Vom Lebewesen zum Lebensmittel: Kaum irgendwo wird diese Transformation mehr zelebriert als am Neusiedler See. Dort veranstaltet der aus TV-Sendungen bekannte Starkoch Max Stiegl regelmäßig seinen „Sautanz“. Die neue Saison startet an diesem Wochenende.
Kann das halten? Die Balken des Gestells werden nur mit zwei orangefarbenen Stricken zusammengehalten. Doch das ist nicht alles: Ein 135 Kilogramm schweres Schwein hängt am Querbalken, das nur durch zwei Holznägel, durch die Beinsehnen getrieben, gehalten wird. Mit Messern schaben Starkoch Max Stiegl und ein Helfer die restlichen Schweineborsten von der Haut des Tieres. Es folgt ein tiefer Schnitt vom Becken bis zum Brustbein des Ebers. „Pass auf die Blase auf“, mahnt Stiegl. Wenig später holen sie die Gedärme aus der Bauchhöhle und fangen sie mit einer Schubkarre auf.
Der Himmel ist strahlend blau, doch der Wind pfeift durch den Hof, in dem sich bereits um kurz vor halb zehn an diesem Samstag im Januar die Besucher drängen. Jene 150 Anwesende gehören zu den Glücklichen, die einen der begehrten Plätze beim „Sautanz“ ergattert haben. Ein paar Tausend Anfragen habe es gegeben, erzählt Veranstalter Stiegl. Sie alle wollen sehen, was er in seinem Gut Purbach am Neusiedler See aufzieht.
Von der Nase bis zum Ringelschwanz
Was das ist, ist schnell erklärt und lässt sich unter dem Trendbegriff „Nose to Tail“ zusammenfassen. An diesem Samstag soll ein ganzes Schwein verwertet werden, im wahrsten Wortsinn von der Nase bis zum Ringelschwänzchen, vom Hirn bis zu Herz, Leber und Darm.
Zwei Stunden zuvor ist Stiegl mit ein paar Helfern auf dem Weg nach Niederösterreich. Nach gut 30 Minuten Fahrt lenkt er VW-Bus samt Anhänger in die Einfahrt eines Bio-Bauernhofs. Ein Hahn kräht, vor dem Auslauf der Schweine stolzieren Hühner auf und ab, hinter dem Gitter grunzt es aufgeregt. Der Bauer fackelt nicht lang, holt einen Eimer voll Futter und stellt es hinter das Stallgitter, setzt das Gewehr an, der gar nicht mal so laute Schuss sitzt, ein Schnitt in die Kehle, Stiegl fängt das Schweinblut in einer Auflaufform auf. Das braucht er noch für später. Für die Blutwurst.
Letzte Zuckungen. Stille. Die Hühner und die anderen Schweine sind recht unbeeindruckt von der Prozedur, das Gacker-Grunz-Konzert läuft wieder an. Der 135 Kilogramm schwere Eber, eine Kreuzung aus Mangalica- und Duroc-Schwein, wird aufgeladen und nach Purbach gebracht.
Mehrfacher Haubenkoch mit slowenischen Wurzeln
Max Stiegl, mit bürgerlichem Namen Željko Raškovic, kam 1980 im slowenischen Koper zur Welt. Mit sechs Jahren kam er nach Österreich und absolvierte in Salzburg eine Lehre zum Koch. Der erste Michelin-Stern folgte mit 21 Jahren, es folgten vier Hauben und die Auszeichnung „Koch des Jahres“ des Gault Millau in 2020. Immer wieder ist er auch in Kochsendungen im Fernsehen zu sehen, vorwiegend an der Seite von Fernsehkoch Tim Mälzer. Seinen Künstlernamen verdankt Max Stiegl übrigens angeblich seinem ersten Küchenchef, der ihn Max nannte und eine Affinität zur Salzburger Stieglbrauerei hatte.
Vergangenes Jahr schloss Stiegl sein Restaurant in Wien und entschied, sich fortan auf sein Gut Purbach zu konzentrieren, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu wollen und sich neuen Gastro-Projekten zu widmen.
In eben jenem Gut Purbach hat der Wind ein wenig nachgelassen, die Sonne hat an Kraft gewonnen. In der Luft liegt ein Geruch aus Schwein und Rauch, der noch tagelang der Kleidung anhaften wird. Kein Wunder. Mehrere offene Feuer lodern im Innenhof. Auf einer Feuerstelle vermengt Stiegl Schweinehirn mit Ei, Majoran, Paprika, Salz und einigem mehr und teilt den ersten Gang des Tages an seine Besucher aus. Der nächste Gang: Leber.
„Mir ist die Gruppendynamik wichtig“, erklärt Max Stiegl. Es sei ganz gleich, woher seine Besucher kommen, alle essen sie mit dem gleichen Besteck, trinken aus den gleichen Gläsern, bedienen sich aus der großen Pfanne. Stets beginne er seinen „Sautanz“, der an ein paar Terminen in den Wintermonaten – die nächste Runde startet heute am 16. November – stattfindet, mit einer kräftigen Suppe, in die all das kommt, was vom letzten „Sautanz“ übrig geblieben ist. Dann arbeitet er sich durch die Bestandteile des Tiers.
Sein Ziel: Den Fokus auf heimische Produkte lenken
„Alle sind deppert auf Steaks“, schimpft er mit seiner ihm eigenen derben Art. Immer ein wenig provozierend, austestend was gesagt – und gemacht – werden kann, um die Botschaft am besten rüberbringen zu können. Das Kurzgebratene habe enorm an Wert und Preis gewonnen. Zu sehr, findet Stiegl. „Das Handwerk und die Tradition sind dabei verloren gegangen.“ Das Tier als Gesamtes zu verwerten ist schließlich keine neue Erfindung, das gab es früher schon. Am Neusiedler See und an vielen andere Orten. Stiegl will diese Tradition wieder ins Bewusstsein rücken, den Fokus wieder mehr auf heimische Produkte lenken.
Es ist Mittag in Gut Purbach. „D’Original Sautanzmusik“ hat im Eingangsbereich ihre Instrumente aufgebaut und spielt für die Gäste auf. Als Box für Spenden dient – wie könnte es anders sein – ein glücklich schauendes Sparschwein. Vom echten Schwein am Holzgestellt ist gar nicht mehr so viel übrig. Der Schweinskopf liegt wie eine Trophäe auf einem Holzstamm, Kurzgebratenes mit Kren brutzelt auf einer heißen Platte. Gemeinsam mit ein paar Besuchern vermengen Stiegl und sein Team Blut, Schwarte und Gewürze zu Brät und füllen es in die Därme. Bei Bier und Wein entstehen Gespräche. Viele Besucher haben das Ticket für den „Sautanz“ geschenkt bekommen, wollten da schon immer mal hin. Und jetzt hat es geklappt.
Hirn, Herz, Schnauze? Hätten die wenigsten von ihnen wohl so gekauft oder im Restaurant bestellt. Manches wird man sich womöglich auch nicht mehr bestellen, doch das cremige Hirn, die mit Schweineschmalz ausgebackenen Krapfen, der krosse Schweinebauch, die Blutnockerl, sie bleiben in Erinnerung. Genau wie Max Stiegl das beabsichtigt hat. Vom Lebewesen zum Lebensmittel, diese Transformation hat der Starkoch seinen Gästen eindrücklich gezeigt. Er hat etwas, das es immer schon gab, wieder zu etwas gemacht, das Tausende haben wollen.
Redakteurin Johanna Richter nahm auf Einladung von Max Stiegl im vergangenen Winter am Sautanz teil.
Das Gut Purbach liegt im Burgenland im Nordwesten des Neusiedler Sees im gleichnamigen Ort Purbach. Von dort aus lässt sich gut das gesamte österreichische Bundesland erkunden. Nicht weit ist beispielsweise die Grenze zu Ungarn, wo nahe Sankt Margarethen eine Gedenkstätte zum Eisernen Vorhang besucht werden kann. Der Sautanz, bei dem ein ganzes Schwein verwertet und gemeinsam verkostet wird, findet immer in den Wintermonaten statt, in dieser Saison zwischen 16. November und 18. Januar. Einige Termine sind bereits ausgebucht.
ANREISEN
Mit der Bahn lässt sich der Neusiedler See genauso gut erreichen wie mit dem Auto. Die Region liegt schließlich nur gut eine Stunde von Wien entfernt, was auch regelmäßig Tages- oder Feierabendausflügler aus der Hauptstadt anlockt.
ÜBERNACHTEN
Im Gut Purbach kann man nicht nur den Sautanz feiern, sondern auch überachten. Rund um den See finden Besucher darüber hinaus viele weitere Unterkunftsmöglichkeiten. So lässt es sich zum Beispiel auch gut in den Holzkuben der Zimmerei Karlo, direkt mit Blick in den Nationalpark in Illmitz, auf der anderen Seeseite, nächtigen.
www.gutpurbach.at https://sautanz.stieglmax.at
www.neusiedlersee.com
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