Nürnberg
Verbrechen an Prostituierten bleiben in Bayern oft ungeklärt

09.06.2017 | Stand 19.09.2023, 22:49 Uhr

Viele Morde an Prostituierten werden niemals aufgeklärt. −Symbolfoto: dpa

Eine 30-Jährige in Nürnberg, eine 35-Jährige in Regensburg und sogar gleich zwei Frauen in einer Nacht in Hof: Viele Morde an Prostituierten werden niemals aufgeklärt oder erst nach Jahrzehnten. Bei mehreren solcher Verbrechen in Bayern sucht die Polizei auch nach 25 oder 30 Jahren noch immer nach den Tätern. Auch in zwei aktuellen Fällen aus Nürnberg tappt die Polizei noch im Dunkeln. Fallanalytiker aus München sollen nun helfen, dem Täter auf die Spur zu kommen. Das Bundeskriminalamt stuft Prostituierte als "Gruppe mit hohem Opferrisiko" ein. Eine Beratungsorganisation sieht das anders.

In Nürnberg sind innerhalb weniger Tage zwei Prostituierte getötet worden: eine 22-jährige Rumänin und eine 44 Jahre alte Frau aus China. Todesursache war in beiden Fällen "Gewalt gegen den Hals", wie die Polizei schreibt. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um denselben Täter handelt. Dies legen die Obduktionsergebnisse und die "Auffindesituationen an den Tatorten" nahe.

Beide Frauen waren erst seit kurzem in Nürnberg, und beide Taten ereigneten sich in sogenannten Modellwohnungen. Diese Einzimmer-Apartments in Mehrfamilienhäusern werden von den Prostituierten meist nur für eine bis drei Wochen angemietet. Denn viele der Frauen halten sich nur kurz in einer Stadt auf. Sie reisen europaweit herum.

Aussagebereitschaft im Rotlichtmilieu "nicht die beste"

Dies erschwert die Arbeit der Ermittler: Oft kannten die Opfer noch niemanden in der Stadt - alles spielt sich in der Anonymität ab. Zudem sei die Aussagebereitschaft im Rotlichtmilieu "nicht die beste", sagt Polizeisprecher Michael Petzold. Um dem entgegenzuwirken, starteten die Beamten am Freitag eine Info-Kampagne. 60 Beamte klapperten alle rund 240 bordellartigen Einrichtungen im Raum Nürnberg ab und verteilten dort einen Fahndungsaufruf in fünf verschiedenen Sprachen. Ziel sei, dabei mit möglichst vielen Sexarbeiterinnen ins Gespräch zu kommen.

Denn die meisten der Frauen hätten von den Verbrechen noch gar nichts mitbekommen. Für viele gebe es eine Sprachbarriere: Etwa 90 Prozent der Prostituierten seien Ausländerinnen - vor allem aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Viele kämen auch aus Asien oder Afrika.

Laut der Nürnberger Beratungsstelle für Prostituierte "Kassandra" sind jetzt viele Sexarbeiterinnen in der Stadt verängstigt. Dennoch wolle keine von ihnen aufhören zu arbeiten. "Sicherlich haben es auch nicht alle mitbekommen", sagt auch Sandra Ittner von "Kassandra".

Von den sieben Prostituiertenmorden in Nürnberg zwischen 1979 und 2003 wurde nur ein einziger aufgeklärt, der Täter zu lebenslanger Haft verurteilt. Vor 14 Jahren wurde hier zuletzt eine Sexarbeiterin getötet. Aus den Spuren schloss die Polizei, dass sich die 65-Jährige gegen ihren Mörder gewehrt hatte. Der Fall ist bis heute nicht geklärt - genauso wenig der einer 30-Jährigen aus dem Jahr 1986. 25 Jahre danach baten die Fahnder in der Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" erneut um Hinweise. Sie konnten dem Täter inzwischen eine markante Schuhabdruckspur sowie DNA-Material zuordnen.

Auch bei einer getöteten 23-Jährigen sollte "Aktenzeichen" helfen: 1992 wurde die Frau in Nürnberg durch mehrere Messerstiche getötet. 14 Jahre später stieß die Polizei auf einen Zeugen, der eine detaillierte Beschreibung eines Verdächtigen liefern konnte. Das Phantombild des mutmaßlichen Mörders wurde in der TV-Sendung gezeigt - eine heiße Spur ergab sich jedoch nicht.

Viele Prostituiertenmorden ungeklärt

Auch die Polizei in Oberfranken sucht noch nach dem Mörder zweier Prostituierten in Hof. Der Unbekannte tötete im Juni 2006 - nach dem Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft - beide Frauen in deren Modellwohnung mit Messerstichen.

Erfolgreich war die Polizei bei einem Fall in Regensburg - aber erst nach langer Zeit und mit Hilfe des Zufalls: 2010 bekam ein Freier eine lebenslange Haftstrafe für den Mord an einer 35-Jährigen im Sommer 1990. Auch der Prostituiertenmörder Fritz Honka aus Hamburg wurde nur zufällig entdeckt, als Feuerwehrleute 1975 bei einem Dachstuhlbrand in seinem Haus Leichenteile fanden.

Das Landeskriminalamt kann aufgrund seiner Statistiken weder sagen, wie oft es Gewaltverbrechen an Prostituierten gibt, noch, wie die Aufklärungsrate in diesen Fällen ist. Die Beraterinnen von "Kassandra" finden nicht, dass Prostituierte stärker gefährdet sind als andere Berufsgruppen. Nürnberg sei nach ihrer Erfahrung ein sehr friedliches Pflaster, was Prostitution angeht, sagt Ittner. "Die Frauen, die zu uns kommen, berichten selten von Zwangsprostitution und Gewalt." Viele Sicherheitsmaßnahmen seien in diesem Milieu zwar wünschenswert, aber nicht realistisch - etwa mit Überwachungskameras in Gebäuden zu arbeiten: "Viele Freier würden dann abgeschreckt."

− dpa