Ein Überblick
Arbeitsunfall, Kurzarbeit, Sozialhilfe: Corona sorgt für viele Klagen

30.05.2021 | Stand 21.09.2023, 4:20 Uhr

−Symbolbild: dpa

Seit bald eineinhalb Jahren dominiert das Coronavirus das Leben in Deutschland. Das spiegelt sich inzwischen auch deutlich bei den Klagen vor dem Landessozialgericht wider.

Ob FFP2-Masken und Schullaptops für Hartz-IV-Empfänger, die Anerkennung von Covid-19 als Arbeitsunfall oder zu unrecht bezogenes Kurzarbeitergeld: Das Bayerische Landessozialgericht rechnet im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie mit einer Klagewelle. Schon jetzt sei der Anstieg entsprechender Verfahren deutlich spürbar, sagte Präsident Günther Kolbe der Deutschen Presse-Agentur in München. "Ich erwarte, dass wir unterm Strich wenigstens zehn Prozent zulegen. Und das ist vorsichtig geschätzt."



"Wir sind gerade bei den corona-spezifischen Fragestellungen quer durch das Sozialgesetzbuch unterwegs", erläuterte Kolbe. "Deshalb wird uns Corona noch eine ganze Zeit begleiten, denn Covid-19 hat ja auch mit Folgeschäden zu tun. Und wenn der Stellenabbau mal richtig beginnt, wird sich das zwangsläufig auch bei unseren Klageeingängen auswirken."

Schon im ersten Quartal 2021 sei etwa die Zahl der Klagen im Bereich der Arbeitslosenversicherung um 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal angestiegen. "Wir sehen, dass insbesondere das Kurzarbeitergeld hier aufgeschlagen ist", erläuterte Kolbe. Auch bei der Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung nehme die Zahl der mit Corona im Zusammenhang stehenden Fälle deutlich zu. Was erstmal abstrakt klingt, hat für den Alltag vieler einzelner Menschen in Bayern unmittelbare Folgen. Hier eine Auswahl:

Unfallversicherung
Ganz großes Thema für alle, die sich im Job mit dem Coronavirus infiziert und etwaige (Langzeit-)Schäden davongetragen haben. Und für all diejenigen, die im Homeoffice auf dem Weg zur Toilette die Treppe runtergefallen sind - denn im Gegensatz zum Arbeitsplatz im Büro sind solche Unfälle derzeit noch nicht versichert."Hier ist eine Vielzahl von Klagen zu erwarten, die auf Anerkennung und Entschädigung von Covid-19 als Berufskrankheit oder gar als Anerkennung eines Arbeitsunfalls durch eine Infektion abzielen", erläuterte Kolbe.

Während Covid-19 bei medizinischem Personal inzwischen als Berufskrankheit anerkannt ist, müssen Menschen aus anderen Berufen nachweisen, dass sie am Arbeitsplatz oder auf dem Weg dorthin Kontakt mit einem Infizierten hatten und zugleich Ansteckungen im privaten Umfeld ausgeschlossen waren.

Rentenversicherung
Hier werden schon jetzt vermehrt Ansprüche auf teilweise oder vollständige Erwerbsminderung durch eine Covid-19-Erkrankung geltend gemacht. Der Streit geht dabei meist darum, wie viele Stunden ein Betroffener trotz seiner Folgeschäden noch arbeiten kann.

Pflegeversicherung
Derzeit klagen viele Privatleute, weil bei der Einschätzung der Pflegegrade persönliche Begutachtungen aufgrund der Pandemie durch Gutachten auf Basis von Akten, Befunden oder telefonischen Auskünften ersetzt wurden. "Ein Gutachten, das ohne persönliches Gespräch vor Ort und ohne eine häusliche Begutachtung stattgefunden hat, hat eine geringere Akzeptanz, weil die Versicherten ihre Probleme nicht in angemessener Art und Weise schildern konnten und Befunde nichts darüber aussagen, wie gut jemand klarkommt", erläuterte Gerichtssprecherin Dunja Barkow-von Creytz.

Krankenversicherung
Hier versuchen private Kläger, die Kosten für den erhöhten Hygienebedarf und die Finanzierung von Masken, Desinfektionsmitteln und sterilen Handschuhen von ihrer Krankenkasse erstattet zu bekommen.

Arbeitslosen-Versicherung
"Da spielt eine ganz zentrale Rolle das Kurzarbeitergeld", betonte Kolbe. Ist der Anspruch überhaupt gegeben, für welchen Beschäftigten, wurde der Antrag rechtzeitig gestellt, der Betrag richtig berechnet? Wegen der Pandemie wurden die Voraussetzungen für den Bezug gesenkt. Doch spätestens dann, wenn namentlich klar ist, wer gekündigt werden soll, darf für diesen Beschäftigten kein Kurzarbeitergeld mehr bezogen werden. Klagen sind vorprogrammiert. Auch, weil viele Arbeitnehmer statt einer Kündigung derzeit einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen - und damit erstmal kein Arbeitslosengeld bekommen.

Insolvenzgeld
Nachdem Experten damit rechnen, dass die Zahl der Insolvenzen bald stark steigen wird, erwartet auch das Landessozialgericht mehr Streitigkeiten über Insolvenzgeld als Ersatz für Lohn und Gehalt.

Hartz IV und Sozialhilfe
Neben "Mehrbedarfen" für Hygienemitteln, Homeschooling oder Essen zu Hause statt in der Kita erwarten die Juristen hier eine Vielzahl von Auseinandersetzungen etwa um die Anrechnung von Vermögen oder das Umziehen in eine kleinere Wohnung. "Das hat man in Pandemiezeiten nicht so streng gesehen", schilderte Kolbe. Doch diese großzügigere Verfahrensweise der Behörden werde bald von strengeren Prüfungen abgelöst, zahlreiche Rückforderungen seien zu erwarten.

− dpa