Passau
Soll die Schule später starten?

Der Unterricht beginnt an einigen Schulen vor 8 Uhr – Stadtwerke: Wir richten Buspläne nach dem Bedarf aus

16.04.2024 | Stand 16.04.2024, 15:44 Uhr

Dunkel kann es noch sein, wenn Schüler in der Früh zur Schule gehen. Kinder bis etwa zwölf Jahre seien morgens fit, sagt die Wissenschaft, mit dem Beginn der Pubertät verschiebe sich der innere Rhythmus aber um einige Stunden nach hinten. Sie sind deshalb am Morgen oft müde. − Foto: dpa

Von Franz Danninger

Schule ist um acht? Das war einmal, der Trend geht zum Frühbeginn.

Den frühen Vogel schießt wohl das Ludwig-Thoma-Gymnasium in Prien am Chiemsee ab, der Unterricht dort startet um 7.15 Uhr.

Den Gegenpol bildet das Gymnasium Plochingen in Baden-Württemberg (Lkr. Esslingen). Die Schüler dürfen ausschlafen, wenn sie wollen. Die 7a startete vor kurzem einen Versuch: An zwei Tagen der Woche gilt Gleitzeit – wer will, kann sich bis zur dritten Stunde (9.40 Uhr) Zeit lassen.

Wie ist die Morgen-Lage in Passau?

Das Leopoldinum startet um 7.50 Uhr, das Gymnasium hat sich auf diese Uhrzeit verständigt mit dem Schul-Nachbarn Niedernburg. „Das ist sinnvoll, weil wir Unterrichts-Elemente gemeinsam haben, zum Beispiel evangelischer Religionsunterricht“, erklärt Leo-Chef Markus Birner.
Wie alle von der PNP befragten Schulleiter, so begründet auch Birner den Schulstart mit der Abhängigkeit von Bus-Fahrplänen. Selbstverständlich gebe es viele Schüler aus entfernten Orten, wie etwa aus Richtung Hauzenberg oder Pocking mit entsprechend langer Anfahrt. Sie müssen vor allem im Winter in der Dunkelheit aufstehen. „Aber es gab noch nie

Stadtwerke entkräften das Busplan-Argument

eine Diskussion darüber, nicht im Elternbeirat und nicht in der Schülermitverwaltung.“ Berufstätige Eltern stehen Birners Erfahrung nach hinter dem frühen Schulstart, weil sie so gemeinsam mit den Kindern in der Früh das Haus verlassen könnten.
„Und dann ist der Nachmittag auch ein echter Nachmittag, wenn man entsprechend früher heimkommt“, steuert Dr. Wolfgang Holzer ein weiteres Früh-Argument bei. Der neue ASG-Leiter kommt aus einer noch krasseren Zeiten-Welt, er leitete vorher das Gymnasium Zwiesel „und dort haben wir um 7.35 Uhr begonnen und es war nie ein Problem.“ Holzer klopfte in dieser Zeit das ÖPNV-Argument ab und stellte beim Studium der Fahrpläne der „Waldbahn“ fest, dass dieser frühe Schulbeginn tatsächlich verkehrsmäßig Sinn mache. „Am Anfang fand ich es auch ein bisschen besonders, aber man gewöhnt sich daran.“

Das Argument, dass sich die Schule nach den Busplänen richten müsse, entkräften dagegen die Stadtwerke Passau: „Wir richten die Fahrtzeiten der Busse grundsätzlichen an den Bedarfen aus. Da ist auch bei den Schulbussen der Fall. Sollte sich der Schulstart verändern, werden die Fahrtzeiten der Schulbusse bestmöglich darauf angepasst“, sagt SWP-Sprecherin Heike Öland.

Würde ein späterer Schulstart den Morgenverkehr entzerren? „Eine generelle Aussage können

“In der Pubertät verschiebt sich die innere Uhr„

wir hierzu nicht treffen. Die Verkehrsplanung erfolgt anhand konkreter Daten“, antwortet Öland.
Henrik Oster ist Professor für Chronophysiologie, er leitet das Institut für Neurobiologie der Universität Lübeck. Der Wissenschaftler plädiert für einen späteren Schulbeginn. „Aus chronobiologischer Sicht fängt die Schule für Mittel- und Oberstufenschüler tatsächlich zu früh an“, sagt er im Interview mit „Spektrum.de“. „Ihre innere Uhr, ihr zirkadianer Rhythmus, ist nach hinten verschoben. Deshalb sind sie in den ersten Stunden geistig einfach noch nicht so fit.“
Er differenziert allerdings zwischen den Altersgruppen: Kinder seien früher fit als Jugendliche. „Mit dem Beginn der Pubertät, also im Alter von elf, zwölf Jahren, verschiebt sich der innere Rhythmus eines Menschen im Durchschnitt um einige Stunden nach hinten. Das Maximum dieser Entwicklung ist mit Anfang 20 erreicht. Mit steigendem Alter werden Erwachsene eher wieder zu Frühaufstehern“, sagt Prof. Oster.

Beifall erhält Oster vom Bayerischen Elternverband (BEV): Gerade mit Blick auf die Kinder sehe man die Entwicklung zum immer früheren Tagesstart mit Besorgnis, sagt Landesvorsitzender Martin Löwe. „Es kann nicht im Sinne des Kindeswohls sein, wenn Kinder in Einzelfällen bereits um 5.30 Uhr den Schulweg antreten müssen, weil der ÖPNV keine passenderen Angebote vorsieht.“ Maßgeblich für die Schulorganisation dürften nicht wirtschaftliche Interessen der ÖPNV-Betreiber sein.
Im Sinne der Kinder plädiert der BEV für einen späteren Unterrichtsbeginn, „und im Unterschied zum Kultusministerium

Elternverband hätte gerne späteren Beginn

sehen wir hier auch Handlungsbedarf. Allerdings erachten wir es als wenig sinnvoll, von oben herab für alle Schulen eine einheitliche Zeit für den Unterrichtsbeginn zu verordnen.“

Den Bedürfnissen der Kinder am besten gerecht werde eine altersspezifisch abgestimmte Unterrichtszeit, meint der Elternverband. So könne die Grundschule durchaus früher beginnen als die weiterführenden Schulen, da die Chronobiologe von Pubertierenden gänzlich anders ist als die von Grundschulkindern.

Betreuungsprobleme für Eltern entstehen wohl für jene, die um 8 Uhr oder später am Arbeitsplatz sein müssen. „Denjenigen Eltern, die bereits um 7 oder 6 Uhr die Arbeit beginnen, wird eine Änderung des Unterrichtsbeginns in der Regel egal sein“, meint Martin Löwe.
Und was sagen die Schüler? „Wir sind der Ansicht, dass dieser Schulbeginn-Korridor frühestens um 7.50 Uhr und spätestens um 8.30 Uhr liegen sollte. Ein früherer Unterrichtsbeginn um 7.30 Uhr wird von uns abgelehnt, da Studien gezeigt haben, dass das Leistungsmaximum im Schulalter erst gegen 9 oder 10 Uhr erreicht wird“, teilt Philipp Hüllmantel mit, stv. Landesvorsitzender der Schüler Union Bayern.

Einen Verweis allein auf den ÖPNV lässt er nicht gelten: „Hier sind die Kommunen und Landkreise gefordert, gegebenenfalls Anpassungen an den Fahrplänen mit den Verkehrsunternehmen vorzunehmen. Sie sind aufgrund der hohen wirtschaftlichen Bedeutung der Schülerbeförderung gegenüber den örtlichen Verkehrsunternehmen auch verhandlungstechnisch dazu in der Lage. Dies gilt erst recht bei kommunal eigenen Betrieben.“

Das Bayerische Kultusministerium betont, dass die Schulen in Bayern relativ frei seien beim Unterrichtsbeginn. „Diese Freiheit sollte nicht eingeschränkt werden“, findet Stephanie Neumeier als stv. Pressesprecherin.

Ein Unterrichtsbeginn gegen 8 Uhr habe sich bewährt: Berufstätige Eltern haben die Gewissheit, wenn sie morgens zur Arbeit müssen, dass ihre Kinder zu relativ einheitlichen Zeiten an der Schule gut aufgehoben sind. Wenn Schüler später heim kommen, könnte das Auswirkungen auf ihr außerschulisches Engagement haben, etwa in Vereinen. Auch im Sommer, wenn die Temperaturen steigen, freuten sich Schüler über ein frühzeitiges Unterrichtsende.
Die „Bild“ ließ Leser abstimmen: Sollte die Schule später beginnen? 1607 Stimmen wurden abgegeben. 47 Prozent davon klickten an: „Auf keinen Fall, das bringt den ganzen Tag durcheinander“. 14 Prozent entfielen auf „Höchstens für ältere Schüler, nicht für die Jüngsten.“ 4 Prozent stimmten für die Lokführer-Variante: „Nur, wenn trotzdem zur selben Zeit wie jetzt Schluss ist“. 14 Prozent meinten: „Ja, vor neun sollte keiner da sein müssen“ und 21 sagen der Umfrage zufolge: „Durch den ganzen Ausfall geht es doch jetzt schon viel zu unregelmäßig los“.