Reise-Reportage
Wie ein radelnder Gott in Frankreich: Mit Boot und Bike entlang der Seine

08.10.2023 | Stand 08.10.2023, 5:00 Uhr

Immer wieder die Perspektive wechseln: Das Boot, auf dem auch übernachtet wird, fährt parallel zur Gruppe der Radfahrer, um diese später wieder einzusammeln. − Fotos: Michael Häußler

Wer entschleunigt einen Landstrich kennenlernen will, der wechselt am besten zwischen Fahrrad, Spaziergängen und Bootsfahrten ab. An Frankreichs berühmter Seine entlang warten imposante Schlösser, pittoreske Altstädte und schattige Wälder.

Es verbindet einen Zeitgeist von Abenteuerlust, Nachhaltigkeit, Bewegungsdrang, Entdeckertum und hoffnungsloser Romantik. Frankreich erkunden zu Wasser und zu Land – genauer: per Boot und Bike. Die Belohnung und Krönung zugleich ist die letzte Schifffahrt des Trips. Auf der Seine hinein mitten ins Herz von Paris. Stadt der Lichter, des Eiffelturms, des Louvre und des Savoir-vivre. Das Boot legt an, der Blick ruht auf der Julisäule am Place de la Bastille, die an den Kampf für die Freiheit erinnert – ein Heiligtum der Franzosen.

Doch bis zu diesem Moment werden rund 80 Kilometer zurückgelegt – die meisten davon mit dem Fahrrad. Vom speziell für diese Reisegruppe festgelegten Startpunkt Moret-sur-Loing über Fontainebleau mit Besichtigung des gleichnamigen Schlosses, einem Künstlerdorf namens Barbizon bis nach Melun, wo auch die „MS Fleur“ vor Anker geht und die Radlerinnen und Radler empfängt. Der Tritt in die Pedale führt die Gruppe nach einer weiteren Nacht auf der Fleur über Evry nach Paris. Abends genießen die Passagiere laue Nächte an Deck, die sanften Wogen der Seine lassen die „Fleur“ behutsam in ihrem Takt schaukeln. Die Anstrengungen des Tages macht Koch Camillo mit mehreren Gängen wett. In Paris wird er mitten in der Nacht von Bord gehen. Saison beendet. Italien, die Heimat, wartet bereits. Bis es für ihn zurückgeht in die Kombüse – oder Keuken – wie auf der roten Tür auf der „MS Fleur“ in weißen Buchstaben steht.

Zur Chefin geht’s durch die Keuken

Wer zur Kapitänin will, muss genau hier klopfen. Camillo öffnet, trotz Hochbetriebs in der Ein-Mann-Küche, macht eine einladende Geste, lässt Neugierige passieren. Vorbei an den Töpfen und Messern. Der Weg aus der Küche endet draußen nach einem weiteren Schritt. Dann geht’s nach oben. Auf die Brücke, die Kommandozentrale der „MS Fleur“.

Dort sitzt die 51-jährige Steffie Kranz, eine deutsche Kapitänin mit niederländischem Zungenschlag, mit verschränkten Armen, ein Fuß auf dem Steuerrad, ein aufgeklappter Laptop steht vor ihr. Darauf zu sehen: eine Karte mit allen Schiffen und Booten, die sich um die „Fleur“ herum bewegen. „Wie bei Flugzeugen“, sagt sie. Mit einem Klick auf das jeweilige Bootssymbol bekommen die Steuerleute sämtliche Infos über das jeweilige Gefährt. Über Funk sind sie miteinander verbunden.

Doch nochmals eine Szene zurück. Steuert die Kapitänin das 38,70 Meter lange ehemalige belgische Frachtschiff mit 240 PS eigentlich mit dem Fuß? 10,4 Kilometer pro Stunde legt das 1964 gebaute Boot gerade zurück. „Es ginge schon schneller“, meint Kranz. „Aber dann verbrauche ich mehr. So ist es okay.“ Und nein. Beim großen Steuerrad lässt sich die Funktion abschalten. „Da bin ich sonst nur am Kurbeln“, sagt die 51-Jährige und lacht. Gesteuert wird das Boot über einen Hebel.

Von der Völkerkundlerin zur Kapitänin

Die studierte Völkerkundlerin und Pädagogin heuerte 1998 als Matrosin an, 2001 machte sie das sogenannte kleine Patent für Großsegler. Seit 2004 besitzt sie das große. „Während der Corona-Pandemie habe ich zwei Jahre lang auf einem Tankschiff gearbeitet“, erzählt die Tochter und Enkelin von Seefahrern. Alles vererbt sozusagen. Touristische Fahrten waren zu diesem Zeitpunkt kaum oder auch gar nicht möglich. Noch zwei Jahre lang läuft zunächst der Vertrag mit dem niederländischen Unternehmen von „Boat&Bike“ mit Sitz in Amsterdam. 25 solcher Boote haben die Niederländer derzeit unter Vertrag, erzählt Paula Baas, die die Tour begleitet, üblicherweise aber in Amsterdam für das Unternehmen im Büro arbeitet. „Da sind wir 30 Leute, vier arbeiten künftig in einer neuen Niederlassung bei New York in den USA“, erzählt Baas. „Um den Markt zu bedienen“, fügt sie an. Die meisten Touren starten in Amsterdam, doch auch etliche weitere europäische Länder würden angeboten.

Nachfrage steigt – vor allem bei deutschen Touristen

Darunter Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien und Kroatien. Ab dem kommenden Jahr sollen zudem Dänemark, Schweden und Sizilien hinzukommen. Denn die Nachfrage steige weiter. Die Teilnehmer kommen aus der ganzen Welt. „Etwas mehr als die Hälfte aber aus Deutschland“, sagt Baas. Rund 18000 Fahrgäste befördern die Boote 2023. Ein deutlicher Anstieg, meint Baas. „Seit Corona sind es viel mehr geworden. Ein Plus von etwa 3000.“ Für 2024 seien bereits mehrere Boote vollständig von Gruppen gebucht. Auch die „Fleur“ könne mit ihren zehn Kabinen reserviert werden, sagt die Kapitänin. „Eine Woche kostet 25000 Euro.“

Auch im Verbreitungsgebiet der Mediengruppe Bayern werden entsprechende Touren angeboten. So legte eines der Boote im Mai beispielsweise in Passau ab. Von dort ging es auf der Donau entlang über Wien nach Budapest. Baas: „Acht Tage, sieben Nächte. Wie die meisten unserer Touren.“ Von der ungarischen Hauptstadt gehe es dann zurück in die Drei-Flüsse-Stadt. „Man fährt mit dem Rad verschiedene Routen. Da fährt das Boot, anders als hier, aber auch nachts mit den Passagieren weiter. Die Strecke ist ansonsten zu lang“, erzählt Baas.

Doch Sorge, abgehängt zu werden, muss keiner haben. Zumindest nicht bei geführten Touren. Dabei fährt immer ein Boot&Bike-Mitarbeiter am Ende, über Funk verbunden mit einem weiteren Fahrer am Kopf der Truppe. Doch die Gruppen können auch, ausgestattet mit Karten, alleine auf die Strecke gehen. Wer unsicher ist oder mit seiner Kondition hadert, steigt aufs E-Bike. Die lassen sich auch ohne Motorenunterstützung locker treten. Verschiedene Stufen geben Ungeübten jedoch auch die Möglichkeit, den Teamkollegen ihr Rücklicht zu zeigen. Wer eher selten auf dem Rad sitzt und sich für die Qual der unmotorisierten Variante entscheidet, der wird diese Wahl einmal am Tag auf jeden Fall ganz besonders spüren. Und zwar zurück an Bord des Bootes. Auf der steilen Treppe hinunter zur Kabine.


INFORMATIONEN

Frankreichs berühmtester Fluss, die Seine, fließt rund 775 Kilometer von Osten nach Westen durch den Norden und mündet im Ärmelkanal – allerdings ist sie nur die Nummer zwei. Mit etwas mehr als 1000 Kilometern Länge schlängelt sich die Loire bis zum Atlantik. Allerdings hat die Seine einen Vorteil: ihren Verlauf quer durch die Stadt der Liebe. Kein Wunder also, dass die Tour mit der MS Fleur in Paris endet – oder je nach Buchung beginnt. Genauer: im Port de l’Arsenal zwischen Bastille und Nôtre Dame. Die achttägige Seine-Route des Anbieters Boat & Bike verbindet Paris mit dem hundert Kilometer entfernten Montargis.

ANREISEN

Per Direktflug von München nach Paris. Vom Flughafen Charles de Gaulle geht es mit der Schnellbahn zum Gare du Nord mit der Linie RER B in etwa 30 Minuten an einen der Knotenpunkte, von wo aus Busse und U-Bahn ins Zentrum fahren. Ein Zugticket kostet 11,45 Euro. Tickets für den Nahverkehr, je nach Zonen, zwischen 2,10 für eine Einzelfahrt und 8,45 Euro pro Tag.

ÜBERNACHTEN
Geschlafen wird an Bord in einer Kabine mit meist zwei Betten, einem Bullauge und einem kleinen Bad. Für die Duschen gibt es einen Tank mit Frischwasser, den die Crew regelmäßig füllt. Die WCs werden mit Flusswasser betrieben. Was heruntergespült wird, landet allerdings in einem großen Behälter.

VERPFLEGUNG

Gegessen wird ebenfalls an Bord oder unterwegs. Wasser und Kaffee sind inbegriffen, andere Getränke nicht.

www.boatbiketours.de

www.parisbiketour.net

www.visitparisregion.com


Redakteur Michael Häußler reiste auf Einladung von Boat Bike Tours auf und entlang der Seine.