Stundenlange Verhandlungen
Neue Kostenverteilung: Bund und Länder einigen sich auf System zur Flüchtlingsfinanzierung

07.11.2023 | Stand 08.11.2023, 6:19 Uhr

Die Spitzen von Bund und Ländern – hier Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (links), Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD; Mitte) und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) – haben sich auf ein neues System zur Finanzierung und Steuerung der Asylpolitik geeinigt. − Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Die Spitzen von Bund und Ländern haben sich auf ein neues System zur Finanzierung und Steuerung der Asylpolitik geeinigt.





Der Bund werde künftig jährlich pauschal 7500 Euro pro Flüchtling zahlen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Nacht zu Dienstag nach Beratungen mit den Länderchefinnen und -chefs in Berlin. Zudem sollen Leistungen für Asylbewerber gekürzt und die Kontrollen an den Grenzen zu Nachbarländern verlängert werden.

Scholz sprach nach der Einigung von einem „sehr historischen Moment“: Es sei „angesichts einer unbestreitbar großen Herausforderungen“ wegen der hohen Flüchtlingszahlen gelungen, dass nun „alle Ebenen dieses Staates eng zusammenarbeiten“. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, bewertete die Vereinbarungen zurückhaltender: Sie seien ein „wichtiger erster Schritt“, dem weitere Schritte folgen müssten.



Länder forderten mehr Geld



Bis tief in die Nacht hatten Bund und Länder um die Kostenverteilung gerungen. Ursprünglich hatten die Länder vom Bund eine Pro-Kopf-Pauschale von 10.000 Euro gefordert. Zwar blieben die Zusagen des Bundes letztlich unter dieser Summe - doch bedeutet die Einigung den „Übergang zu einem atmenden System“, bei dem die Zahlungen des Bundes sich an der jeweiligen Flüchtlingszahl orientieren, wie Scholz sagte. „Das heißt, bei steigenden Zahlen gibt es mehr Geld und bei sinkenden Zahlen weniger“ - dieser Systemwechsel war eine der Hauptforderungen der Länder.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezifferte den Betrag, der durch die Pro-Kopf-Pauschale bereit gestellt werde, auf insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Damit hätten die Länder nochmals „einen wesentlichen zusätzlichen Erstattungsbetrag“ erzielt, der den Kommunen für die Flüchtlingsversorgung zur Verfügung stehe.

Scholz: „Das Beste“, wenn Zahl der Flüchtlinge abnimmt



Abgesehen von der Einigung in der besonders strittigen Finanzierungsfrage verständigten sich Bund und Länder auf das grundsätzliche Ziel, die Zahl der in Deutschland ankommenden Schutzsuchenden zu senken. Scholz sagte, für ihn wäre es „das Beste“, wenn die Zahl der Flüchtlinge abnimmt - „das ist der Kern all dessen, was wir vereinbart haben“.

Die staatliche Unterstützung für Asylbewerber wollen Bund und Länder spürbar kürzen und nach Möglichkeit auf Sachleistungen umstellen. Wenn sich Asylverfahren lange hinziehen, sollen die Schutzsuchenden künftig bis zu 36 Monaten die vergleichsweise niedrigen Unterstützungssätze gemäß Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Bislang wurden die Bezüge schon nach 18 Monaten ungefähr auf die Höhe der regulären Sozialhilfe angehoben.

Scholz: Leistungen mit Bezahlkarten gegenrechnen



Scholz wertete dies als „erhebliche Änderung“. Zusätzlich solle künftig sichergestellt werden, dass diejenigen, die in staatlichen Unterkünften untergebracht sind und dort Essen bekommen, „das natürlich auch gegenrechnen lassen müssen gegen die Leistungen, die sie erhalten“, fügte der Kanzler hinzu. Bundesweit sollen Leistungen möglichst über Bezahlkarten ausgezahlt werden und nicht mit Bargeld.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb im Online-Dienst X, vormals Twitter, diese Kürzungen könnten „zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen“. Dadurch werde auch „die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert“.

Grenzkontrollen „über lange Zeit“ fortführen



Bund und Länder einigten sich laut Scholz zudem darauf, die verstärkten Kontrollen an den deutschen Grenzen „über lange Zeit“ fortzuführen. Zudem verabredeten sie eine Beschleunigung der Asylverfahren. Zur Forderung der Union, Asylverfahren künftig in Drittstaaten außerhalb der EU auszuführen, wurde lediglich ein Prüfauftrag vereinbart. Scholz verwies hier auf juristische Bedenken und auf Zweifel an der Umsetzbarkeit.

Der Kanzler sagte des weiteren, dass er sich weiterhin um die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zu dem Migrationspaket bemühen werden; deren Zustimmung ist allerdings für die Umsetzung der Bund-Länder-Beschlüsse nicht unbedingt erforderlich. Er sehe aber „die Notwendigkeit, hier unter den demokratisch verantwortlichen Parteien einen Konsens herbeizuführen“, sagte Scholz.

Parteiübergreifendes Vorgehen gewünscht



Auch MPK-Chef Rhein sprach sich für ein parteiübergreifendes Vorgehen aus: „Wir müssen die irreguläre Migration stoppen und die demokratischen Kräfte müssen beweisen, dass der Staat an dieser Stelle handlungsfähig ist.“

Die unionsregierten Länder Bayern und Sachsen forderten in einer eigenen Protokollnotiz noch härtere Maßnahmen in der Asylpolitik bis hin zu einer Verfassungsänderung. Das Grundrecht auf Asyl müsse „in seiner jetzigen Form“ neu überdacht werden, schrieben sie. Ohne eine rasche Eindämmung der Migration drohe „eine Gefährdung der politischen Stabilität des Landes“.

− afp