"Schrottcontainerkindheit"
Abschiebung drohte: Rottalerin für Reportage über Kindheit geehrt

21.07.2018 | Stand 20.09.2023, 6:58 Uhr

Vanessa Vu (26) schrieb ihre ersten Artikel 2010 als Praktikantin bei der Passauer Neuen Presse in Pfarrkirchen. Heute arbeitet sie als Redakteurin bei ZEIT ONLINE in Berlin. − Foto: Gökkaya

Vom Kind einer von Abschiebung bedrohten Familie aus Vietnam zur mehrfach ausgezeichneten Journalistin – von dieser Erfolgsgeschichte kann Vanessa Vu (26) erzählen. Die PNP hat sie zum Interview getroffen.

Kürzlich haben sie für ihre Geschichte mit dem Titel "Schrottcontainerkindheit" einen Preis erhalten. Darin geht es um ihre Erinnerungen an ihre Kindheit in Pfarrkirchen. Was empfanden sie dabei?
Vu: Ich finde es eine schöne Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet meine Schrottcontainerkindheit mich so weit gebracht hat. Ich habe lange nicht über meine Erfahrungen sprechen können, weil ich mich dafür geschämt habe und selbst nicht glauben wollte, was mir alles passiert ist. Ich wollte nicht anders sein als die anderen Pfarrkirchner, und gar nicht erst über Unterschiede reden. Aber mein Leben war einfach ein anderes – nicht, weil meine Eltern Vietnamesen sind, sondern weil viele Menschen hier uns nicht auf Augenhöhe behandelt haben. Endlich darüber zu reden, war ehrlich gesagt angsteinflößend, aber auch befreiend.

In ihrer ausgezeichneten Reportage erzählen sie auch davon, wie sie auf dem Gymnasium einheimischen Kindern Nachhilfe in Deutsch gaben. Wollten sie Deutscher sein als die Deutschen?
Vu: Unbedingt! Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Familie und ich nicht gut genug waren für diese Gesellschaft, und ich wollte das Gegenteil beweisen. Für viele Kinder ist es mehr oder weniger egal, wie sie in der Schule sind. Bei schlechten Noten gibt’s vielleicht mal Ärger, oder es reicht halt nicht fürs Medizinstudium. Aber bei mir hing gefühlt an jeder Note gleich der Ruf der ganzen Familie und eigentlich aller Ausländer. Ich habe mir keine Durchhänger erlaubt.

Und heute?

Heute finde ich den Druck auf uns vermeintliche Ausländer unfair und will nicht mehr super deutsch sein. An Menschen wie mich gibt’s absurd hohe Standards, höher als an Deutsche selbst: Perfektes Deutsch in Wort und Schrift, exzellente Bildungsabschlüsse und Umgangsformen, und wir sollen der Wirtschaft viele Steuergelder bringen, aber gleichzeitig die Drecksarbeit erledigen, die keiner erledigen will. Und bei jedem Patzer ist man dann doch wieder der Ausländer, egal wie viel man für das Land geleistet hat, siehe Mesut Özil. Dann versuche ich lieber, glücklich zu werden statt deutsch zu werden. Das bringt einen nur beschränkt weiter. Und dass man Menschen menschlich behandeln soll, das sollte man sowieso nicht an die Frage knüpfen, wie deutsch jemand ist. Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar, so steht es in unserem Grundgesetz.

Seit einem Jahr leben und arbeiten sie in Berlin. Wie fühlt es sich an, wenn sie ihre Eltern in Pfarrkirchen besuchen, die einen asiatischen Imbiss in der Bahnhofstraße betreiben?

Ich liebe es. Es bricht mir das Herz, dass ich nicht öfter dort sein kann. Was in den Neunzigern passiert ist, ist in den Neunzigern passiert. Pfarrkirchen ist trotzdem meine Heimat, nirgendwo fühle ich mich so sehr zuhause wie bei meinen Eltern. Das Scheppern der Wokpfannen, das ständig klingelnde Telefon, die würzige Ente – wenn ich schon dran denke, packt mich das Heimweh.

Das Gespräch mit Vanessa Vu führte PNP-Mitarbeiter Herwig Slezak. Das komplette Interview lesen Sie am Wochenende kostenlos mit PNP Plus und in ihrer Passauer Neuen Presse am Online-Kiosk.