PNP-Interview
CDU-Außenpolitiker Hardt: "Von Russland ausgehende Unsicherheit belastet gedeihliches Zusammenleben in Europa"

12.01.2022 | Stand 21.09.2023, 2:06 Uhr

−Archivbild: dpa

"Die von Russland ausgehende Unsicherheit belastet das gedeihliche Zusammenleben in Europa", beklagt Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Er nennt es nicht hinnehmbar, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Nato vor eine weiteren Osterweiterung und Ausdehnung in seiner Nachbarschaft warnt. "Die Vorstellung, dass große Mächte das Recht haben, die Politik ihrer Nachbarn zu bestimmen, ist eine aus der Vergangenheit und hat zu zwei Weltkriegen geführt. In eine solche Haltung dürfen wir keinesfalls wieder zurückfallen", sagte Hardt im Interview der Passauer Neuen Presse. Die europäische Friedensordnung, die in der Charta von Paris vom November 1990 fixiert ist, trage auch die Unterschrift des Generalsekretärs der KPdSU. "Sie gilt damit auch für Russland, das in der Rechtsnachfolge der Sowjetunion steht. Der einzige, der dieses Vertragswerk in der Vergangenheit verletzt hat, ist Putin mit seinem Krim-Einmarsch und der Unterstützung Rebellen in der Ostukraine", betonte der Außenpolitik-Experte .

Wunsch nach "klarer und stärkerer europäischer Rolle in zentralen Sicherheitsfragen"

Kein gutes Signal sei es, wenn Russland und die USA ohne Europa über das Ukraine-Problem verhandeln. Zwar sei es gut, so Hardt, dass die Amerikaner auf den Gesprächswunsch der Russen eingegangen seien. "Allerdings hätte ich mir eine klarere und stärkere europäische Rolle in diesen zentralen Sicherheitsfragen für unseren Kontinent gewünscht", sagte der CDU-Politiker. Begründet liege dies "in der relativen Handlungsunfähigkeit der europäischen Außenpolitik, wo die geforderte Einstimmigkeit oft der Bremser ist".

Hardt beklagt: In der Ampel-Koalition gebe es immer noch Wunschdenken vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Russland

Hardt rät der deutschen Außenpolitik, "sorgsam zu unterscheiden zwischen dem russischen Volk und der Machtelite um Putin". In der deutschen Politik müsse mehr Nüchternheit gegenüber Putin und seiner Politik greifen. "Wir können uns nicht vom Wunschdenken einer guten, engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der russischen Regierung leiten lassen. Und das gibt es nach wie vor in Teilen der Ampel-Koalition", beklagte Hardt: "Die Wahrheit ist: Russland entfernt sich immer mehr von gemeinsamen sicherheitspolitischen Position in Europa und Verträgen dazu." Deutschland sollte Moskau signalisieren, dass seine Politik gegenüber mittel- und osteuropäischen Staaten die Wirtschaftsbeziehungen miteinander, auch die zwischen Russland und der EU, belaste.

Beistand für Kasachstan könnte Signal Putins an eigene Reihen sein

Um den militärischen Beistand Putins für das Regime in Kasachstan zu bewerten, wisse man nach Ansicht Hardts noch zu wenig. "Auf den ersten Blick erscheint die Entsendung russischer Truppen dorthin auf Ersuchen des amtierenden Präsidenten Toqajew völkerrechtlich nicht zu beanstanden zu sein", sagte er: "Ich kann mir aber schon vorstellen, dass Putin mit seinem Handeln auch das Signal an die eigenen Reihen senden wollte, dass Aktivitäten von Kräften, die ein anderes Russland wollen, nicht hingenommen und mit allen Mitteln beantwortet werden."

Das Interview im Wortlaut:

Erleben wir momentan eine wachsende Militarisierung der russischen Außenpolitik?
Jürgen Hardt: Wir haben nach wie vor rund 100 000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze. Bis heute wissen wir nicht, was für eine Absicht sich dahinter verbirgt. Auch das russische Eingreifen in Kasachstan mit rund 3000 Soldaten deutet darauf hin, dass Putin seine Militärmacht entschlossen zu nutzen sucht. Das ist beunruhigend, wo wir doch eigentlich eine militärische Deeskalation in Europa anstreben.

Zielt Putin mit seiner Politik auf eine Wiederbelebung der alten Sowjetunion?
Hardt: Putin hat einmal den Zerfall der Sowjetunion als die "größte geopolitische Katastrophe" des vorigen Jahrhunderts bezeichnet. Das sehen viele der früheren Sowjetrepubliken, die heute unabhängig von Russland sind, etwa die Ukraine, ganz anders. Es ist spürbar, dass bei etlichen von ihnen die Unruhe wächst. Diese wachsende, von Russland ausgehende Unsicherheit belastet das gedeihliche Zusammenleben in Europa.

Ist es hinnehmbar, wenn Putin die Nato vor eine weiteren Osterweiterung und Ausdehnung in seiner Nachbarschaft warnt?
Hardt: Die Vorstellung, dass große Mächte das Recht haben, die Politik ihrer Nachbarn zu bestimmen, ist eine aus der Vergangenheit und hat zu zwei Weltkriegen geführt. In eine solche Haltung dürfen wir keinesfalls wieder zurückfallen. Wir haben eine europäische Friedensordnung, die in der Charta von Paris vom November 1990 fixiert ist. Darin sind das Selbstbestimmungsrecht der europäischen Völker, die Unverletzlichkeit der Grenzen und das Recht, sein Bündnis frei zu wählen, festgeschrieben. Diese Charta trägt die Unterschrift des Generalsekretärs der KPdSU. Sie gilt damit auch für Russland, das in der Rechtsnachfolge der Sowjetunion steht. Der einzige, der dieses Vertragswerk in der Vergangenheit verletzt hat, ist Putin mit seinem Krim-Einmarsch und der Unterstützung Rebellen in der Ostukraine.

Welches Signal sendet es an die Welt, wenn Russland und die USA über das Ukraine-Problem verhandelt – ohne Europa?
Hardt: Gegen Gespräche ist grundsätzlich nichts zu sagen. Es ist daher gut, wenn die Amerikaner auf den Gesprächswunsch der Russen eingegangen sind. Allerdings hätte ich mir eine klarere und stärkere europäische Rolle in diesen zentralen Sicherheitsfragen für unseren Kontinent gewünscht. Das aber liegt an der relativen Handlungsunfähigkeit der europäischen Außenpolitik, wo die geforderte Einstimmigkeit oft der Bremser ist. Daher können wir das unseren amerikanischen Partnern nicht vorwerfen.

Was ist mit der deutschen Außenpolitik. Hat die einen klaren Kurs?
Hardt: Wir müssen sorgsam unterscheiden zwischen dem russischen Volk und der Machtelite um Putin. Insofern muss unsere Botschaft sein, dass das russische Volk unser Freund und Partner ist. Mit der russischen Regierung aber haben wir Probleme. Ich setze darauf, dass in der deutschen Politik mehr Nüchternheit gegenüber Putin und seiner Politik greift. Wir können uns nicht vom Wunschdenken einer guten, engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der russischen Regierung leiten lassen. Und das gibt es nach wie vor in Teilen der Ampel-Koalition. Die Wahrheit ist: Russland entfernt sich immer mehr von gemeinsamen sicherheitspolitischen Position in Europa und Verträgen dazu. Daher sollte Deutschland eine Führungsrolle übernehmen, um Moskau zu signalisieren, dass seine Politik gegenüber mittel- und osteuropäischen Staaten die Wirtschaftsbeziehungen miteinander, auch die zwischen Russland und der EU, belasten.

Wie bewerten Sie den militärischen Beistand Putins für das Regime in Kasachstan?
Hardt: Wir wissen über die Hintergründe der dortigen Ereignisse noch wenig. Womöglich handelt es sich hier wirklich um einen internen Machtkampf im Land. Auf den ersten Blick erscheint die Entsendung russischer Truppen dorthin auf Ersuchen des amtierenden Präsidenten Toqajew völkerrechtlich nicht zu beanstanden zu sein. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass Putin mit seinem Handeln auch das Signal an die eigenen Reihen senden wollte, dass Aktivitäten von Kräften, die ein anderes Russland wollen, nicht hingenommen und mit allen Mitteln beantwortet werden.

− pnp