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Baby an Mülldeponie ausgesetzt: "Die wissen nicht, was für ein Geschenk er ist"

29.11.2021 | Stand 12.10.2023, 10:16 Uhr

Liebevoll küsst Rahma Hassan den kleinen Mohamed Amin auf die Wange. Das drei Monate alte Baby hat bei der 50-Jährigen ein neues Zuhause gefunden, nachdem es am Rand einer Mülldeponie in Garissa ausgesetzt worden war. Rahma vermutet, dass die biologische Mutter das Baby aus der Not heraus zurückließ. Verstehen kann sie es nicht. "Er ist doch so unschuldig und kann nichts dafür", sagt sie. −Foto: Eva Fischl

Mohamed Amin war erst wenige Wochen alt, als er in der Nähe einer Mülldeponie in Garissa ausgesetzt wurde. In einem von Unicef unterstützten Kinderzentrum fand er eine Pflegemutter, die ihn genauso liebt wie ihre eigenen Kinder.

Während Rahma Hassan erzählt, wiegt sie den kleinen Mohamed Amin sanft in ihrem Schoß. Ihre warm klingende Stimme scheint beruhigend auf den drei Monate alten Jungen zu wirken. Seine gerade noch offenen, kugelrunden braunen Augen werden schwer, die dichten Wimpern schließen sich, zufrieden schläft der Kleine ein. So sehen Geborgenheit und innige Liebe aus.

Rahma Hassan hat dem Buben das Leben geschenkt. Doch dabei ist die 50-Jährige gar nicht seine leibliche Mutter. Rahma hat Mohamed Amin zur Pflege angenommen. Für sie macht das keinen Unterschied. "Ich habe mich von der ersten Sekunde an in den Kleinen verliebt und mich sofort wie seine Mutter gefühlt", erinnert sie sich an den Moment, als sie Mohamed Amin das erste Mal in ihre Arme schließen konnte.

"Hätte ihn niemand entdeckt, wäre er gestorben"

Rahma treffe ich im "Children Rescue Center" von Garissa, der Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks im Osten Kenias. In diesem Zentrum finden ausgesetzte, verstoßene oder misshandelte Kinder vorübergehend Zuflucht. Auch Mohamed landete dort. "Man fand den Kleinen wenige Wochen alt am Rand einer Mülldeponie hier in der Stadt", erzählt Salim Ibrahim, ein Mitarbeiter des Children Rescue Centers. "Niemand kannte seine biologischen Eltern oder hatte irgendeine Verbindung zu seiner Familie. Hätten ihn die Mitarbeiter der Hilfsorganisation Good Samaritan nicht rechtzeitig entdeckt und in eine Klinik gebracht, wäre er vermutlich gestorben."

Der Arzt, der ihn im Krankenhaus untersuchte, nannte den Jungen Mohamed Amin. "Unter diesem Namen habe ich ihn kennengelernt, und den habe ich übernommen", erzählt Rahma. Als Nachnamen trage er den ihren. Als sie das Baby das erste Mal sah, sei Mohamed ein wenig zu dünn und blass gewesen. "Aber das habe ich schnell geändert", sagt sie. "Heute geht es ihm rundherum gut. Er schreit eigentlich nur, wenn er Hunger hat."Sie lächelt und drückt dem schlafenden Baby sanft einen Kuss auf die Wange. Da scheinen sich zwei gesucht und gefunden zu haben.

Pflegemütter müssen strenge Vorgaben erfüllen

Rahma hat bereits sieben eigene Kinder, der älteste Sohn ist 32 Jahre alt, der jüngste elf. Er und eine 19-jährige Tochter leben noch bei ihr. Alle anderen stehen längst auf eigenen Beinen. Rahma ist geschieden und betreibt einen kleinen Klamottenladen in ihrem Dorf, wie sie erzählt. Sie sei frei und unabhängig. "Ich hatte immer Kinder um mich, das ist mein Lebensinhalt", sagt Rahma. "Und ich kann es mir leisten, noch einmal ein Kind großzuziehen." Deshalb habe sie sich auch beim "Children Rescue Center" als Pflegemutter beworben.

Um ein Kind offiziell annehmen zu dürfen, muss Rahma strenge staatliche Vorgaben erfüllen, erklärt Salim Ibrahim. Diese reichten von einem polizeilichen Führungszeugnis über den medizinischen Nachweis, dass sie gesund und geistig in der Lage ist, für ein Kind zu sorgen, bis hin zu einem Empfehlungsschreiben des Dorfältesten. "Wir können die Kinder ja nur Frauen anvertrauen, von denen wir sicher sind, dass sie sich auch um die Jungen und Mädchen kümmern können", sagt Salim Ibrahim. "Deshalb besuchen und prüfen wir die Pflegefamilien vorher auch zuhause." Geld erhalten Pflegemütter wie Rahma nicht, wie Salim Ibrahim versichert. Familien bewerben sich freiwillig und aus Überzeugung.

"Er ist doch so unschuldig und kann nichts dafür"

Das Schicksal hat Rahma und Mohamed Amin zusammengeführt. Für die 50-Jährige ist er "ein Geschenk Gottes". Fragt sie sich manchmal, wer die biologischen Eltern ihres Jungen sind? Aus welchem Hintergrund er kommt? "Die wissen gar nicht, was für ein Geschenk er ist. Er ist doch so unschuldig und kann nichts dafür", sagt Rahma. "Seine leiblichen Eltern konnten sicher nicht für ihn sorgen und haben ihn deshalb ausgesetzt", vermutet sie.

Mohamed war eines von fünf Kindern, die das Children Rescue Center in Garissa von Juli bis Oktober an Pflegemütter vermittelt hat, erzählt Salim Ibrahim. Die Polizei bringe ihnen Kinder, die alle kein Zuhause haben, die ausgesetzt wurden, die Missbrauch oder Gewalt erlebt haben, deren Eltern inhaftiert sind oder die auf der Straße leben. Manche Kinder seien Opfer von Menschenhandel geworden, andere vor Zwangsheiraten davongelaufen.

Manche Findelkinder haben noch Nabelschnur am Bauch

"Wenn überforderte Mütter ihre Babys teilweise unmittelbar nach der Geburt aussetzen, legen sie sie manchmal bei uns vor das Tor oder am Krankenhaus ab. Sie wollen, dass die Babys schnell gefunden werden und überleben. Manche Babys haben noch die Nabelschnur am Bauchnabel", berichtet der Mitarbeiter des Children Rescue Centers.

Der Bedarf an Pflegefamilien sei groß, aber es werde immer schwieriger, geeignete Freiwillige zu finden. Die Folgen der Covid-Pandemie und die Dürre in diesem Teil Kenias belasten große Teile der Bevölkerung. "Viele Familien haben Geldsorgen", sagt Salim Ibrahim. Dann noch ein Kind aufzunehmen, komme für viele nicht infrage, selbst wenn sie wollten. Denn in Kenia gelte das Sprichwort: "Kein afrikanisches Haus ist voll." Das soll heißen: Für ein weiteres Kind ist immer Platz.

Nicht für alle Kinder geht es so gut aus

Hier im Kinderzentrum bleiben die Jungen und Mädchen in der Regel drei bis sechs Monate, bis sie an Familien weitervermittelt werden können. Doch es komme in letzter Zeit immer öfter vor, dass die Kinder und Jugendlichen hier länger bleiben, sagt Salim Ibrahim. Dann werden die Kinder auch im Kindergarten oder in der Schule angemeldet. Das UN-Kinderhilfswerk unterstützt die Einrichtung, die Spielplätze auf dem Gelände wurden zum Beispiel von Unicef finanziert. So freundlich wie möglich soll die Umgebung wirken, in der die oft traumatisierten Kinder eine erste Zuflucht finden. Nicht wenige von ihnen brauchen Therapien und psychosoziale Unterstützung.

Für Mohamed Amin ist es gut ausgegangen. Rahma und ihre Familie haben das Baby sofort in ihr Herz geschlossen. "Mein elfjähriger Sohn vergöttert den Kleinen", erzählt die 50-Jährige. "Wenn er aus der Schule kommt, schaut er als erstes zu ihm. Alle meine Kinder lieben ihn und haben mir versprochen, dass sie sich um ihn kümmern werden, wenn mir etwas zustoßen sollte." Für ihren jüngsten Schützling wünscht sie sich, dass er seinen Weg gehen wird. "Er soll eine gute Schulbildung erhalten und in dem Wissen aufwachsen, dass er geliebt wird."