Biathlon in Ruhpolding
"Ein leeres Stadion produziert nur Kosten": Herbert Fritzenwenger zieht nach den Weltcup-Tagen Bilanz

18.01.2022 | Stand 18.01.2022, 10:24 Uhr

Herbert Fritzenwenger vom SC Ruhpolding. −Foto: Brenninger

Auch wenn beim Geister-Weltcup in Ruhpolding weniger ehrenamtliche Helfer als sonst benötigt wurden und aufgrund der strengen Hygieneauflagen sowieso nur ein ganz kleiner Kreis in die Chiemgau-Arena durfte, wurde eines in diesen Weltcup-Tagen doch auch wieder ganz deutlich: Ohne die Ehrenamtlichen geht nichts! Der Vorsitzende des SC Ruhpolding, Herbert Fritzenwenger, dankte den Helfern im Gespräch mit der Heimatzeitung deshalb ausdrücklich. Der Vizepräsident des Ruhpoldinger Organisationskomitees, der auch als ZDF-Experte in seinem Heimatort im Einsatz gewesen ist, blickt aber auch mit einigen Sorgen in die Zukunft seines Vereins und des Sports allgemein.

Herr Fritzenwenger, Sie haben im Rahmen des Weltcups große Sorgen geäußert, dass im Zuge der Pandemie eine ganze Generation von jungen Wintersportlern verloren gehen könnte. Ist dieses Szenario noch zu verhindern?
Herbert Fritzenwenger: Das hängt jetzt davon ab, welche Maßnahmen erlaubt werden und welche nicht. Wenn wir jetzt die Kinder regelmäßig trainieren dürfen, dann sehe ich schon noch die Möglichkeit, dass wir nichts verlieren werden. Gerade das letzte Jahr war aber wirklich dramatisch. Durch die ganze Pandemie und wie man letztlich damit umgegangen ist, sind sehr viele Kinder lethargisch geworden und haben sich mehr den elektronischen Medien zugewandt, anstatt sich draußen zu bewegen. Wenn dann mit jeder neuen Verordnung etwas kommt, um die Bewegung im Freien zu reglementieren, dann ist das widersinnig. Es ist wichtig, dass wir die Kinder bewegen dürfen. Aber es gibt jetzt erste Signale, dass das besser werden wird.

Positiv ist auf jeden Fall, dass ungeimpfte oder nicht-genesene Kinder und Jugendliche jetzt nicht in den "Sport-Lockdown" müssen, sondern für sie weiter eine Ausnahmeregelung gilt...
Fritzenwenger: Das ist gut! Mit dieser Regelung haben wir jetzt ein Instrument an der Hand, mit dem die ehrenamtlichen Trainer wieder tätig werden dürfen. Wir sind auch fleißig dabei, neue Kinder für den Wintersport zu gewinnen. Allerdings haben wir erst wieder eine Schulsport-Aktion mit 80 Skisprung-Interessenten absagen müssen, weil sich die Klassen vermischt hätten. Jetzt werden wir versuchen, auf anderen Wegen und in vielen kleinen Schritten, die Aktion doch noch hinzubekommen. Aber es ist alles unendlich mühsam und frustrierend.

Haben andere Nationen nicht das gleiche Problem?
Fritzenwenger: Mein Gefühl ist: In den Ländern, in denen ich unterwegs war, interessiert das niemanden. In Frankreich, in Italien, in Schweden oder in Norwegen wird mit den Kindern trainiert. Ich weiß jetzt aber nicht, wie dort die Vorgaben sind.

Weil Sie Frankreich erwähnt haben: Der Biathlon-Weltcup dort fand mit Fans statt. Wie beurteilen Sie die Entscheidung, dass in der Chiemgau-Arena coronabedingt die Tribünen komplett leer bleiben mussten?
Fritzenwenger: Aus Sicht der Regierung ist die Entscheidung nachvollziehbar. Aus der Sicht des Vereinsvorsitzenden sehe ich das differenzierter. Wir sind im Freien, und wir hätten hier sicherlich die Abstände halten können. Aber ich weiß: Der Weg zum Stadion ist kritisch. Aber wir fahren auch Millionen Menschen täglich in Bussen und U-Bahnen hin und her. Die 7500 Zuschauer, die zuletzt bei uns in der Diskussion standen, hätten also das Pandemie-Geschehen wesentlich beeinträchtigt? Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Aber das ist ein schwieriges Thema.

Sie haben auch gesagt, dass das Überleben des Vereins von den Einnahmen des Weltcups abhängt. Wie kritisch ist die Situation für den SC Ruhpolding?
Fritzenwenger: Wir haben uns ja über die Jahrzehnte eine Struktur aufgebaut, die auf den Einnahmen dieser Veranstaltung basiert. Wenn das eben wegbricht, dann sind wir natürlich in unserer Existenz bedroht. Den Verein auf dem Papier wird es aber freilich weiter geben. Wir müssten dann halt im schlimmsten Fall alles herunterfahren, aber dabei geht es auch um Arbeitsplätze.

War dieses Heimspiel noch etwas Besonderes für Sie?
Fritzenwenger: Dieses Jahr ist das sehr wohl etwas Besonderes gewesen. Es war einfach wahnsinnig schwierig alles. Wir hatten nur gut ein Viertel des Personals zur Verfügung, wir sollten aber die gleiche Qualität abliefern. Für einige, die das jetzt umsetzen mussten, war das einfach nur stressig. Ich bin allen sehr, sehr dankbar, dass sie sich so eingesetzt haben und dafür gekämpft haben, dass die Veranstaltung so toll über die Bühne gehen konnte. Ich bin auch froh, wenn dieser ganze Mist endlich vorbei ist und wir wieder normaler agieren können. Das war jetzt nur ein "Augen zu und durch" und macht niemandem Spaß.

Es hat Ihnen also das Herz geblutet, wenn Sie die leeren Tribünen gesehen haben?
Fritzenwenger: Natürlich! Das hat nichts mit dem zu tun, was wir tun wollen. Wir wollen den Sportlern beste Voraussetzungen bieten und wir wollen, dass die Fans vor Ort das alles auch live mitbekommen können. Die Fans standen vorne am Parkplatz und haben nichts mitbekommen, das ist doch alles nur noch traurig. Das muss sich wieder ändern. Vielleicht kann man in Zukunft ja auch den Weg in der Mitte gehen, der ist ja meistens der gesündeste. Ein leeres Stadion produziert nur Kosten und macht niemandem Spaß – weder den Sportlern noch denen, die hier arbeiten müssen. Es ist aktuell alles künstlich hochgehandelt. Der Patient Biathlon liegt jetzt auch auf der Intensivstation. Wenn es so weitergeht, dann weiß ich nicht, wo das enden wird.

− br

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