Auf Korsika vorbei an Wildschweinen und Hundeköpfen

25.11.2011 | Stand 25.11.2011, 10:19 Uhr

"Nur" 100 Kilometer sind es, die mit dem Auto trotz der vielen Kurven in maximal zwei Stunden erledigt wären. Doch durchfahren ohne Stopps ist auf der D84 auf Korsika unmöglich. Ein Naturschauspiel reiht sich auf den 1800 Höhenmetern an das andere: rote Felsformationen, plätschernde Wasserfälle, tiefe Schluchten und dösende Wildschweine.

Bereits die Einfahrt in die D84 ist ein Erlebnis für sich. Eben die alte Hauptstadt Corte mit ihren mehrspurigen Straßen hinter sich gelassen, zieht sich eine kurvige schmale Straße von der Mitte der Insel in Richtung Westen. Die 15 Kilometer lange Granitschlucht, Scala di Regina oder auch Treppe der heiligen Königin, liegt vor einem. Dem ersten Gefühl nach kaum breiter als der frühere Maultierpfad an dieser Stelle, geht es Kurve um Kurve immer tiefer in die Schlucht hinein. Gelegentlich dringt das Plätschern des Golo ans Ohr, der sich über die großen Steine hinweg seinen Weg durch das wild verwachsene Tal sucht. Die Stille wird nur unterbrochen vom Hupen der Autos, Busse und Motorräder. Denn Ausweichstellen, um aneinander vorbeizukommen, sind ebenso rar wie Parkbuchten in diesem Teil der Strecke.

Die ersten Häuser kommen erst wieder rund um den Ort Calacuccia am Ende der Scala di Regina in Sicht. Idyllisch gelegen am höchsten Stausee der Insel, umringt von vier Bergen höher als 2000 Meter, auf denen bis auf wenige Wochen immer Schnee liegt. Einmal im Jahr, am 8. September, wird das dort gelegene kleine Bergdorf Casamaccioli Zentrum des größten Volksfestes der Insel. Buden, Schießstände, Floh- und Kunsthandwerkermärkte sowie eine Prozession zu Ehren der Jungfrau Maria, der Schutzpatronin der Insel, locken bis zu 20 000 Besucher dorthin. Dann gibt es nicht nur das einheimische Bier Pietra und die Corsica Cola zu trinken, sondern auch Wein, Käse, Fleisch und frische Kastanien aus der Region. Denn auf ihre eigenen Produkte sind die Korsen besonders stolz.

Vorsicht, bissige Tiere!Das kleine Bergdorf rasch durchquert, steigt die Straße stetig an. 30 Kilometer bergauf geht es nun. Für den motorisierten Touristen kein Problem, die Radfahrer kommen aber ordentlich ins Schwitzen. Die Kurven werden nicht weniger, die Straße dafür etwas breiter – und vor allem schattiger. Denn die D84 führt an dieser Stelle quer durch das größte Waldgebiet der Insel. Schwarzkiefern, so weit das Auge reicht, die bis zu 50 Meter hoch und über 1000 Jahre alt werden. Darunter tummeln sich oft direkt am Straßenrand diverse Wildschweine, die keine Scheu vor den Menschen zu haben scheinen. Vorsicht ist trotzdem geboten. Erst im Mai machte auf der Insel die Nachricht die Runde, dass eine Wanderin von einem Wildschwein in die Finger gebissen wurde. Sie hatte den Rat der Einheimischen nicht befolgt und wollte das Tier aus der Hand füttern.

Wenn die Bäume immer weniger werden und die Zahl der Höhenmeter über 1400 steigt, dann ist es nicht mehr weit bis zum höchsten Pass der Insel, dem Col de Vergio. Wie auf einer Aussichtsplattform lässt sich von dort oben ein Blick hinunter ins Tal werfen, wo sich das Wasser des Stausees bei Calacuccia in blau-grünen Farben spiegelt. Währenddessen ziehen die letzten freilebenden Bartgeier, die größten Vögel der Insel, ihre Runden über den Köpfen der Besucher.

Im Hochsommer steigen die Temperaturen an der Küste auf über 30 Grad, dagegen ist es am Pass zehn Grad kühler. Im Winter verwandelt sich diese Gegend inmitten von 50 Gipfeln über 2000 Meter in ein Paradies für Skifahrer und Skitourengeher. Wer hört, dass Korsika die gebirgigste Insel im Mittelmeer ist, der wird sich darüber nicht wundern. Der Gipfel des Monte Cinto, mit 2709 Metern höchster Berg, liegt nur knapp 250 Meter tiefer als die Zugspitze.

Ab dem Col de Vergio geht es für die nächsten 34 Kilometer bergab. Wieder vorbei an den zahlreichen Schwarzkiefern, taucht kurz nach dem Örtchen Evisa das Meer bereits in weiter Ferne auf. Die Straßen sind hier − so wie im Großteil der restlichen Insel − dringend sanierungsbedürftig. Die vielen Kurven drosseln das Fahrtempo und die Schlaglöcher erfordern zusätzliche Aufmerksamkeit.

Dies soll besser werden. Die Regierung arbeitet daran ebenso wie an der Erhaltung der Natur. Touristen sollen kommen, aber nicht um jeden Preis. Bettenhochburg will man keine sein, aber auch kein Eiland für Reiche. Die Wanderer, Biker und naturliebenden Touristen sollen nach Korsika reisen. Und die kommen auch auf der D84 kurz hinter Evisa wieder auf ihre Kosten. Hier beginnt die Spelunca-Schlucht, die längste und tiefste der Insel. Während sich die Straße oben an den Bergen entlanghangelt, lockt unten der Fluss Porto für ein Bade-Abenteuer.

Blaues Meer,rote GranitfelsenDas viele Grün der wild gewachsenen Natur wird erst bei Porto an der Küste radikal unterbrochen. Dort, wo an der Flussmündung ein Turm der Genueser thront und das strahlend blaue Meer im starken Kontrast zu den roten Granitfelsen steht. Hier endet die D84 und geht nahtlos über in die D81.

Die nun anstehenden 15 Kilometer von Porto bis Piana zählen zu den schönsten der Insel und sind Teil des Weltkulturerbes. Die 400 Meter hohen Felsen sind stark zerklüftet, meist kahl und haben durch die Verwitterung ein groteskes Aussehen bekommen. Allerlei Gesichter und Figuren sind zu erkennen, etwa ein frei schwebendes Herz mitten im schmalen Felsen oder der Kopf eines Hundes. Am besten lässt man der Fantasie bei einem Spaziergang durch die Calanche, wie der Abschnitt an der Küste genannt wird, freien Lauf.

In nur wenigen Stunden geht es also vom Hochgebirge hinunter ans Meer. Ein krasser Gegensatz, der die Insel nicht einfach zu erkunden, aber so faszinierend macht. Doch wer die 100 Kilometer von Corte bis Piana zurücklegt, hat nur einen minimalen Bruchteil von der Schönheit Korsikas gesehen. Auch Städte mit unrestauriertem Charme, einsame Strandbuchten und leuchtend grüne Täler warten darauf, besucht zu werden.

INFO Anreise: In der Hauptreisezeit (Mai bis September) besteht eine Direktverbindung mit dem Flugzeug von Salzburg nach Korsika. Von München aus muss das ganze Jahr in Paris umgestiegen werden.

 Reisezeit: Hochsaison auf der Insel ist in den Bademonaten Juli und August. Dann herrscht auch auf der D84 starker Betrieb. Eine Tour auf dieser Strecke ist daher in den zwei Monaten davor und danach zu empfehlen. Dann ist es dort auch etwas kühler.

 Unterkunft: Einen guten Start- oder Endpunkt bietet das Hotel "Les Jardins de la Glacière" am Ortsrand von Corte. Es liegt idyllisch mitten im Grünen an einem plätschernden Gebirgsbach. Am anderen Ende der Strecke steht das Hotel "Capo Rosso" bei Piana. Hier bietet sich vom Zimmer aus ein schöner Blick auf das Meer und die Klippen der Calanche.

 Kontakt: www.franceguide.com

Andrea Poschinger, Redakteurin der PNP, recherchierte auf Einladung von Atout France, der französischen Zentrale für Tourismus.