Über 200 Kundgebungen
In ganz Bayern protestieren Zehntausende auf Bauerndemos gegen die Ampel-Koalition

08.01.2024 | Stand 09.01.2024, 9:19 Uhr

Mit einer fünfstelligen Zahl von Traktoren wurde bei über 200 Kundgebungen in Bayern flächendeckend protestiert. − Foto: Jens Schlueter, afp

Weit über zehntausend Bauern haben am Montag mit einer ebenfalls fünfstelligen Zahl von Traktoren bei über 200 Kundgebungen in Bayern flächendeckend gegen die Berliner Ampel-Koalition demonstriert.



Allein zur zentralen Münchner Kundgebung des Bayerischen Bauernverbands und des Vereins „Landwirtschaft verbindet Bayern“ kamen nach Schätzung der Polizei 8000 Menschen, die Veranstalter sprachen sogar von 10.000. Die Vielzahl von Protestaktionen im übrigen Bayern übertraf die Münchner Kundgebung in Summe noch: In der Oberpfalz registrierte die Polizei bis Montagmittag 30 Aktionen mit rund 6000 Fahrzeugen.

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In Niederbayern waren es laut Polizeischätzung etwa 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit 2500 Fahrzeugen, in Oberfranken 5500 Menschen und 3400 Fahrzeuge. In Oberbayern nördlich von München zählte die Polizei 4700 Traktoren, in Nordschwaben 2300. Dort schätzte die Polizei auf der Strecke Aichach - Friedberg die Zahl der Protestfahrzeuge auf 1000, die Länge des Aufzugs auf 15 Kilometer.

Viele Verkehrsbehinderungen, wenig Blockaden



Folge der Proteste waren große Verkehrsbehinderungen, auch wenn es nur wenige Blockaden gab. Bei Erlangen-Frauenaurach sperrten Traktoren eine halbe Stunde lang eine Auffahrt zur A3, wie ein Polizeisprecher in Nürnberg sagte. Auf der Plattform X (vormals Twitter) appellierte die Polizei an die Landwirte, sich bei ihren Protesten an die Vorgaben zu halten.

Manche Schulen setzten Distanzunterricht an, um Schülerinnen und Schülern das Steckenbleiben im Stau zu ersparen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern äußerte einerseits Verständnis für den Protest - und warnte andererseits vor Straftaten: „Was wir als Polizei aber verurteilen, sind das vereinzelte bewusste Blockieren von Verkehrsknotenpunkten, die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei der Nutzung der Autobahnen oder das Umfahren von Sperren über Felder“, sagte der Landesvorsitzende Florian Leitner in München.

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Unmittelbarer Anlass der Kundgebungen waren die mittlerweile zum Teil schon wieder zurückgenommen Kürzungspläne der Bundesregierung bei den Steuervergünstigungen für die Bauern.

Die geplanten Subventionskürzungen seien eine Steuererhöhung von einer Milliarde Euro, warf Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands, der Koalition vor. „Das heißt ja am Ende Sterben auf Raten“, sagte Rukwied, der als Gast an der CSU-Klausur im oberbayerischen Kloster Seeon teilnahm.

Frust unter den Bauern herrscht schon seit Jahren, da die Einnahmen vieler Betriebe die Kosten nur in guten Jahren decken. Allein in Bayern haben in den vergangenen zwanzig Jahren an die 50.000 Bauern den landwirtschaftlichen Betrieb eingestellt, so dass die Zahl der Höfe im Freistaat auf unter 100.000 gesunken ist.



Darüber hinaus hat sich in den vergangenen Jahren in der Bauernschaft großer Ärger über die stete Verschärfung von Umweltauflagen und sonstigen Vorschriften aufgestaut, der sich nun Bahn bricht. „Das Fass ist übergelaufen“, sagte dazu auf der Münchner Kundgebung Claus Hochrein, der Vorsitzende von „Landwirtschaft verbindet Bayern“.

Präsident des Bayerischen Bauernverbands erntet Beifall



„Die Ampel hat Flasche leer, die hat fertig“, rief Günther Felßner, der Präsident des Bayerischen Bauernverbands, unter lautem Beifall. Der BBV-Chef betonte angesichts der aufgeheizten Stimmung jedoch die Dialogbereitschaft des Verbands und distanzierte sich von Extremisten jeglicher Couleur, unangemeldeten Verkehrsblockaden und Angriffen auf Politiker. „Denn Bauern sind keine Chaoten oder Klimakleber“, sagte Felßner. „Bleiben wir sympathisch, bleiben wir friedlich.“

Doch als der BBV-Präsident auch die Blockadeaktion schleswig-holsteinischer Bauern gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der vergangenen Woche verurteilte, erntete Felßner Buhrufe aus größeren Teilen des Publikums.

Um ihren Gesprächswillen zu unterstreichen, hatten BBV und LSV als einzigen Politiker den Grünen-Bundestagsabgeordneten Karl Bär als Gastredner auf die Münchner Kundgebung eingeladen. Bär wurde jedoch lautstark ausgebuht und von Teilen der Menge mit „Hau Ab“-Sprechchören zum Aufhören aufgefordert.

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Der Obmann der Grünen im Agrarausschuss des Bundestags warnte die Bauern seinerseits vor Radikalisierung. Bär forderte die Landwirte auf, es nicht den Klimademonstranten der „Letzten Generation“ gleich zu tun, die die Sympathie der Bevölkerung verloren hätten. Mit diesem Vergleich erntete der Grünen-Politiker wütenden Protest.

Zur Münchner Kundgebung erschienen mehrere CSU-Politiker und Kabinettsmitglieder, darunter Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Sie warf der Bundesregierung am Rande der Veranstaltung vor, dem Agrar- und Industriestandort Deutschland zu schaden. CSU und Bauernverband waren einander über Jahrzehnte politisch eng verbunden, doch führte vor allem das Bienen-Volksbegehren 2019 zu einer Entfremdung. Mittlerweile versucht die CSU, verlorene Unterstützung in der Bauernschaft zurückzugewinnen.

Aiwanger als Sprachrohr der bäuerlichen Interessen?



Zur Münchner Kundgebung kam auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der zuvor die Teilnahme an gleich drei Protestveranstaltungen angekündigt hatte. Innerhalb der bayerischen Koalition gibt es häufig Ärger hinter den Kulissen, weil Aiwanger versucht, als Sprachrohr bäuerlicher Interessen aufzutreten. Aus der CSU wird dem Freie-Wähler-Chef vorgeworfen, dabei auch populistisch gegen Positionen aufzutreten, die er als stellvertretender Ministerpräsident selbst mit unterschrieben hat.

Mit den Bauern solidarisierte sich aber auch die Leitungsebene mehrerer weiterer Wirtschaftsverbände, angefangen beim Dachverband der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.

dpa