35 Jahre Mercedes G-Klasse
Forsthaus Falkenau trifft Formel 1

11.08.2014 | Stand 11.08.2014, 11:49 Uhr

Kult-Kasten: Äußerlich hat Mercedes die G-Klasse – hier der 544 PS starke G 63 AMG – in 35 Jahren immer nur dezent verändert. − Fotos: Daimler

Alle Preise, die es in ihrer Welt zu gewinnen gibt, räumt sie seit dreieinhalb Jahrzehnten zuverlässig ab. Der Titel "Auto der Vernunft" wird nie dabei sein. Die G-Klasse von Mercedes ist ein Berg von Blech, windschnittig wie ein Hochsee-Container, schaut fast noch genau so aus wie 1979 – und ist trotzdem gefragt wie nie. Ob daher die Faszination für diesen Dinosaurier des Automobilbaus rührt? Überragende Fahreigenschaften können es jedenfalls nicht sein, wie sich im PNP-Test herausgestellt hat.

Der Schriftzug "V8 Biturbo" am Kotflügel kündigt das Donnerwetter an. Und das infernale Grollen ertönt, wenn der 5,5 Liter große Achtzylinder zum Leben erweckt wird. Ouvertüre für die PNP-Testfahrt mit dem G 63 AMG. Einem eindrucksvollen Beleg dafür, wie sehr sich die G-Klasse in den vergangenen 35 Jahren vom Nutzwert-orientierten Gelände-Spezialisten zum hochpreisigen Schickimicki-Accessoire gewandelt hat. Besonders eindrucksvoll deshalb, weil das 544 PS starke Triebwerk diesem kantigen Koloss zu einer Längsbeschleunigung verhilft, für die er ursprünglich niemals auch nur im Entferntesten gedacht war. Wenn zweieinhalb Tonnen Auto in nicht einmal fünfeinhalb Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 katapultiert werden und den verdutzten Testfahrer dabei unter höllischem Gebrüll aus den je zwei "Sidepipes" (seitliche Auspuffendrohre) die Wucht von 760 Newtonmetern im Rücken spüren lassen, dann entgleisen Gesichtszüge und kommen Zweifel auf an dem, was man mal im Physikunterricht über Masse und Trägheit gelernt hat.

Nein, so ein Ungetüm braucht definitiv kein Mensch. Aber woher dann diese Begeisterung für etwas, das in Zeiten von CO2-Diskussion, Zylinder-Sterben und dem Streben nach perfekter Aerodynamik im Automobilbau mit keinem rationalen Argument zu erklären ist? Vielleicht liegt die Antwort genau in dieser Frage. Der Kauf einer G-Klasse ist eine Bauch-, keine Kopfentscheidung – ähnlich wie bei einem Sportwagen. Gedanken an die gewaltige Größe, den horrenden Verbrauch (13,8 Liter auf dem Papier, verlässlich zwischen 16 und 18 im PNP-Test) und die happigen Anschaffungskosten spielen da keine Rolle. Ein G genießt Kultstatus. Und ist unverwüstlich: Ein überdurchschnittlich hoher Teil der über 230000 jemals verkauften G-Klassen ist heute noch zugelassen, berichtet Mercedes-Sprecher Christian Anosowitsch.

Montage seit 1979 bei Steyr in GrazDie "G-schichte" begann schon 1973 mit einem Kooperationsvertrag zwischen Daimler-Benz und Steyr-Daimler-Puch in Graz. Die Österreicher waren schon für ihre extrem geländegängigen Modelle "Haflinger" und "Pinzgauer" bekannt und sollten nun gemeinsam mit den Deutschen ein leichtes Geländefahrzeug mit Vierradantrieb und breitem Motoren-Angebot für den privaten Nutzer auf die Räder stellen. Die ersten Großaufträge fuhr allerdings die Militärversion ein. Der Schah von Persien bestellte 1975 gleich mal 20000 Fahrzeuge. Bis zum Produktionsstart gab es zwar keinen Schah von Persien mehr, dafür kauften die deutsche Polizei, der deutsche Bundesgrenzschutz und das österreichische Bundesheer. Militäraufträge aus Argentinien, Norwegen und der Schweiz folgten bald.

Die Serienfertigung begann Anfang 1979 im Puch-Werk in Graz. Dort wird die G-Klasse noch heute montiert – in "spezialisierter Handarbeit", wie es bei Mercedes heißt. Erst vor kurzem musste die Produktionskapazität sogar erhöht werden, denn weltweit ist die Nachfrage ungebrochen. 2009 wurden jährlich rund viereinhalb Tausend G-Klassen verkauft, nach dem Facelift 2012 hat sich die Zahlen inzwischen fast verdreifacht. G-Fahrer sind finanziell unabhängig. Schon die Einstiegsversion mit 211-PS-Diesel kostet 83311 Euro. Den günstigeren und rustikalen "Professional" für Jäger, Förster und Landwirte hat Daimler kürzlich aus dem Programm genommen. Auch das Cabrio mit kurzem Radstand gibt’s nicht mehr.

Hälfte aller G-Klassen wird als AMG verkauftRund die Hälfte (!) aller verkauften G-Klassen trägt ein Logo von Mercedes-Haustuner AMG. Hat also mindestens 544 PS unter der kantigen Motorhaube und kostet minimum 137504 Euro. Spätestens, seit die geballte Hollywood-Prominenz mit der G-Klasse den Sunset Boulevard auf und ab patroulliert, fahren auch Scheichs, Oligarchen und neureiche Chinesen total auf den schwäbisch-österreichischen Kult-Kasten ab, bevorzugt freilich auf die hochgezüchteten. Zumal die aktuelle G-Klasse trotz antiquiert wirkender äußerlicher Optik inzwischen absolut zeitgemäßen Luxus zu bieten hat.

War der Ur-G innen noch sehr zweckmäßig gestaltet mit lackierten Blechoberflächen, sparsamer Innenverkleidung und nur sporadisch eingesetzten Formschaumteilen, wird das Interieur heutzutage selbst höchsten Ansprüchen gerecht. Edelholz, Carbon und Leder verdecken längst das blanke Blech. Zeitgemäße Multimedia-Spielereien, Navigation, Klimaautomatik, Sitzheizung sind obligatorisch. Viel für eine opulente Möblierung im Stil der gehobenen Pkw-Sparte von Mercedes wurde bei der jüngsten Modellpflege vor zwei Jahren unternommen. Unter anderem thront seitdem ein LCD-Bildschirm auf dem Armaturenträger, das "Command"-System ermöglicht Internetzugang, Sprachsteuerung und Bluetooth-Verbindung. Totwinkel-Warner, Abstandsregel-Tempomat und Start-Stopp-System stehen ebenfalls auf der Liste.

Ist der G 63 AMG also im Endeffekt nichts anderes als ein übergroßer luxuriöser Sportwagen, ein SUV quasi, versteckt unter einer urigen Hülle? Weit gefehlt! Spätestens bei der ersten Kurve zeigt sich, dass ambitionierte Querbeschleunigung nach wie vor ganz und gar nicht die Welt der G-Klasse ist. Selbst mit Allradantrieb auf trockener Straße gerät die Fuhre rasch ins Wanken und ist der Regelbereich des Stabilitätssystems schnell erreicht. Leiterrahmen und Starrachsen mögen im schweren Gelände ein unschlagbares Argument sein. Und mit der Kombination des permanenten Allradantriebs mit einem elektronisch gesteuerten Traktions-System, einer "Low-Range"-Untersetzung und drei zuschaltbaren Differenzialsperren wäre die G-Klasse im Outback gewiss allen Herausforderungen gewachsen. Auf Autobahnen und kurvigen Landstraßen ist aber allein schon wegen des hohen Schwerpunkts höchste Vorsicht geboten. Nicht umsonst bremst die Elektronik den G 63 AMG bei 210 km/h sicherheitshalber ein.

Weil der Scheich es so will: G 65 leistet 612 PSDie solvente Kundschaft nimmt derlei Schwächen klaglos in Kauf. Und verlangt stattdessen nach noch absurderen Eskalationsstufen, die noch viel weiter über die Horizonte von Otto-Normal-Autofahrern schießt als der G 63. Nur weil in Russland, China und den Golfstaaten nachdrücklich "Bedarf" angemeldet wurde, gibt es den G 65 AMG, dessen V12-Biturbo irrwitzige 612 PS und 1000 Newtonmeter hervorbringt. Dass der Preis mit 264180 Euro etwa doppelt so hoch liegt wie beim G 63, sei übrigens nicht die Idee eines nimmersatten Vertriebsleiters gewesen, sondern tatsächlich ebenfalls ein Kundenwunsch, wie der frühere AMG-Chef Ola Källenius einmal im Gespräch mit der PNP versichert hat: "Wer einen G 65 fährt, will damit zeigen, dass er sich das leisten kann."

Es wäre natürlich gelacht, wenn damit schon das Ende der Fahnenstange des Wahnsinns erreicht wäre. Seit knapp einem Jahr heizen verwöhnte Wüstensöhne mit dem G 63 AMG 6x6 über die Dünen. Ursprünglich mit Dieselmotor fürs australische Militär entwickelt, hat der monströse Dreiachser auch mit dem 544 PS starken V8-Biturbo und Vollausstattung schon über 100 Kunden gefunden, denen eine solche G-Klasse 451000 Euro wert war. Es ist also schwer davon auszugehen, dass es mit der Auszeichnung zum "Auto der Vernunft" auch in den nächsten 35 Jahren nichts mehr werden wird.