Auf dem Amazonas des Ostens

21.02.2014 | Stand 21.02.2014, 18:19 Uhr

Der Fluss Peene fließt durch die wohl größte Niedermoorlandschaft Mitteleuropas − eine Natur, in der sich viele Tiere wohlfühlen, die sich auch vom Kanu aus beobachten lassen.  − Fotos: Anna Rettig

Manchmal hat das Biber-Fieber kein Happy End. Heute aber läuft es gut auf der abendlichen Kanusafari durch das Peenetal, einer urwüchsigen Flusslandschaft im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern. An den Wellen erkennt Carsten Enke den Nager schon aus weiter Entfernung. Nun sollen sich die drei Kanus heranpirschen. Das Paddel gleitet so leise wie möglich durch das Wasser. Und auf einmal sitzt er dort im Schilf: ein Biber, der sich eifrig putzt. "Der Kamerad macht sich schön für uns", flüstert einer der Mitpaddelnden. Dann schwimmt der Biber los, hält den Kopf über Wasser und legt eine Kür hin, die in mucksmäuschenstiller Aufregung beobachtet wird. Ein bisschen streng riecht er schon. "Biber-Muff", grinst Carsten, der Tourführer von "Abenteuer Flusslandschaft". Irgendwann hat das Tier genug und taucht ab, und die Gruppe paddelt zurück zum Solarboot, das zum Ausgangspunkt nach Anklam zurückschnurrt.

"Bis heute ein Geheimtipp"Kraniche ziehen vorüber. Ein Reh steht am Ufer im Gebüsch. Zahlreiche Fisch-, Vogel- und Säugetierarten haben sich im Naturpark "Flusslandschaft Peenetal" angesiedelt – vom Fischotter über den Eisvogel bis eben hin zu den Bibern, die ihre Dämme und Burgen errichten. Hier sind sie ziemlich ungestört: Für die Schifffahrt hat die Peene mit der Zeit an Bedeutung verloren. Und von Touristen wird die Gegend auch nicht gerade überlaufen. "Wir sind bis heute ein Geheimtipp", sagt Carsten, der es gern ruhig und mit sanftem Tourismus mag.

Nach der abendlichen Peenesafari geht es auch am nächsten Tag wieder ins Kanu – diesmal direkt am Kanuverleih in Anklam, gegenüber eines Schrottplatzes, bei dem sich die rostigen Metallberge auftürmen. Doch es dauert nicht lange, und die Anzeichen von Zivilisation verschwinden aus dem Blickfeld. Breit ist die Peene, windet sich, zunächst mit viel Schilf am Ufer. Ganz gemächlich fließt sie dahin durch die wohl größte Niedermoorlandschaft Mitteleuropas. Das Paddeln ist kein Problem. Bei einem Gefälle von 20 Zentimetern zwischen Ursprung am Kummerower See und der Mündung ist kaum eine Strömung spürbar. Manchmal liegt die Wasseroberfläche sogar so glatt, dass sie zum Spiegel für die wilde Uferböschung wird.

Warum das Peenetal gern als "Amazonas des Ostens" bezeichnet wird, ist bald klar. Die Ufer sind größtenteils naturbelassen. Zahlreiche Abschnitte des Moors, die zu DDR-Zeiten noch landwirtschaftlich genutzt wurden, werden seit einigen Jahren renaturiert. Und wenn irgendwann der Auenwald in Sicht kommt, könnte man tatsächlich denken, man sei im Urwald. Denn mit einem Gewirr aus Schnarren und Rufen ändert sich die Geräuschkulisse. Exotische Tiere sind es aber nicht, sondern "nur" Stare. Zwischendurch ein Kuckuck. Und immer wieder auch andere Vögel.

Touristen hingegen sieht man kaum. Ab und zu treibt ein Hausboot vorbei. Ein paar Paddler grüßen vom gegenüberliegenden Ufer. Kilometerweit kann es dauern, bis der nächste kleine Ort oder die nächste Anlegestelle auftaucht. Mal etwas größer wie in Stolpe, wo man unter anderem im Fährkrug für eine bodenständige Mahlzeit einkehren kann. Oder kleiner und gemütlicher wie in Menzlin. Vor rund 1200 Jahren sind die Wikinger bis hierhin vorgedrungen und siedelten einige Zeit in friedlicher Koexistenz mit den Slawen in direkter Nachbarschaft.

Heute kann man an der Anlegestelle bei Rainer eine Rast einlegen, der immerhin so aussieht wie einer ihrer späten Nachfahren: eine viereckig kräftige Erscheinung mit Vollbart und Haarmatte. Manchmal verkleidet er sich als Wikinger und führt Touristen zu den Gräbern, die ganz in der Nähe entdeckt wurden. "Wahrscheinlich wurden darin nur Frauen bestattet", erklärt der 58-Jährige, der als Hobbyarchäologe schon Münzen, Keramik und "auf Eingebung von Gott Odin" bei einem spontanen Tauchgang eine Fibel gefunden hat. "Als Beigaben waren nur Schmuck und Kämme in den Urnen, aber keine Waffen." Die Urnen aus den freigelegten 33 Wikinger-Gräbern, von denen es rund 850 geben soll, stehen in Museen verstreut. Lediglich die mit Steinen ausgelegten Umrisse der Gräber in Bootsform sind in Menzlin in der Nähe des Peene-Ufers zu sehen.

Einen Uferweg entlang der Peene gibt es (noch) nicht. Dennoch lassen sich die Erkundungen auch an Land fortsetzen. Steffen Pässler radelt gut gelaunt voran. Er ist Ranger im 2011 gegründeten Naturpark, der mehrere Naturschutzgebiete verbindet und sich über eine Fläche von knapp 34 000 Hektar durch das Peenetal zieht. "Hier gibt es eines der vogelreichsten Gebiete Europas", erklärt er, kurz nachdem ein Seeadler auf der Jagd unzählige Enten und Graugänse aufgescheucht hat. "Auch geschützte Vogelarten wie die Rohrdommel, das Tüpfelsumpfhuhn oder der Große Brachvogel brüten hier." Im gemütlichen Tempo steuert Pässler das Anklamer Stadtbruch an – ebenfalls eines der Gebiete, die renaturiert werden. Der Weg dorthin führt über den Schotter einer ehemaligen Bahntrasse, bei der die Gleise entfernt wurden.

Wie ein neues Moor entsteht"Seit einer Sturmflut stehen die Bäume im Wasser und sterben langsam ab", erklärt Steffen Pässler. "Nach und nach entsteht hier in den nächsten Jahren eine Moorlandschaft." Das Anklamer Stadtbruch wirkt wie ein Landstrich, der aus einem Film des Fantasten Tim Burton stammen könnte. Gleichermaßen eindrucksvoll und gespenstisch ragen abgestorbene, graue Baumstämme aus dem hellgrün bemoosten Grund. Verstärkt wird dieser morbide Anblick noch von den Scharen an Kormoranen, die wie schwarze Schatten darauf hocken, ihre Nester bauen und lauthals herumkrächzen.

Nicht weit von dieser Szenerie kann man vom Ufer des Peenestroms die Reste der 1945 gesprengten Hubbrücke Karnin sehen. Einst war sie Teil der Bahnstrecke, die Berlin mit Swinemünde auf der Insel Usedom verband. Letztere liegt nah, in Sichtweite am anderen Ufer, und ist mit ihren vollen Stränden doch denkbar weit entfernt von dieser touristisch recht unentdeckten Welt.

INFO Übernachten: Herrenhaus Libnow, im denkmalgeschützten Backsteingebäude mitten im Grünen ist unten die Kunstgalerie des Inhabers, im ersten Stock sind die Gästezimmer – zum völligen Abschalten ohne Fernseher und WLAN,  03971/259387, www.herrenhaus-libnow.de; Gutshof Liepen, ein ehemaliger Gutshof wurde zur Hotelanlage umgebaut mit komfortablen Zimmern und gehobener Regionalküche, www.gutshof-liepen.de.

 Wasserwandern: Bootsverleih und Tourenanbieter "Abenteuer Flusslandschaft" in Anklam, dort können ein- und mehrtägige Wasserwandertouren durchs Peenetal gebucht werden,  03971/2469709, www.abenteuer-flusslandschaft.de.

 Naturpark: Touren mit Rangern, www.naturpark-flusslandschaft-peenetal.de.

 Auskunft: Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, www.auf-nach-mv.de.

Sascha Rettig ist freier Reisejournalist aus Berlin. Seine Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern und Abenteuer Flusslandschaft.