Schöllnach
Landarztmangel: Ein Arzt aus dem Landkreis Deggendorf erzählt

11.02.2018 | Stand 21.09.2023, 21:44 Uhr
Ute Wessels

Landarzt Roman Staudinger aus Schöllnach (Landkreis Deggendorf) spricht während einem Hausbesuch mit einem Patienten. − Foto: dpa

Zwischen Praxisalltag, Krankenbesuchen und Notfällen - Hausärzte betreuen ihre Patienten in der Regel über Jahrzehnte. Viele der Mediziner auf dem Land stehen in Bayern kurz vor dem Ruhestand. Sie eint ein Problem: einen Nachfolger für ihre Praxis zu finden. So erging es auch Hausarzt Roman Staudinger, der eine Praxis in Schöllnach (Landkreis Deggendorf) hat.

Zwei Jahre lang hat Roman Staudinger gesucht: Jetzt hat er eine Nachfolgerin für seine Hausarztpraxis in Schöllnach gefunden. Der 67-Jährige ist darüber heilfroh. Nicht jedem seiner Kollegen gelingt es, die Praxis in andere Hände zu geben - junge Hausärzte aufs Land zu locken, ist schwierig. Dabei, sagt Staudinger, sei das ein wunderbarer Beruf. Laut Kassenärztlicher Vereinigung (KVB) sind Hausärzte in manchen Städten und Gemeinden durchschnittlich älter als 60 Jahre und stehen kurz vor dem Ruhestand. Akuter Mangel droht.

Seit fast 30 Jahren betreut Staudinger seine Patienten in Schöllnach (Landkreis Deggendorf). "Man kennt sich, man wird gemeinsam älter", berichtet er. Oft sei er Seelentröster gewesen. Ein Arzt auf dem Land habe ein besonders enges Vertrauensverhältnis zu seinen Patienten. Das ist einer der Gründe, weswegen sich die Internistin Andrea Freund entschieden hat, die Praxis zu übernehmen. Die 40-Jährige war zuletzt Oberärztin im Krankenhaus Vilshofen. In einer Klinik bleibe man für die Patienten ein Fremder, sagt sie. "Sie werden entlassen und man sieht sich in der Regel nicht wieder."

Patienten haben Angst davor, keinen Hausarzt auf dem Land zu haben

Für Staudinger ist Freund ein Glücksfall. Die Patienten hätten sich sehr gesorgt, wie es denn weitergehe. "Die Leute haben echt Angst davor, keinen Hausarzt mehr zu haben", sagt er. Gerade für ältere Menschen ohne Auto wäre das ein Problem. Deswegen hätte er es auch nicht übers Herz gebracht, die Praxis einfach zuzusperren. "Da gibt es doch ein gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber den Patienten." Solange er gesund ist, hätte er einfach weitergemacht. Jetzt macht Andrea Freund weiter. Vier Monate arbeitete sie zur Eingewöhnung mit, ab 1. April ist sie dann die neue Landärztin von Schöllnach.

Warum junge Allgemeinmediziner das Land scheuen? Staudinger sieht hier mehrere Gründe. Der generelle Trend, in Städte zu ziehen, spiegle sich auch in diesem Beruf. Zudem schwinge noch immer die Vorstellung mit, dass Hausärzte früher schlecht bezahlt waren und zudem ständig abrufbereit sein mussten. Das habe sich jedoch verbessert. Finanziell sei die Diskrepanz zu anderen Fachärzten nicht mehr so groß, und die Bereitschaftsdienste seien gut geregelt.

Auch das Themenspektrum von der Kinderimpfung bis zum Schlaganfall schrecke wohl viele Medizinstudenten ab. Die Allgemeinmedizin werde zu Unrecht auf Husten, Schnupfen und Heiserkeit reduziert, findet Staudinger. "Manche Patienten schleppen sich erst kurz vorm Herzinfarkt in die Praxis - da kann es schon sein, dass mal einer aufhört zu atmen." Dann gelte es, schnell und vor allem alleine richtige Entscheidungen zu treffen.

Ein Notfall für den Landarzt pro Quartal

Anders als in einer Gemeinschaftspraxis in der Stadt sei man auf dem Land meist Einzelkämpfer. Etwa einmal im Quartal habe er einen Notfall, bei dem der Rettungshubschrauber kommen muss. "Die Piloten kennen sich hier schon aus", sagt Staudinger. "Die wissen, dass sie auf der Wiese hinter der Praxis landen können." Der 67-Jährige sah in der medizinischen Vielfalt des Hausarztes auch den Reiz des Berufes.

Prestigedenken, Arbeitsbelastung und Verdienst nennt auch Dieter Geis, der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, als Gründe für ausbleibende Nachwuchs-Landärzte. Häufig sei es auch für den Ehepartner des Arztes schwierig, einen Job auf dem Land zu finden - und dann blieben eben beide in der Stadt. Andrea Freund lebt mit ihrer Familie in einem Nachbarort von Schöllnach. Das hat ihr die Entscheidung für die Praxisübernahme leichter gemacht.

Der Hausarztmangel auf dem Land ist kein neues Problem, jedoch wird es immer drängender. Laut KVB sind Hausärzte im Freistaat durchschnittlich 55 Jahre alt, in Wassertrüdingen ist der Altersdurchschnitt mit 62 Jahren am höchsten, in Ochsenfurt und Oberstdorf sind die Hausärzte mit 51 Jahren am jüngsten. Bereits unterversorgt sind Feuchtwangen und ein Teil der Region Ansbach, eng wird es in nächster Zeit unter anderem in Dinkelsbühl, Lohr am Main, Speichersdorf, Tirschenreuth, Vilsbiburg und im südlichen Ingolstadt.

Unterstützung für Ärzte auf dem Land

Gesundheitsministerium und KVB wollen dem Landarztmangel mit Fördermitteln entgegenwirken. 2017 schüttete die KVB nach eigenen Angaben rund 1,75 Millionen Euro an Hausärzte aus, die etwa eine Praxis auf dem Land übernommen oder aufgebaut haben. So sei unter anderem in Viechtach, Bogen, Selb und Waldsassen eine drohende Unterversorgung abgewendet worden. Das Gesundheitsministerium bezuschusst Niederlassungen in betroffenen Regionen ebenfalls.

"Es passiert schon viel", findet Hausärzteverbands-Vorsitzender Geis. Hilfreich könnte auch ein sogenanntes freiwilliges Primärarztsystem sein, das zusätzliche Anreize für Patienten bietet, zuerst ihren Hausarzt aufzusuchen. Eine weitere Option könnten niedrigere Krankenversicherungstarife für Patienten sein, die sich in einen Hausarztvertrag einschreiben.

Auch die Ärztin Andrea Freund in Schöllnach hat Fördergelder beantragt. Für ihre künftige Praxis hat sie ein Ultraschallgerät gekauft. So könne sie ihre internistische Kompetenz im Praxisalltag stärker einbringen, sagt sie. Und Staudinger fällt der Abschied leichter: Er weiß die Praxis und seine Patienten in guten Händen.

− dpa