Menorca – Die unterschätzte schüchterne Schwester

15.10.2022 | Stand 22.09.2023, 3:37 Uhr

Die wildeste KüsteMenorcas liegt im Norden am Cap de Favaritx. Der starke Wind verhindert jegliche Vegetation auf dem schwarzen Schieferplateau. −Fotos: Christine de Silva

Von Christine de Silva

Wer unberührte Schönheit abseits des Massentourismus sucht, kein Gipfelkreuz braucht und gern mal zu einem Traumstrand wandert, der sollte seine Schuhe auf Menorca schnüren.

Menorca wird in der Reiseliteratur gern die kleine Schwester Mallorcas genannt, doch die zweitgrößte Baleareninsel hat keinen Grund zur Schüchternheit, sammelt sie doch Titel wie eine Schönheitskönigin. Menorca ist seit 1993 einziges Biospährenreservat im Mittelmeerraum, seit 2021 wegen der geringen Lichtverschmutzung Sternenlichtreservat und erwartet in Kürze die Verleihung des Unesco-Titels Weltkulturerbe. Grund ist das reiche geschichtliche Erbe der talayotischen Kultur. Seit 1800 v. Chr. wurden 1574 Megalith-Monumente wie etwa die Dorfanlage Torralba d’en Salort auf der Insel errichtet. Noch heute geben die Steinkonstruktionen Archäologen ob ihrer Beschaffenheit, Größe und Lage Rätsel auf.

Der schönste Wanderweg führt an der Küste entlang

Gut überliefert ist hingegen dank der mittelalterlichen Wachtürme, dass im 14. Jahrhundert Adelige ihre Vasallen rund um die Insel Patrouille reiten ließen, um Menorca rechtzeitig vor Angreifern warnen zu können. Auf dem „Cami de Cavalls“, dem 185 Kilometer langen Meldereiterweg, führt heute einer der schönsten Wanderwege der Balearen direkt an der Küste entlang. Wanderer, auf Teilstücken auch Radler, erleben auf 20 Etappen höchst unterschiedliche Landschaften.

Doch Menorcas Schönheit erschließt sich nicht auf den ersten Blick und tatsächlich am besten, wenn man den Wanderrucksack schultert. Das reiche Naturerbe versteckt sich in Schluchten, Höhlen, Dünen und Buchten, die der Urlauber erst entdeckt, wenn er das Auto stehen lässt. Beeindruckend ist im Inselinneren der Weg vom Ort Es Migjorn Gran zum Küstendorf Sant Tomas. In der tiefen Schlucht von Binigaus pfeift der Wiedehopf von wilden Feigenbäumen und fliegen die Turteltauben in die Höhle „Cova de Coloms“, die Einheimische wegen ihrer Höhe von 24 und Länge von 110 Metern „Kathedrale“ nennen.

Menorca geht touristisch anderen Weg als Mallorca

Zwei Drittel der 700 Quadratkilometer großen Insel sind Naturschutzgebiet. Im Osten lassen sich im Feuchtbiotop S‘Albufera des Grau Raub- und Wasservögel beobachten und Fische im flachen Wasser fast greifen. Wie in einer Mondlandschaft fühlt man sich an der Nordspitze am Cap de Favaritx, wo der Tramuntana-Wind so stark über die schroffe Küste peitscht, dass es auf dem schwarzen Schiefer keinerlei Vegetation gibt. Im Südwesten hingegen liegen mit der Cala Turqueta und der Cala Macarella liebliche weiße Sandbuchten, aufgereiht wie Perlen, im kristallklaren türkisen Wasser. Geschützt werden sie von knorrigen Kiefernwäldern, die fast bis an den Strand reichen.

Ein guter Rundumblick auf die östlichste Baleareninsel eröffnet sich vom mit 357 Meter höchsten Gipfel in der Inselmitte. Vom Monte Toro, auf dem eine Pilgerkirche mit Christusstatue – ähnlich der in Rio de Janeiro – thront, sieht man, dass Menorca mit 97000 Einwohnern deutlich geringer besiedelt ist als der flächenmäßig fünfmal größere Nachbar Mallorca mit 870000 Bewohnern.

Menorca wolle auch gar nicht so sein wie Mallorca, sondern gehe touristisch eigene Wege, erklärt Tourismus-Marketing-Chef David Vidal. Von der Unesco als Biospährenreservat für seine intakten Landschaften ausgezeichnet, setze Menorca seit langem „auf nachhaltige Entwicklung, bei der wirtschaftliches Wachstum und Schutz des Ökosystems vereinbar bleiben“. Eine Million Besucher kommen pro Jahr, auf Mallorca sind es etwa 13 Millionen.

Mit einem Schmunzeln erzählt die aus Kassel stammende Wanderführerin Jutta Vaupel, die seit über 30 Jahren auf der Insel lebt, dass die Inselbewohner bisweilen sturköpfig sind. So musste die Inselregierung 20 Jahre lang mit den Landadeligen verhandeln, um zu erwirken, dass der Cami de Cavalls über deren Grundstücke führen durfte. Selbstverständlich erhielten sie eine Entschädigung. Als durchsetzungsstark erwies sich andererseits eine Bürgerinitiative, die in den 1970er Jahren den Bau der Luxussiedlung Shangrila im Naturpark Es Grau stoppte. Drei Wochen nachdem der Golfplatz durch den damaligen König Juan Carlos eingeweiht war, mussten der Golfkurs samt dazugehöriger nobler Ferienvillen wieder zurückgebaut werden.

Weil sich zu Zeiten der spanischen Diktatur viele Menorquiner der Politik General Francos widersetzen, bestrafte dieser sie mit dem Entzug staatlicher Zahlungen. Das hatte zur Folge, dass sich in den 1950/60er Jahren keine großen touristischen Ansiedlungen etablierten, ergo auch kein Party-Nachtleben. Bis heute ist Menorca von Massentourismus verschont geblieben und gilt wegen der geringen Lichtverschmutzung als einer der besten Orte auf der Welt, um den Sternenhimmel zu beobachten. Die Milchstraße mit bloßem Auge erkennen, kann man bei der Sternennacht im Landhotel Rural Movedra Nou. Dazu liegen die Gäste um 22 Uhr mit Kissen und Decken auf dem kreisrunden alten Dreschplatz und lassen sich begleitet von sanfter Musik die Sternbilder erklären. Ein ähnlicher Geheimtipp ist immer noch der aufgelassene Steinbruch Lithíca bei Ciutadella, in dessen riesigen Felsräumen Künstler 1994 Themengärten angelegt haben und der für Konzerte eine mystische Stimmung bietet.


Redakteurin Christine de Silva recherchierte auf Einladung von Wikinger Reisen und spanischem Fremdenverkehrsamt.


Menorca ist nach Mallorca die zweitgrößte Insel der Balearen und gehört zu Spanien. Die 216 Kilometer lange Küste der Insel bietet schroffe Klippen und rötliche Strände im Norden und sanfte Buchten mit goldgelbem Sand im Süden.

ANREISEN
Per Direktflug von München nach Mahon (Dauer: zwei Stunden) von Ende April bis Mitte Oktober.

•Material zum Wanderweg: www.camidecavalls.com

•Öffentliche Verkehrsmittel: https://menorca.tib.org

•Geführte Wanderreise: Wikinger Reisen bietet neun Aktivtouren für Solo-Reisende, www.wikinger.de

ÜBERNACHTEN
•Agroturismo Rafal Rubí, Alaior, Finca mit Traumgarten, www.rafalrubi.com
•Landhotel Rural Morvedra Nou: Ehemaliges Adels-Landgut mit gehobener Küche, www.morvedranou.es
•Hotel 55, Santo Tomas: Modernes 4-Sterne-Hotel mit Buffetrestaurant und langem Pool, www.sethotels.com

KULINARIK
•Weingut Binifadet, Sant Lluis-Es Castell, Bodega-Restaurant, www.binifadet.com
•Es Molí de Racó, Carrer Major 53, Es Mercadal: Traditionelle spanische Küche, beliebt für Familienfeiern.
•Restaurant Aquarium am Hafen von Ciutadella: Super Paella und Jacobsmuscheln.

AUSFLUGSTIPPS
•Archäologische Stätte Torralba d’en Salort, www.torralbadensalort.com
•Höhlenbar Cova d’en Xoroi, www.covadenxoroi.com
•Steinbruch und Gärten Lithica, www.lithica.es

www.www.spain.info/de/region/menorca-insel