Im Bleniotal die Berge verstehen lernen

01.04.2023 | Stand 25.10.2023, 10:43 Uhr

Swing the World. Im Tessin gibt es Schaukeln an schönen Aussichtspunkten – etwa in Leontica mit Blick auf Gletscher Adula.

Von Sandra Hatz

Das Tessin ist bekannt für seine Seen – und für viele Täler mit ursprünglichen Dörfern. Eins liegt südlich des Lukmanierpass, wo man unter anderem der Dynamik der Berge nachspüren kann.

Nicht unbedingt sind Ideen, die einem auf der Suche nach der perfekten Inszenierung – etwa für Social Media – kommen, die schlechtesten: Ein Pärchen aus der Schweiz nämlich hat auf diese Weise einige fantastische Plätze seiner Heimat, vor allem im Tessin, markiert. Mit einfachen Holzschaukeln vor Traumkulissen. Einheimische und Touristen nehmen darauf Platz und lassen sich fotografieren, um allen zu zeigen, wie wunderbar dieser Ort ist.

„Swing the World“ nennen Elisa Cappelletti und Fabio Balassi das Projekt. Aus Indonesien, etwa in Bali, waren ihnen solch charakteristische Schaukeln bekannt, die an himmlischen Orten aufgestellt sind.   Während des Lockdowns kam ihnen die Idee, mit den handgefertigten Holzschaukeln auch die Paradiese in ihrer Heimat in Szene zu setzen.

Gleich zwei Schaukeln befinden sich im Herzen des Tessiner Bleniotals, oberhalb von Leontica, in der Region Nara auf einer Höhe zwischen 1400 und 2200 Metern. Sie krönen atemberaubende Ausblicke über Hügel auf die gegenüberliegende Alpenkette mit zehn Gipfeln über 3000 Meter. Der Gletscher Adula prägt das Panorama. Es ist der höchste Gipfel (3402 Meter) im Tessin. Rheinwaldhorn heißt der Berg im Deutschen. Der Name sagt es: Hier sind die Quellen des Rhein. Von hier macht sich das Wasser auf durch Schweiz und Bodensee, um größter Strom in Deutschland zu werden.

Gleich vier Flüsse haben rundum ihren Ursprung

Die Schaukel in Leontica gehört zu den Stationen einer Radtour von Campra Alpine über Olivone nach Leontica. Mountainbike-Guide Stefano Bergamaschi führt regelmäßig Gruppen und gibt als ausgebildeter Fahrradguide unter anderem Tipps für die richtige Technik im mitunter anspruchsvollen Gelände. Doch der Mitgründer des Fahrradverleihs BikePort, der auch Sicherheitstrainings oder Technikkurse anbietet, ist im Hauptberuf Geographielehrer. Und so erklärt Bergamaschi gerne Näheres über die Hintergründe und darüber, wie alles zusammenhängt: das Wasser. Die Quellen. „Es ist etwas Besonderes“, sagt Bergamaschi und macht mit dem Arm einen weiten Bogen über die Gipfel. Das Tal und die Region Nara, durch die er navigiert, befinden sich in der Mitte zwischen den bekannten Pässen Gotthard, Bernardino und Nufenen, wo vier Flüsse ihren Ursprung haben. Neben dem Rhein sind das die Rhone, die Reuss und der Ticino, der dem Kanton seinen Namen gibt.

Neben der Natur gibt es auch zahlreiche kulturelle Schätze. Wie die Kirche San Carlo di Negrentino in der Nähe von Leontica: Über eine schwingende Hängebrücke und einen schmalen Pfad sind die Fahrräder zu schieben. Das Gotteshaus in dieser traumhaften Lage betrachten viele Einheimische als Kraftort. Kunsthistorisch bekannt ist es aber auch für die wertvollen romanischen und spätgotischen Fresken.

Solche und andere Überraschungen erwarten Besucher, wenn sie sich auf das Bleniotal etwas länger einlassen. Vom Lukmanierpass (italienisch Passo del Lucomagno) erstreckt es sich in Richtung Süden und muss meist nur als Ausweichroute herhalten, wenn die gewohnten Tunnel und Pässe der Schweiz überlastet sind. Dabei lohnt es sich, die Fahrt über noch sehr ursprüngliche Orte fern touristischer Ziele auszudehnen.

Am Lucomagno oben, dem Pass, der die italienischsprachige von der rätoromanischsprachigen Schweiz trennt, peitscht der Wind oft heftig über eine auf den ersten Blick karge Vegetation. Die raue Oberfläche ist nur scheinbar dürr, erklärt Leonardo Azzalani. Er ist Wissenschaftler der Alpinen Stiftung für Lebenswissenschaften mit einem Sitz in Olivone. Auf einem Quadratmeter Bergwiese finden sich zig verschiedene Kräuter. Außerdem: „Im Juni und Juli blühen hier allein 18 verschiedene Orchideenarten.“ Das seien natürlich nicht diese großen gezüchteten, die man aus dem Supermarkt kenne, sondern solche mit kleinen zarten Blüten. Natur pur eben. Der Pass sei bekannt für seine besondere Botanik, erklärt Azzalani den Grund für das Engagement seiner Institution, die unter anderem die Geodiversität untersucht – und sie Besuchern näherbringt. Mit ihren Einsätzen will das Team der Stiftung den Blick schärfen unter anderem für die verschiedenen Farben und Formen, die die Beschaffenheit der Steine mit sich bringt: Gneis und Granit. Die Chemie in den Steinen wirkt sich auf das Wasser und letztlich auch auf die Pflanzen aus.

Vor einer typischen Alm, einem Blockbau mit Steindach, die alpine Architektur dieser Gegend, zeigt Azzalani aber auch, wie viel ärmer die Vegetation wird, wenn der Mensch eingreift. Auf den Weiden der Kühe und Schafe etwa wird der Natriumgehalt durch die Ausscheidungen so hoch, dass viele der seltenen Pflanzen nur dort zu finden sind, wo die Tiere nicht hinkommen.

Regionale Spezialitäten gibt es in den Grotti

Kenner schätzen den Käse aus Kuh- oder Schafmilch, den die Senner hier produzieren und in die Käserei nach Olivone liefern. Genießen können ihn Gäste in speziellen Grotti, in denen Familien Speisen der Region anbieten. Käse, Salami und Schinken sind da meist nur die Vorspeise. Jedes Lokal hat seine eigenen besonderen Hauptgerichte, die häufig mit Polenta serviert werden – und die Anstrengung einer Wander- oder Radtour vergessen lassen.


Redakteurin Sandra Hatz recherchierte auf Einladung von Tessin Tourismus im Schweizer Bleniotal.


Das Tessin, die italienische Schweiz, ist vor allem durch seine Orte Ascona und Locarno und die Seen Lago Maggiore und Lugano bekannt. Doch die gebirgigen Täler im Norden haben einen ganz besonderen Reiz.

ANREISEN

•Mit dem Auto ist das Bleniotal aus Bayern über Bregenz zu erreichen. Zunächst über die Autobahn, dann ab Chur rund eineinhalb Stunden durch Graubünden zum Passo Lucomagno.

•Fast acht Stunden dauert die Fahrt ab München mit dem Zug nach Belinzona und mit dem Bus nach Olivone.

•Ein gut ausgebautes Busnetz sorgt vor Ort für Mobilität der Gäste. Informationen unter
www.ticino.ch/ticket.

ÜBERNACHTEN
Mitten im Tal, sehr zentral auf 1500 Metern, bietet sich das Campra Alpine, eine Mischung aus Jugendherberge und Hotel mit Zimmern in verschiedenen Größen und sehr guter Küche, als Ausgangspunkt für viele Aktivitäten an: Campra Alpine Lodge Spa, Olivone. Infos unter www.campralodge.ch oder
✆ +41 91 874 21 70.

KULINARIK

Eine Besonderheit im Tessin und in Oberitalien sind einfache Lokale, sogenannte Grotti, die sich oft in und im Garten vor Weinkellern in Felshöhlen befinden:
•Grotta Canvett in Semione:
www.grottocanvett.ch
✆ +41 78 625 48 77
•Restaurant Larice in Leontica: www.illarice.ch
✆ +4191 880 60 78

•Eine typische Käserei befindet sich direkt in Olivone:
Caseificio Töira,
www.caseificiotoira.ch
✆ +41 91 872 11 06

RADFAHREN

• Die Valle di Blenio Bike Route (387) führt von Campra oder Olivone nach Biasca.

•Geführte Touren und Leihbikes: www.bike-port.ch

✆ +41 91 243 09 78

TIPPS

•An ausgewählten Orten mit Traum-Panorama bieten Schaukeln den Rahmen für das richtige Bild. Mehr Infos über das Projekt unter www.swingtheworld.ch.

•Yoga, Workshops, Team-Building, Waldbaden unter www.greenexperience.ch.

www.ticino.ch