Pistenrausch im Felsenzirkus – Skifahren im italienischen Cortina d’Ampezzo

17.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:17 Uhr

So breit wie auf den ersten Metern ist die Pomedes-Piste nicht immer. Zwischen den Felsen wird es deutlich enger. −Fotos: Stefan Gruber

Von Stefan Gruber

Die Gipfelkulisse ist einzigartig, das Ambiente mondän,

die Pisten sind legendär: Cortina d’Ampezzo zählt zu den spektakulärsten Skigebieten in den Dolomiten.


Foto, Foto! Bitte ein Foto! Lässig schiebt Kristian Ghedina die Skibrille nach oben, setzt das perfekte Hochglanz-Lächeln auf und lässt noch einen lockeren Spruch vom Stapel. Klick, klick – das Selfie ist im Kasten. Geduldig erfüllt er die Wünsche, Zeit hin, Zeit her. „Manchmal gibt es schon Situationen, in denen ich lieber meine Ruhe hätte“, gesteht der einstige Weltcup-Skirennfahrer freimütig. „Aber ich will nicht den Eindruck erwecken, die Nase hoch oben zu haben.“ Vor allem bei seinen Landsleuten ist der „Local Hero“ von Cortina d’Ampezzo unvergessen: 13 Weltcupsiege, Vizeweltmeister, ein vogelwilder Hund. Seinen legendären Sprung mit Grätsche im Zielhang der Streif-Abfahrt von Kitzbühel im Jahr 2004 haben die sportverrückten Italiener nicht vergessen. Kein Wunder also, dass Ghedo, wie der mittlerweile 53-Jährige gern genannt wird, sein Markenzeichen auch bei der jüngsten WM 2021 integrieren wollte.

„Ich habe bei der Streckenplanung im Organisationsteam der WM gesagt: ,Ich gebe meinen Namen gern her – aber nur, wenn ein spektakulärer Sprung in die Herren-Abfahrt eingebaut wird‘“, erzählt Ghedina. Sein Wunsch wurde erfüllt. Die Piste Vertigine wurde extra für die WM kreiert – mit einem Starthang, der an die Mausefalle in Kitzbühel erinnert, mit einem maximalen Gefälle von 61 Prozent und mit einem Ghedina-Sprung.

Der Ghedina-Sprung ist für Normalskifahrer gesperrt

„Als Vorläufer bei den italienischen Meisterschaften habe ich den schon mal getestet“, sagt der Sunnyboy und ergänzt mit einem breiten Grinsen: „Da habe ich aber nur 25 Meter geschafft.“ Für uns ist die Kante tabu. „Chiuso“ steht auf dem Schild. Gut so, denn schon die normale Pomedes-Abfahrt hat es in sich – so wie die meisten Pisten im Schatten der gewaltigen Tofana-Felsen. Cortina zählt zu den anspruchsvollsten Skigebieten in den Dolomiten. Die verwegen in den Berg gefräste Forcella Rossa flößt Respekt ein, der Tofana-Schuss nicht weniger, ebenso die neue tiefschwarze Abfahrt drüben im Faloria-Gebiet. Kräftezehrender Kanteneinsatz ist da gefragt, für das Panorama bleibt kaum Zeit.

Dabei ist das vom Feinsten. Wie in einer Manege liegt Cortina im weiten Talkessel, umgeben von den atemberaubenden Gipfeln des Monte Cristallo, der Sorapis-Kette und den Türmen der Tofane. Ein „anderer Blick“ öffnet sich auf dem Corso Italia. Nerz, Zobel und Designerbrille sind auf dem Prachtboulevard im Herzen Cortinas angesagt, sehen und gesehen werden lautet die Devise. Vor allem Italiens Geldadel flaniert an edlen Boutiquen entlang, genießt den Espresso in einem Café oder den Prosecco an der Bar. Cortina sonnt sich im Glamour-Image, die Preise passen dazu. Der Ort zählt laut einer aktuellen Statistik mit Lech und Zermatt zu teuersten Wintersportdestinationen der Alpen – auch wenn sich Cortina lange auf seinem Ruf ausgeruht hat. An etlichen Liftanlagen wäre ein Update durchaus angesagt.

Die „Königin der Dolomiten“ in Aufbruchstimmung

Doch mit der Weltmeisterschaft 2021 und den 2026 anstehenden Olympischen Winterspielen hat sich in der „Königin der Dolomiten“ Aufbruchstimmung breitgemacht. Jüngstes Beispiel ist die neue Zehner-Gondel Son Dei Prade – Bai De Dones. Sie hat das bislang etwas vergessene Skigebiet Cinque Torri wie aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst. In zehn Minuten ist es nun von den Tofana-Pisten aus erreichbar.

Der Abstecher lohnt sich allemal – nicht nur der rassigen Abfahrt Lino Lacedelli wegen, die hier für die WM-Athleten als Trainingspiste geschaffen wurde. Ein kulinarisches Highlight wartet im Rifugio Averau. Wirt Sandro und seine Frau Paola zaubern die besten Wildgerichte weit und breit auf den Teller. Die Tagliata vom Hirsch ist wahrlich ein Genuss. Nicht weniger der anschließende optische Pistenrausch auf der Skirunde Super 8.

Vorbei an den Felszacken der Cinque Torri und dem Koloss des Averau geht es zum Falzarego-Pass. Die Auffahrt mit der museumsreifen roten Gondel zum Lagazuoi ist nichts für schwache Nerven. Näher und näher rücken die rotbraunen Felswände. Zentimetergenau und im Schneckentempo schiebt sich die Kabine nach oben, dann liegt das faszinierendste Panorama der Dolomiten vor uns: Die Marmolata, Monte Pelmo und Civetta grüßen im Süden, hinter uns die Conturines-Spitze und die Fanes.

Neue Bar an der Lagazuoi-Bergstation

Jetzt darf es was Süßes sein: In der neuen Mountain Coffee Bar werden himmlische Croissants, Strudel und Krapfen der legendären Konditorei Embassy aus Cortina serviert. Den Blick auf die Uhr sollte man nicht vergessen. Die schönste Abfahrt führt nämlich nicht auf direktem Weg zurück zum Pass, sondern auf der Armentarola-Piste vorbei an riesigen Eisfällen hinunter nach Sas Dlacia. Schwere Noriker-Rösser nehmen uns hier ins Schepptau und bringen uns nach St. Kassian. Ehe es per Bus wieder Richtung Cortina geht, darf natürlich eines nicht fehlen: „Bitte Kristian, noch schnell ein Foto!“


Redakteur Stefan Gruber ist oft in den Skigebieten der Dolomiten unterwegs und recherchierte in Cortina d’Ampezzo.




INFORMATION

Die 6000-Einwohner-Gemeinde Cortina d’Ampezzo gehört zur Provinz Belluno in der Region Venetien. Die „Königin der Dolomiten“ zählt zu den mondänsten Wintersportorten der Alpen, der bereits 1956 Austragungsort der Olympischen Winterspiele war.

ANREISEN

Für die Anfahrt mit dem Auto bietet sich die Brennerroute bis Brixen an. Von hier durchs Pustertal nach Toblach und weiter nach Cortina. Die alternative Strecke führt über die Tauernautobahn, Mittersill und die Felbertauernstrecke nach Lienz und weiter über Sillian nach Toblach und Cortina.

SHOPPING
Viele kleine Läden mit traditionellen Produkten laden ebenso wie edle Designer-Boutiquen entlang der Einkaufsmeile Corso Italia zum Shoppingvergnügen ein.

WINTERSPORT
Cortina gehört zum Verbund Dolomiti Superski und bietet in den Skigebieten Tofana, Cristallo-Faloria und Lagazuoi-Cinque Torri insgesamt 120 Pistenkilometer. Sechs-Tages-Pass (Erwachsene/Hochsaison) 347 Euro (Jugend 243, Senioren 312). Sechs Tage Superski-Pass 373 Euro (Jugend 261, Senioren 336).

www.dolomiti.org

www.dolomitisuperski.com