Streaming-Kritik
Buhs für Anna Netrebko bei "Macbeth" in Mailänder Scala

08.12.2021 | Stand 25.10.2023, 10:54 Uhr

Machtbewusst und mörderisch: Anna Netrebko als Lady Macbeth. −Foto: teatro alla scala

Jubel und Buhs für eine außergewöhnliche und bilderreiche Inszenierung hat es am Ende der Saisoneröffnung der Mailänder Scala am Dienstagabend gegeben: Mit "Macbeth" schloss das berühmte italienische Opernhaus die Verdi-Trilogie seiner frühen Opern ab. Star der Premiere von Giuseppe Verdis "Macbeth" war Anna Netrebko. Und sie musste neben Ovationen auch Buhs hinnehmen. Die PNP war per Stream bei der Premiere dabei.

Die Liebe der Italiener zu eher konservativen und traditionellen Aufführungen ist bekannt. Der italienische Regisseur Davide Livermore hat ein digitales Setting entworfen – mit Computern, Aufzügen, Hochhäusern in einer futuristischen Stadt. Hochhäuser spiegeln sich, wirken surreal. Das Set bewegt sich, dreht sich, Häuser scheinen einzustürzen. Man fühlt sich bisweilen an Christopher Nolans Film "Inception" erinnert. Die Bühne wirkt filmisch, auch durch eingespielte Schwarzweißvideos, die u. a. eine Vergewaltigung der Lady im käfigähnlichen Lift zeigen.

Die Inszenierung spielt in der Jetzt-Zeit. Das schottische Schloss ist eine mondäne Loft. Es beginnt in einem Wald, in Sepiatönen filmisch dargestellt, in denen Macbeth und Duncan in diese Stadt fahren. Dass Livermore für diese moderne und kühne Inszenierung nicht nur Bravi, sondern auch Pfiffe kassierte, war klar. Die digitale Magie ist vielen (noch fremd).

Um Macht, Rausch und krankhafte Liebe geht es in dieser Oper, die der neue Scala-Chef, der ehemalige Wiener Opernchef Dominique Meyer, angesetzt hat. Die Personenregie lässt die Protagonisten als moderne Machtmenschen in Businessanzügen agieren; nur Lady Macbeth sticht in einem roten Kostüm mit Jagdemblemen hervor.

Dass Anna Netrebko für diese Partie, die sie sehr oft singt und gut kennt, ebenfalls Buhrufe kassierte, dürfte sie erstaunt haben. Zumal sie einen ziemlich perfekten Abend ablieferte. Absolut makellos bewegt sich ihre Stimme durch alle Tiefen und Höhen dieser schwierigen Partie; mühelos wechselt sie die Stimmlagen. Ja, sie verleiht dieser mörderischen Lady einen Belcanto-Glanz. Sie agiert als machtbewusste Frau, die einen Whiskey nach dem anderen trinkt und raucht. Berauschend und innig im zarten Pianissimo ist ihre Wahnsinnsszene. Was vermutlich missfallen hat, ist ihr ekstatischer Tanz. Der ist aber auch wirklich überflüssig und hascht nur nach Effekten. Netrebko hat hochkarätige Partner an ihrer Seite: Bariton Luca Salsi als Macbeth wird bejubelt; er spielt den Titelhelden als einen von seiner Frau Getriebenen. Der russische Bass Ildar Abdrazakov singt einen hervorragenden Banco; Francesco Meli überzeugt als rächender Macduff.

Dirigent Riccardo Chailly arbeitet das Schrille und Kantige dieser Oper heraus – und er nimmt die meistens gestrichene Ballszene im dritten Akt mit dem Ballett in die Inszenierung, die Verdi für die französische Fassung geschrieben hatte. Hervorragend sind die großen Chorszenen, die sehr gut durchchoreografiert sind. Häufig gibt es eingefrorene Posen.

Am Ende geht die Unrechtsherrschaft in Explosionen unter.