Erster Kinofilm nach dem Lockdown
Der Anti-Eberhofer: "Weißbier im Blut" mit Sigi Zimmerschied

08.06.2021 | Stand 22.09.2023, 3:29 Uhr

Unrasiert, besoffen, fertig mit der Welt und voller Mitleid für die Täter: Der Passauer Schauspieler und Kabarettist Sigi Zimmerschied hat in Kommissar Kreuzeder eine Prachtrolle gefunden. Brigitte Hobmeier spielt seine leicht überforderte Polizeipsychologin. −Foto: Tobis Film

Am 1. Juli wollen die meisten Kinos wieder öffnen, ab 5. August soll der siebte Eberhofer-Krimi "Kaiserschmarrndrama" die Besucher zurückholen. Der erste Kinofilm nach dem Lockdown aber ist ein anderer.

Zum Interview mit Sigi Zimmerschied gelangen Sie hier.

Angenommen – also rein theoretisch – der Kommissar Kreuzeder höchstpersönlich würde mal einen Menschen abmurksen, niemand könnte es ihm beweisen. Gewiss nicht. "Wenn i jemanden umbring’, dann ist des a perfekter Mord." Klingt seltsam aus dem Mund eines Ermittlers? Das findet auch Kreuzeders Vorgesetzter und schickt ihn zur Polizeipsychologin. Mit miserablem Erfolg.



"Weißbier im Blut" von Autor und Regisseur Jörg Graser feiert schon am 10. Juni seine Open-Air-Premiere auf dem Passauer Domplatz. In der Hauptrolle: der Passauer Schauspieler und Kabarettist Sigi Zimmerschied in seiner "Lebensrolle" als Kommissar Kreuzeder, der sich per Dauerrausch in den Vorruhestand saufen will und höchst widerwillig in einem Mord ermittelt, dessen Tatwaffe der Mähdrescher ist.

An seiner Seite spielen sein Neffe David Zimmerschied als Polizist, seine Passauer Kabarett-Kollegin Barbara Dorsch als Witwe, Gerhard Wittmann als Pfarrer, Luise Kinseher als Wirtin und Brigitte Hobmeier als Polizeipsychologin, die im Kreuzeder unverhofft ihren Meister findet.

Beste, bitterste Satire, verkleidet als Krimi

"Weißbier im Blut" – seit gut zehn Jahren bekannt durch vier Deutschlandradio-Hörspiele und Jörg Grasers Roman im Langen-Müller-Verlag – ist eine Art Anti-Eberhofer: schwermütig, philosophisch, weit weniger gefallsüchtig. Der Film ist bayerisches Autorenkino, das seinen Humor nicht durch comichafte Überzeichnung, sondern durch den lakonisch-brutalen Blick in den menschlichen Abgrund bezieht: "Was bringt des, wenn i eam a Messer reinhau?", erkundigt sich kühl die Wirtin beim Kreuzeder über das Strafmaß für Mord und Totschlag. 20 Jahre Knast, meint der, vielleicht auch nur acht, wenn sie davor genug gesoffen habe. Im deutschen Rechtssystem werde "kulturbedingt der Vollrausch honoriert." Das ist beste, bitterste Satire, verkleidet als Krimi.

Der Film besticht durch demonstrative Langsamkeit und Mut zur Hässlichkeit. Jeder Postkartenblick auf den Passauer Dom wird wettgemacht mit abgestandenen, verregneten Farben, mit stumpfen Resopaltischplatten im Wirtshaus-Halbdunkel, mit knöcheltiefem Dreck auf jenem hoch verschuldeten Bauernhof, wo der Sparkassenmitarbeiter als "Roulade" im Mähdrescher endet.

Drehorte in der Region

Gedreht wurde unter anderem im Gasthaus "Zum Amthof" in Kirchberg im Wald in Landkreis Regen sowie in Frauenau, wo der Autor Jörg Graser daheim ist. Und auf einem Hof in Falkenberg im Rottal – "diese Melancholie und Endzeitstimmung kann man wahrscheinlich nirgends besser einfangen", beschreibt Sigi Zimmerschied den Charme des Drehorts. Die Bläser-Maultrommel-Zither-Musik von Stofferl Well macht die antitouristische Atmosphäre komplett.

Als Ermittler ist Sigi Zimmerschied omnipräsent in bayerischen Krimis, "Weißbier im Blut" ist sein Meisterstück. Hier wird die Polizisten-Karikatur zum Menschen. Am bemerkenswertesten: Zimmerschied trägt den Film, indem er seine machtvolle Präsenz und sein ironisches Spiel von der Kabarettbühne vor die Kamera bringt, zugleich nimmt er sich darstellerisch derart zurück, dass der Kreuzeder, den Autor Jörg Graser ihm auf den Leib geschrieben hat, keinen Funken "kabarettistisch" wirkt.

Ab 1. Juli in wiedereröffneten Kinos

Die Satire entsteht vielmehr im Zusammenspiel mit den ihn begehrenden Frauenfiguren: "Sie ham sich doch heut Nacht an mir betätigt, oder nicht?", sagt Luise Kinseher als köstlich subtile Wirtin Gerda zum Kommissar, der sich wie immer an nichts erinnert. "Ich hab hier einen Fall, der mich ausnahmsweise interessiert", konstatiert Münchner-Kammerspiele-Star Brigitte Hobmeier als Psychologin Carmen März.

Was dem Film seine besondere Würze gibt, sind die ihm zugrundeliegenden Fragen von Theologie und Moralphilosophie. Denn dass der Kreuzeder vom besten Ermittler Bayerns zur miesesten mit "Aufklärungsquote 0" geworden ist, das liegt daran, dass er die Menschen zu gut kennengelernt hat. "Die meisten Mördern, mit denen ich zu tun hab’, sind geplagt – von Habgier, Sexualdrang, Dummheit", sagt er. "Die meisten Mörder san arme Säu." Und hat nicht Jesus dem Verbrecher neben ihm am Kreuz verziehen, aus Barmherzigkeit? Wer so was dem Pfarrer erzählt, muss mit Unverständnis rechnen. Wer es dem Vorgesetzten erzählt, wird vom Dienst suspendiert. Aber das war ja von Anfang an Keuzeders Begehr.

Der Film dauert 97 Minuten, ist frei ab zwölf Jahren und läuft ab 1. Juli in wiedereröffneten Kinos. Die Open-Air-Premiere in Passau auf dem Domplatz am Donnerstag, 10. Juni, um 21.15 Uhr, ist ausverkauft.