Hollywoodstar an der Seite von Nina Hoss
Cate Blanchett sehr preisverdächtig in Venedig

01.09.2022 | Stand 21.09.2023, 6:32 Uhr
Sascha Rettig

Strahlende Kolleginnen: Nina Hoss und Cate Blanchett. −Foto: pa

Um deutsche Beteiligungen auf dem Filmfestival in Venedig zu finden, muss man in diesem Jahr genauer ins Programm schauen. Doch selbst wenn kein Beitrag aus Deutschland in der Löwenkonkurrenz am Start ist, gibt es sie: in einer Nebensektion etwa mit Alexander Schaads Regiedebüt "Aus meiner Haut", mit Lars Eidingers Nebenrolle im Eröffnungsfilm "White Noise" oder eben mit Nina Hoss, die in Todd Fields "Tár" zu sehen ist. Zur Premiere kam die deutsche Schauspielerin gestern sogar mit einem Hollywoodstar an der Seite: Cate Blanchett, über die sie bei der Pressekonferenz nur bewundernde Worte fand.

In dem fiktiven Drama sind die beiden ein Paar. Allerdings gehört Blanchett als Lydia Tár das Rampenlicht, als erster Dirigentin eines großen Orchesters in Deutschland. "Sie ist zwar auf dem Höhepunkt als Künstlerin, aber für sie als Mensch geht es nur nach unten – das ist ein Horrorfilm", sagte die australische Schauspielerin in Venedig über ihre Rolle. "Sie ist in irgendeiner Weise entfremdet von sich selbst." Teils in der Dresdener Philharmonie und im Potsdamer Schloss Sanssouci gedreht, folgt dieses vielschichtige Porträt so über zweieinhalb Stunden dem Niedergang der großen Karriere – mit einer sehr preisverdächtigen Hauptdarstellerin.

Auch im Wettbewerbsfilm "Bardo" steht im Grunde ein Künstler im Mittelpunkt: der mexikanische Dokumentarfilmer Silverio (Daniel Giménez Cacho) – und damit auch in Teilen Regisseur Alejandro González Iñárritu selbst, der in der Hauptfigur autobiografische Motive einfließen lässt. Wie für die Hauptfigur, die aus dem langjährigen Wahl-Zuhause Los Angeles für einen Besuch in ihrer mexikanischen Heimat angereist ist, markiert auch der Film für den zweifachen Oscar-Preisträger eine Rückkehr: nicht nur nach Venedig, wo 2014 sein Film "Birdman" Premiere feierte, sondern ebenfalls nach Mexiko. Denn erstmals seit seinem Debüt "Amores Perros" vor über 20 Jahren, dem eine große Karriere mit US-Produktionen von "21 Gramm" bis zu "The Revenant" folgte, hat er wieder einen Film komplett in seiner Heimat gedreht.

Angekündigt war "Bardo" zwar als "epische Komödie". Zu lachen gibt es hier allerdings nur wenig – zumindest nach der grotesken Anfangsszene. "Diese Welt ist zu kaputt", befindet ein Neugeborenes da, will lieber zurück in den Mutterbauch – und wird auch prompt wieder hineingedrückt. So surreal bleibt dieser Streifzug über weite Strecken dann auch, in dem Silverios Imagination und Realität unwirklich und tragikomisch ineinanderfließen wie einst in Federico Fellinis "Achteinhalb".

Silverio wird mit sich selbst, seiner Heimat und seiner Vergangenheit konfrontiert. Wie wird er in Mexiko wahrgenommen? Wie nimmt er sie selbst wahr? Inhaltlich schlägt "Bardo" so einen üppig weiten Bogen, der von Anspielungen über das Verhältnis zwischen Mexiko und den USA bis zu Familienerinnerungen reicht. Obwohl man die ganze Zeit nah an ihm dran ist, bleibt man ihm, auch weil er nicht sonderlich sympathisch ist, seltsam fern.

Was bleibt, sind so vor allem die vielen Bildeinfälle Iñárritus, bisweilen atemberaubend, immer leinwandfüllend, in einem insgesamt zu groß aufgeblasenem Werk, das zumindest in der ersten Hälfte seiner dreistündige Laufzeit ein klein wenig an heißer Luft verliert.

Sascha Rettig