Orchester, E-Gitarre, Schlagzeug
Das Kreuz mit der Moderne: Festival Passauer Saiten eröffnet

19.09.2022 | Stand 20.09.2023, 0:30 Uhr

Feiern die Solistin und Festivalleiterin Yvonne Zehner: Komponist Agustín Castilla-Ávila (links) und Dirigent Wladimir Rosinskij. Er brachte sein Kammerorchester aus Spanien mit nach Passau. −Foto: Toni Scholz

Das klingt nach Spektakel, nach Jugend, nach Frische und Mut: Das Festival Passauer Saiten hat die 14. Spielzeit am Samstag im Gotischen Langhaus des Klosters Niedernburg nicht nur mit Gitarren eröffnet, sondern zudem mit einem Streichorchester, mit E-Bratsche, E-Gitarre und Schlagzeug wie in einer Rockband.

Musikpreis der Konzerthaus-Stiftung

"Interessant" ist oft das größte Kompliment für zeitgenössische Musik seitens des Publikums – das wollen die Gründer und künstlerischen Leiter Yvonne Zehner und Jürgen Schwenkglenks an diesem Eröffnungsabend offensichtlich ändern. Für ihre Verdienste ums Musikleben der Region wurden beide im Konzert mit dem Volker-Mangold-Musikpreis der Stiftung und Bürgerinitiative für ein Konzerthaus in Passau geehrt.

Der ganz große Brückenschlag steht auf dem Programm: Traditionelle Barockmusik und Werke zweier lebender und in Passau anwesender Komponisten in sehr unkonventioneller Besetzung.

Die Tradition vertritt Antonio Vivaldi. Yvonne Zehner gesellt sich mit der Gitarre zum Kammerorchester Camerata OSG, das 2013 vom aus Sibiren stammenden Wladimir Rosinskij in Spanien gegründet wurde. Dem Dirigenten und seinem Ensemble gelingt ein lebendig-gefälliges Konzert für zwei Violinen (Frank Stadler und Ludwig Dürichen) und Orchester, doch gerät in der Gewölbeakustik der Klang der modernen Instrumente reichlich schneidend. Im Konzert für Gitarre und Orchester finden dieses und Solistin Yvonne Zehner zu einem feinen, filigranen Musizieren. Gerade der Zwiegesang der Gitarre mit der Sologeige im wiegenden Largo wird zu einem Höhepunkt. Großer Applaus ist der Dank des Publikums.

Im grellen Kontrakt zu dieser italienischen Leichtigkeit stehen die beiden zeitgenössischen Werke des Abends, wobei das vermeintlich konservativere den tieferen Eindruck hinterlässt. Die Uraufführung des spanischen Komponist Agustín Castilla-Ávila mit dem Titel "Quest’altro splendor che ti si mostra" für Gitarre, Orchester, Vibrafon und Marimba überrascht mit diversen Funktons- und Rollenwechseln zwischen Ensemble und Solistin wie mit experimentellen Spieltechniken. Yvonne Zehner greift mit der linken Hand einen Akkord, vollführt mit der Rechten ein Tapping und ein Tremolo auf dem Gitarenhals. Wie von fern tragen die Streicher Liegetöne, Harmonien, Dissonanzen in diesen Klang hinein, spannen Flächen auf, tupfen Pizzicati, klopfen Perkussion aufs Griffbrett und den Holzkorpus. Das Vibrafon setzt Sphärentöne darüber, die Marimba mit ihrem erdverbundenen Klang eine dramatisch aufsteigende Linie. Dicht, düster und mystisch ist die Atmosphäre, die Agustín Castilla-Ávila hier malt, um sich dann von der Kontemplation chromatisch aufzuschwingen zum heftigen Brausen, das in Glissandi wieder herniederstützt. Solistin Zehner verleiht dem Werk ihren typischen prägnanten Zugriff, zugleich fordert der Komponist mit Erfolg die sensible Poetin in ihr heraus. Auch wenn der Uraufführung noch etwas Verhaltenes, Übervorsichtiges anhaftet: großer Applaus für für Musiker und den Schöpfer des gehaltvollen Werks, der in der ersten Reihe gebannt zugehört und die Aufführung eigenhändig auf Video aufgezeichnet hat.

Dagegen gerät das Werk des Orchesterleiters Wladimir Rosinskij, "Fluvius conscientia II" zum überhitzten Kuddelmuddel, in dem nur schwerlich Struktur und Halt zu finden ist. Aufs überragende Violinsolo von Frank Stadler folgen E-Bratsche und alles überlagernde verzerrte E-Gitarre. Und wenn du denkst, mehr Krach geht nicht, kommt das scheppernde Schlagzeugsolo. Das ist wild und kühn und genügt sich selbst. Ein stringentes, notwendiges Ganzes wird nicht draus. Wenn heutige Musik nicht den Weg zum Hörer findet, liegt das nicht immer am Hörer. So war es mal wieder: interessant.

Raimund Meisenberger

Das Festival läuft bis 25. September, Info auf passauer-saiten.de