. Doch er schafft es, findet später Arbeit in einem Friseursalon in Pfarrkirchen und hinterlässt ob seiner Qualitäten schnell bleibenden Eindruck. So wird auch der aus der Türkei stammende Ismail "Isi" Cindilkaya auf ihn aufmerksam und weiß sofort: "Ich will etwas zusammen mit ihm machen."

Der 38-Jährige, der seit dreieinhalb Jahren in der Lindnerstraße das Lokal "Charisma" betreibt, geht schon länger mit der Idee schwanger, in der Kreisstadt einen Barbershop zu eröffnen. Denn wie viele seiner Bekannten will er nicht länger nach Passau fahren, um seinen Bart auf orientalische Weise trimmen zu lassen. Er sieht eine Marktlücke. Nun hat Isi, der das Barbier-Handwerk nicht beherrscht, den entscheidenden Mann gefunden: "Schemdin ist meine Nummer 1."

Vor wenigen Wochen hat Isi seinen "Gentlemen’s Barbershop" in der Lindnerstraße aufgemacht – und die Kunden kommen in Scharen. Sie genießen Gesichtspflege samt Massage und Peeling, lassen sich Bärte trimmen oder Haare schneiden. Wichtig in dieser Männerwelt ist eines, so Isi: "Ruhe und ein gemütlicher Ratsch, das Chaos des Alltags soll draußen bleiben." Und dazu trägt die stylische Einrichtung bei, die er extra aus Istanbul anliefern hat lassen.

Schemdin hat sein Werk beendet. Josef Hochwimmer fährt sich über die glattrasierte Haut. "Ich war das erste Mal hier und bin begeistert." Jetzt fährt er zufrieden in den Urlaub.