Kurioser Fall
An oberbayerischem Gericht: Angeklagter will Dolmetscher – für Bairisch

Richterin: "Sie verstehen nur das, was Sie verstehen wollen"

29.09.2021 | Stand 25.10.2023, 10:18 Uhr

−Foto: David Ebener/dpa

"Sprechen Sie gefälligst deutsch", herrscht der Angeklagte den Zeugen an. Der Polizist im Zeugenstand ist leicht irritiert. Bitte? "Das ist deutsch", stellt die Richterin klar. "Mein Mandant will sagen", schaltet sich der Verteidiger ein, "dass er Bairisch nicht versteht." Dieser kuriose Fall ereignete sich im Amtsgericht Pfaffenhofen, wie der Donaukurier berichtet.

"Ich glaube", meint die Richterin zum Angeklagten, "Sie verstehen nur das nicht, was Sie nicht verstehen wollen." Was schade ist. Denn eigentlich müsste Andrej F., 64, (Name geändert) mitbekommen, dass ihm nicht nur der Polizist, sondern auch die Staatsanwältin und die Richterin wohlgesonnen sind. Sie lassen ihn wegen Verstoß gegen das Waffengesetz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit einem relativ milden Urteil nach Hause gehen.



Der Verteidiger wird gewusst haben, warum er seinen Mandanten aufgetragen hat, in der Verhandlung zu schweigen – was ja auch sein gutes Recht ist. "Wir haben vereinbart, dass ich eine Erklärung abgebe und er sich nicht äußert." Offensichtlich vergeblich.

Vorfall bei Corona-Ersatzfest

Vor ziemlich genau einem Jahr, am ersten Samstag des coronabedingten "Voixfest zum Mitnehma", ließ es Andrej F. gegen 22 Uhr ordentlich krachen. Buden und Fahrgeschäfte waren schon zwei Stunden zuvor geschlossen worden, er saß im hinteren Teil des Platzes nahe der Ilm auf dem Asphalt, warf mit Böllern nach Passanten und schoss in die Luft. Die herbeigerufenen Polizisten entdeckten in einem Beutel außer den Krachern auch eine Schreckschusspistole, die er laut Waffengesetz zwar ohne Waffenschein besitzen, aber nicht außerhalb der Wohnung mit sich führen darf. Ein Kuriosum, das auch unter Juristen umstritten ist. Er habe das jedenfalls nicht gewusst, beteuert der Angeklagte. Und außerdem sei er total betrunken gewesen. Er könne sich an nichts mehr erinnern.

Die Polizisten halfen ihm in die Senkrechte, "aber er hat passiven Widerstand geleistet", erinnert sich einer der Beamten. Will heißen: Er sei den Aufforderungen nicht nachgekommen, sei aggressiv gewesen, und als er nach weiteren Waffen abgetastet wurde, habe er sich plötzlich umgedreht und nach der Polizeipistole gegriffen. Die Polizisten rangen ihn zu Boden und legten ihm Handfesseln an.

"Der da hat mich geschlagen und getreten", fährt Andrej F. den Zeugen an. "Das war der doch gar nicht", pfeift ihn sein Verteidiger zurück. Ist seinem Mandanten egal. "Ich wurde verletzt!" Er habe sich tatsächlich Schürfwunden zugezogen, erklärt der Polizist, als er auf dem Boden lag. Der Angeklagte legt nach. Das sei halt die Aussage eines Polizisten. Lügen, "das ist ja deren Beruf". Amtsrichterin Katharina Laudien ruft ihn zur Ordnung: Mit solchen Bemerkungen würde er seine Situation ganz sicher nicht verbessern. Denn immerhin steht laut Strafgesetzbuch für einen "tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte" eine Haftstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren im Raum.

Angeklagter soll zur Polizeipistole gegrifffen haben

Und deshalb lässt sich die Richterin genau erklären, wie das war, als der Angeklagte nach der Dienstpistole griff. Hat er versucht, sie aus dem Holster zu ziehen, um sie möglicherweise gegen den Polizisten zu richten? Der Beamte wiegelt ab. Andrej F. habe bloß mit der Hand gegen das Holster geschlagen und gesagt, er dürfe alles. Offenbar auch, einem Polizisten die Waffe wegzunehmen. "Das war eine Provokation", sagt der Beamte, "keine kriminelle Energie." Und dass der Angeklagte ihn verletzt habe, fragt Laudien? Das sei ihm passiert, als er Andrej F. zu Boden brachte, ohne dessen Einwirkung. Mehr Entlastung für einen Angeklagten geht kaum noch.

Dennoch geht der Angeklagte wütend dazwischen. "Ich will einen Dolmetscher!" Er verstehe nur 60 Prozent. Was er ganz offensichtlich nicht versteht: Dass der Polizist zu seinen Gunsten aussagt. "Der will Ihnen doch nichts Böses", erklärt die Richterin. Auch sie gibt ihm eine Chance und bleibt in ihrem Urteil unter dem Antrag der Staatsanwältin von 100 Tagessätzen à 25 Euro. Andrej F. kommt mit 90 Tagessätzen zu je 20 Euro davon – damit erhält er keinen Eintrag ins Führungszeugnis. Ob er das Urteil annehme, fragt ihn die Richterin. Der Angeklagte macht eine wegwerfende Handbewegung. Sein Verteidiger hat sichtlich die Faxen seines Mandanten dicke. "Wir nehmen das Urteil an", erklärt er.