Passau
Blühen in Passau die Neurosen besonders üppig?

10.04.2012 | Stand 10.04.2012, 16:54 Uhr

In Buenos Aires gibt es ein Stadtviertel, das heißt scherzhaft "Villa Freud". So etwas braucht Passau nicht, auch wenn die Dichte an ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten auf dem Papier sehr hoch ist: Der Versorgungsgrad liegt bei 155 Prozent. Ab 110 Prozent spricht man von einer Überversorgung.

Doch es ist alles relativ, das beweist auch die Analyse der Zahlen, die nur auf den ersten Blick eindeutig sind: 19 psychologische Psychotherapeuten sind registriert, 12 ärztliche Psychotherapeuten und 5 Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten gibt laut kassenärztlicher Vereinigung in Stadt und Landkreis Passau mit seinen 237 000 Einwohnern. Dazu kommt noch eine relativ hohe Zahl nichtärztlicher Therapeuten.

Ist der Großraum Passau ein Schmelztiegel an Nervenbündeln? Mitnichten, meint Diplom-Psychologe Stephan Mayer. In seiner Praxis in der Großen Messergasse geben sich die Patienten ebenso die Klinke in die Hand wie bei den meisten seiner Kollegen auch: "Ich habe Wartezeiten bis zu einem halben Jahr − das ist natürlich schlecht für die Patienten. Und für uns. Wir arbeiten am Limit." Manche Therapeuten seien selbst burn- out-gefährdet.

Wie passt das mit der Überversorgung zusammen? Mayer: "Weil die nur auf dem Papier existiert. Die kassenärztliche Vereinigung hat die Zahlen seit 13 Jahren nicht mehr fortgeschrieben." Und seitdem hat sich eben viel getan. So ist die Hemmschwelle, zum Therapeuten zu gehen, um einiges gesunken, meint Mayer: "Die Leute hören von Freunden, dass es ihnen gutgetan hat, hinzugehen − und das ist ja auch richtig so." Diese innere Bereitschaft wird gefördert durch eine äußere Finanzierung, die Behandlung wird großteils von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt.

 Das gilt für die kassenzugelassenen Ärzten. Die anderen müssen Privatpraxen eröffnen, obwohl sie die gleiche Qualifikation haben, sagt Monika Gruber-Schmidt. Die Passauerin ist eine von diesen Therapeuten ohne Kassenzulassung, trotzdem stapeln sich auch bei ihr die Patienten. Sie steuert noch einen dritten Grund dafür bei: "Die kassenärztliche Vereinigung legt Arbeitszeiten zugrunde, die unrealistisch sind."

 Dass die Bedarfsplanung unrealistisch ist, das sieht die kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) genauso. "Die Zahlen stammen aus den 90er Jahren", bestätigt Kirsten Warweg, Sprecherin der KVB. Das treffe aber ganz Deutschland gleich und die KVB habe das auch schon mehrfach angemahnt. Mit dem Ergebnis, dass das entscheidende Gremium, der gemeinsame Bundesausschuss, die Zahlen heuer neu festsetzen will.

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