Mit dem Containerschiff von Hamburg nach Singapur

08.11.2013 | Stand 08.11.2013, 12:14 Uhr

Im Gänsemarsch passieren die Frachtschiffe den Suezkanal. Hier gibt es rechts und links viel zu sehen. Doch es gibt zum Beispiel auch drei Wochen, die das Schiff durchgängig auf hoher See verbringt. Passagiere müssen sich ihre Zeit dann mit anderen Aktivitäten vertreiben.  − Foto: Paul Ehrhardt

Es ist ein grauer Sonntagmorgen in Hamburg. Der Mann in der Hafenbehörde am Burchardkai prüft meine Papiere, die mich als Passagier des Containerschiffs Andromeda ausweisen. "Wohin?", fragt er. "Singapur", antworte ich. Er schließt meinen Pass. "Die Welt ist groß", sagt er und blickt aus dem Fenster. Draußen verschwimmen die Hafenkräne im Nebel. Ich verlasse das Büro und warte auf den Wagen, der mich zum Schiff bringen soll. Es geht los.

An der steilen Gangway werde ich freundlich begrüßt, mein Gepäck wird an Bord getragen. Dann gleich der Hinweis: Während der Fahrt gelte ich als Mannschaftsmitglied. Es folgt die Sicherheitseinweisung durch den ersten Offizier, welcher für die gesamte Reise mein Ansprechpartner sein wird. Meine Kabine befindet sich zwei Etagen unter der Brücke, der Schiffszentrale: 20 Quadratmeter mit Bad, Doppelbett, Sitzgruppe, Kleiderschrank und Schreibtisch. Aus breiten Fenstern schweift der Blick über den Hafen. Von der Seemannsmission hat man mir einige Bücher besorgt. Ich habe einen Fernsehraum mit Kaffeeautomat, kann den Fitnessraum benutzen.

28 Mann Besatzung und ein PassagierDas Schiff besitzt vier Passagierkabinen. Da ich auf dieser Reise der einzige Passagier bin, steht alles zu meiner alleinigen Verfügung. In den kommenden Wochen werde ich also hier zu Hause sein. Ich weiß nicht, wann ich zum ersten Mal von der Möglichkeit erfuhr, als Passagier auf Frachtern über die Weltmeere zu kreuzen, jedenfalls ist es schon lange her. Trotzdem ich viele Jahre meines Lebens auf Reisen verbracht habe, hat dieser Gedanke stets in meinem Kopf gespukt, ein Bubentraum. Am Ende war es dann nur ein Klick, Google-Stichwort "Frachtschiffreisen". Es ist ein französisches Containerschiff mit 28 Mann Besatzung. Bordsprache ist Englisch. Die Schiffsoffiziere sind fast sämtlich Kroaten, die übrige Mannschaft besteht aus Philippinos.

Als die Andromeda am nächsten Vormittag den Hafen verlässt, bin ich auf der Brücke, inmitten des Bordbetriebs. Es geht die neblige Elbe hinunter. Die offene Nordsee erreichen wir am Abend. Das Wasser ist ruhig. Mit seinen 360 Metern Länge und fast 60 Metern Breite würde das Schiff aber auch bei ruppigem Wetter wie ein Brett auf dem Wasser liegen. Unsere nächsten Ziele sind Bremerhaven, Rotterdam, Zeebrügge, Le Havre und Southampton. Überall liegen wir etwa einen halben Tag. Diese Zeit nutze ich und gehe von Bord auf Erkundung. Da die eher kurzen Liegezeiten mit Ladetätigkeit ausgefüllt sind, unternehmen die Mannschaften im Allgemeinen keine oder nur kurze Landgänge.

Ich habe zu allen Schiffsbereichen Zutritt. Mannschaft und Offiziere haben getrennte Speiseräume. Meine Mahlzeiten nehme ich an einem gesonderten Tisch im Offizierskasino ein, wo die Bedienung durch einen Steward erfolgt. Der Speiseplan orientiert sich im Wesentlichen am Geschmack des kroatischen Mannschaftsteils und ist gut mit deutscher Hausmannskost zu vergleichen. Auch für die Philippinos wird eine ihrem Heimatgeschmack angepasste Verpflegung gekocht. Als Passagier bietet man mir zu den Mahlzeiten auch Wein, Bier oder einen Brandy an. Für die Mannschaft herrscht indes strenges Alkoholverbot. Rauchen ist in allen Schiffbereichen allgemein verboten. Mit den Köchen − sämtlich Philippinos − komme ich ins Gespräch. Der Kapitän hatte sie wissen lassen, meine eventuellen besonderen Essenswünsche zu berücksichtigen, sofern das mit den vorhandenen Bordmitteln möglich sei.

Die Crew besteht aus nautisch-seemännischen Offizieren, Ingenieuren und Technikern des Maschinenraums sowie den mit Lade- und Wartungsarbeiten Beschäftigten. Die Arbeit an Bord unterscheidet sich nicht wesentlich von der Schichtarbeit eines Industriebetriebes an Land. Auf diesen großen Containerschiffen wenigstens, mit strenger Dienstordnung und straffen Zeitvorgaben, ist also von Seemannsromantik wenig zu spüren.

Nun sind wir zehn Tage auf See. Nach Osten geht der Kurs, vorbei an Sizilien, Malta und Zypern. Immer wieder kommen Nordafrikas Sandstrände in Sicht. Im Steuerraum habe ich reichlich Gelegenheit, mich mit den Diensthabenden zu unterhalten. Ein engerer Austausch kommt nach einigen Tagen mit den Crew-Mitgliedern zustande, mit denen ich räumlich den meisten Kontakt habe. Das sind der Kapitän, die nautischen Offiziere und Kadetten sowie auch die Ingenieure. Sie sind froh über die Abwechslung, die ein neues Gesicht an Bord mit sich bringt.

Während der Ladetätigkeit in den Häfen ist die Bewegungsfreiheit an Bord aus Sicherheitsgründen beschränkt. In der übrigen Zeit kann ich mich aber frei bewegen. So spaziere ich − vorschriftsgemäß mit Helm, Warnweste und Sicherheitsschuhen − über die äußeren Bordanlagen. Auf meine Bitte führt mich der Chefingenieur durch den Maschinenraum und erklärt mir die Anlagen ausführlich − über mein Interesse offensichtlich erfreut. Man hatte mir vor Reiseantritt mitgeteilt, dass ich mich auf einem "arbeitenden Schiff" befände und keine speziellen Unterhaltungs- oder Veranstaltungsangebote erwarten könnte. So lausche ich oft meinem Radio-Weltempfänger. Auf diesem Reiseabschnitt ertönte erst spanisches, dann italienisches und griechisches Programm. Endlich wird die Musik arabisch. An einem Sonntagmorgen laufen wir in Beirut ein.

Luxus und Stacheldraht in BeirutUm 7 Uhr macht die Andromeda fest. Be- und Entladen beginnen zehn Minuten später, wird die ganze Nacht dauern und erst etwa zehn Minuten vor dem Ablegen beendet sein. Von den Grenzbehörden erhalte ich einen Tagespass. So fahre ich mit einigen Seeleuten in die Stadt. Sie ist komplett neu aufgebaut. Kirchen und Moscheen sind restauriert. Geschäfte gehobener Preisklasse mit internationalem Markenangebot begleiten die Flanierstraßen, schicke Cafés dazwischen. Überall parken Autos der Premiumklasse: Rolls-Royce, Bentley, Ferrari. Im Kontrast dazu stehen an allen Kreuzungen Panzer mit Luftabwehrkanonen. Stadtviertel sind durch Stacheldraht gesichert, schwerbewaffnete Miliz patroulliert.

Port Said, den Eingang zum Suezkanal, erreichen wir am nächsten Abend. Zunächst kommt der Suez-Lotse an Bord, ein über 70 Jahre alter Ägypter. Er wird uns während der Kanalfahrt leiten. In seinen jungen Jahren hat er einige Jahre für eine deutsche Reederei gearbeitet und freut sich, im Gespräch mit mir seine verbliebenen Deutschkenntnisse aufzubessern. Zunächst ist der Kanal auf beiden Ufern dicht besiedelt. Das Schiff scheint mitten durch die hell beleuchteten Stadtzentren zu gleiten. Als ich gegen 6 Uhr morgens erneut auf die Brücke komme, ist nur noch das rechte Kanalufer bewohnt. Links liegt die Wüste im Morgendunst. Es ist ein eigenartiger Gegensatz: Auf der einen Seite dichtes Leben, moderne Siedlungen. Auf der anderen Seite erstreckt sich die kahle Wüste.

Vormittags erreichen wir den großen Bittersee. Hier wird Anker geworfen, wir warten mit etlichen anderen Schiffen auf die Erlaubnis zur Weiterfahrt. Am frühen Nachmittag befahren die riesigen Schiffe dann im Gänsemarsch den Kanal. Zwischen den Giganten queren kleine Fährboote den Kanal, beladen mit Menschen und Autos. Der Lotse verlässt uns in Suez. 48 Stunden später sind wir in Jeddah in Saudi-Arabien. Die heiligen Orte Medina und Mekka sind nahe. Ich bleibe an Bord, liege auf dem Balkon vor meiner Kajüte in der Sonne und höre arabische Musik. Nach nur relativ kurzer Ladetätigkeit geht es weiter, in den nächsten drei Wochen werden wir auf See bleiben.

Angst vor den PiratenIm Arabischen Meer, entlang der jemenitischen Küste, beginnt das durch Piraten gefährdete Seegebiet. Über diese Kriminalität informiert die stets auf dem neuesten Stand gehaltene Schiffsbibliothek. Wegen der Piratengefahr benutzen wir den Sicherheitskorridor für Frachtschiffe. Nach etwa 400 Kilometern ist dieser passiert, wir erreichen den offenen Indischen Ozean. Ab jetzt wären wir im Falle eines Angriffs auf uns selbst gestellt. Schiffe von der Größe der Andromeda haben aber nicht viel zu befürchten. Mit 25 Metern Bordhöhe und einer Höchstgeschwindigkeit von 25 Knoten hätten die kleinen und langsamen Piraten-Fahrzeuge keine Chance. Trotzdem bleiben in diesem Seegebiet alle Schotten verschlossen. Die Brücke erhält Sicherheitswachen, die Reederei zahlt doppelten Sold, Außenaufenthalt an Bord ist verboten.

Im Falle einer Enterung würde das Schiff von der Mannschaft manövrierunfähig gemacht werden und ein Notruf ausgesendet werden. Alle Mann würden einen befestigten Schutzraum aufsuchen, welcher für sieben Tage mit allem Erforderlichen ausgestattet ist. Während dieses Zeitraums sollte dann − so jedenfalls die Theorie − Hilfe von Land eintreffen. Seit vielen Monaten ist kein derartiges Ereignis in diesem Gebiet gemeldet worden. So rechnet auch jetzt niemand ernsthaft damit. Doch bemerken wir eines Morgens einen kleinen Trawler, der unbeleuchtet vor uns auf dem Wasser liegt.

Kontaktaufnahme ist nicht möglich. Anhand der Warnmeldungen kann dieses Schiff als ein vor vielen Monaten gekapertes Fahrzeug identifiziert werden, vermutlich mit dessen ursprünglicher Mannschaft an Bord als Geiseln. Bis diese Gefangenen gegen Geldzahlung ausgelöst werden, sind sie zumeist gezwungen, das Schiff im Dienste ihrer Entführer weiterzuführen. Als jetzt der Kapitän den Kurs wechseln lässt und abläuft, folgt uns das Piratenschiff sofort über eine kurze Distanz. Schließlich dreht es aber ab.

Sonst ist das Meer völlig einsam, kein Frachtverkehr, keine Fischerei. Der Ozean ist spiegelglatt. Tagelang fahren wir durch dichte Schwärme von Fischen. In den Wellen zu beiden Schiffsseiten spielen Makrelen und Thunfische. Vor dem Bug springen Delfine. Schließlich haben wir das Piratengebiet durchquert. Wir umrunden die Südspitze Indiens und laufen eine Woche später in die Straße von Malakka ein. Unser Hafen in Malaysia ist Port Klang. Ich fahre mit dem Taxi in die moderne Stadt. Nach den Wochen an Bord muten die Einkaufszentren und buntgekleideten Menschen besonders an.

Wenige Tage später erreichen wir Singapur. Nach 42 Tagen verlasse ich etwas wehmütig das große Schiff und seine freundliche Mannschaft. Der Mann in der Hafenbehörde prüft meine Papiere. "Woher?", fragt er mich, diesmal auf Englisch. "Hamburg", antworte ich. Er schließt meinen Pass. "Die Welt ist groß", sagt er und blickt aus dem Fenster. Draußen liegen die Hafenkräne im gleißenden Sonnenlicht. Ich verlasse das Büro. Immer noch klingt das Dröhnen des Schiffs leise in meinen Ohren. Ein Taxi hält, der Fahrer öffnet die Tür. Ich steige ein.

Dr. Paul Ehrhardt stammt aus Passau und verwirklichte mit der privat organisierten Frachtschiffreise seinen Kleinbubentraum.