Gozo: Insel zwischen Tradition und Moderne

11.03.2023 | Stand 25.10.2023, 11:48 Uhr

Die Klippen in der Nähe der Hafenstadt Xlendi bieten einen beeindruckenden Ausblick über das Meer. Sie bieten sich geradezu an, um den Sonnenuntergang bei einem Picknick zu beobachten. −Fotos: Schmatz

Maltas kleine Schwester Gozo ist erwachsen geworden. Die Insel im südlichen Mittelmeer punktet mit einer Mischung aus Tradition und Moderne.

Das Meer begrüßt Besucher der Insel Gozo mit einem lauen Wind. Die Küste ist nicht mehr weit entfernt. Beeindruckend hoch ragen die Klippen über das Wasser. Die Fähre, die jede Stunde von Malta übersetzt, ist nur mäßig besetzt. Gozo gilt noch immer als Geheimtipp. Sie ist die kleine Schwester Maltas, aber jung ist sie nicht. Ihre Geschichte reicht über 4000 Jahre zurück – die Bewohner der Insel werden nicht müde, sie zu erzählen. Während auf Malta der Massentourismus zum Alltag gehört, ist es hier noch still. Dabei nimmt die kleine Mittelmeerinsel touristisch gerade mächtig Fahrt auf.

Die Hauptstadt Victoria liegt im Zentrum der Insel. Auf ihrem höchsten Punkt wacht die „Citadella“ von Gozo über ihre Bewohner. Genau das war einst ihr Zweck. Heute ist sie der kulturelle Mittelpunkt der Stadt und bietet einen der schönsten Ausblicke über die Insel – in jede Richtung liegen das Meer, weiße Backsteingebäude und die struppige, steppenartige Natur. Sie ist das Revier von Kulturstättenbetreuer Stephen Cini. Er hat Finanzen und Tourismus studiert und will Gozo konkurrenzfähig zu den umliegenden Inseln machen. „Gozo ist nicht so urbanisiert wie Malta, aber touristisch ziehen wir aktuell gut nach.“ Die Insel hat kürzlich ein Rebranding bekommen: neue Logos, neue Farben und viele frisch renovierte Attraktionen.

Cinis Fokus liegt auf der Citadella. Ihr Ausbau wird neben dem Ministerium für Gozo auch von der UN gefördert. „Das Besucherzentrum gibt es seit sechs Jahren“, sagt Cini. Darauf ist er besonders stolz. An neuer Technik wurde hier nicht gespart. Hoch sind die Wände, getragen von dicken Pfeilern. Die Originalstrukturen der Burg sind mit Glasscheiben abgedeckt und vom modernen Neubau getrennt. Ein Hologramm zeigt die Nymphe Calypso, die auf der Insel einem Mythos nach einst Odysseus festgehalten haben soll.

Cinis Interesse gilt jedoch weniger den Sagen als vielmehr der Geschichte und der Infrastruktur Gozos. „Wir haben die Citadella nicht restauriert, um Bilder von ihr zu machen und damit anzugeben. Wir haben sie restauriert, damit die Menschen sie benutzen können.“ Sie besteht aus einer Kirche im Zentrum und kleinen Sandsteinhäuschen im Gassengewirr außen herum. Die Mauern ragen aus Ruinen alter Zeiten heraus, die von der einstigen Größe der Citadella zeugen.

Rundherum in den Gassen siedeln sich immer mehr Händler an. In ihrem Laden verkauft Maria handgearbeitete Spitze. Ihre Verkaufsfläche ist klein und voll mit Stoffen. Die weißhaarige Frau blickt kurz von ihrer Nähmaschine auf, lächelt freundlich und widmet sich wieder ihrer Arbeit. Früher war sie eine von vielen, die auf Gozo feine Spitze hergestellt und vernäht haben – mittlerweile eine sterbende Kunstform. „Allein das Knüpfen einer kleinen Blume dauert ein bis zwei Stunden“, sagt Maria. „Eine Tischdecke besteht aus 40 solcher Wiederholungen.“ Kaum noch jemand möchte sich diese feinen Deckchen leisten. Insbesondere, weil die Produkte aus China so viel günstiger sind.

„Die Welt entwickelt sich weiter“

Früher haben viele Inselbewohner Handarbeiten betrieben und auf Märkten verkauft. „Wir sind kein Niedriglohnland mehr“, sagt Maria. Das hat die Arbeit verteuert, und viele der ehemaligen Knüpferinnen mussten aufhören. Maria macht der Fortschritt ihres Landes aber vor allem stolz. „Die Welt entwickelt sich weiter. Unsere Zeit geht zu Ende. Das muss nichts Schlechtes bedeuten.“

Fünf Gehminuten von der Citadella entfernt, im Stadtkern Victorias, befindet sich die Basilika San Gorg. Sie ist Sankt George geweiht, dem Schutzheiligen der Insel. Daneben: das Il-Hagar Museum mit religiösen Ausstellungsstücken aus der Region. Hier kennt sich Antoine Vassallo bestens aus. Er ist einer der Ehrenamtlichen, die das Museum im Herzen Victorias betreiben. Im Eingangsbereich steht ein Stapel aus verschiedenen Steinen. Wie eine Säule, die das Gebäude stützt, reicht er vom Boden bis zur Decke. „Die verschiedenen Steine ziehen sich durch alle Stockwerke des Museums“, erklärt Vassallo. „Sie stellen die Materialien dar, die die verschiedenen Zivilisationen, die die Insel bevölkert haben, genutzt haben.“ Das Museum wird seit seiner Eröffnung 2013 von der EU gefördert und kann so stetig seine Ausstellung erweitern.

Darunter befindet sich eine Bischofshaube von Papst Benedikt XVI., die er der Insel bei einem Besuch überlassen hat. Darauf ist Vassallo besonders stolz. „Auf Gozo gibt es 15 verschiedene Kirchengemeinden“, erklärt er. Seit 1864 existiert auf Gozo ein eigenes Bistum. Immerhin sind 89 Prozent der Bevölkerung römisch-katholisch. „Wir sind eine sehr religiöse Insel.“ In den Räumen des Museums finden häufig Lesungen und Klavierkonzerte statt. „Das Museum soll zum Gestalten einladen. Wir sind hier, um es mit Leben zu füllen“, sagt Vasallo.

Das Leben spürt man auf den Straßen Gozos an jeder Ecke. Eng sind die Gassen Victorias, aber dafür voll mit Menschen – auf den Terrassen der Restaurants und Cafés oder in den kleinen Läden, die ähnlich Marktständen aus den Gebäuden herauswachsen.

Leer hingegen wirkt Xewkija zur Mittagszeit. Nur in der Straße Tal-amrija hat sich eine lange Schlange vor einem kleinen Laden gebildet. Die Ta’Saminu Bakery ist eine der letzten ihrer Art. Inhaber Joseph Louis verkauft hier in dritter Generation traditionelle gozoianische Speisen und Süßigkeiten. Gegründet wurde die Bäckerei in den 1960er Jahren von seinem Großvater. „Touristen fragen uns immer, was das traditionellste Gericht ist.“ Dann empfiehlt er ihnen eine Ftira, eine Art Pizza aus Brotteig mit Schafskäse und Kartoffeln oder Thunfisch und Zwiebeln.



Viele arabische Einflüsse prägen Inselkultur


Joseph Louis zeigt auf eine Auslage mit Keksen. „Wir verkaufen auch Biskuttelli. Das sind harte Kekse, die in Kaffee getunkt werden. Die Inselbewohner essen sie nachmittags, wenn sie zusammensitzen.“ Eine Tradition auf der Insel, die aus dem arabischen Raum herübergeschwappt ist.

Viele arabische Einflüsse spiegeln sich im Alltag der Gozotaner wider: Die Amtssprache Maltesisch ist aus einem arabischen Dialekt entstanden und gehört zu den semitischen Sprachen. Der Wortschatz wird jedoch stark vom nahe gelegenen Sizilien und somit dem Italienischen sowie der englischen Sprache, die nahezu alle Inselbewohner fließend sprechen, beeinflusst. Auch die Architektur weist arabische Einflüsse auf. Die flachen Dächer und Erker sind typisch für die afrikanischen Nachbarstaaten der Insel.

Im Jachthafen von Mgarr schallt Rockmusik aus einem Gebäude. Die Wände sind über und über mit Postern und Bildern bedeckt. Zwischen klassischer Kunst hängen Filmplakate, Fischernetze und Fotos. Die Gleneagles Bar ist das Reich von Tony Grech. „Ich betreibe die Bar seit 50 Jahren“, erzählt er. Geerbt hat er sie von seinen Eltern. „Ich habe schon mit 14 Jahren hier mitgearbeitet.“ Die Bilder an den Wänden sind Erinnerungen an die vielen Lebensphasen von Grech und seiner Bar. „Die Bilder haben Freunde von mir gemalt. Die Poster haben sich über die Zeit angesammelt.“

Ein Mitarbeiter stellt ein Glas Wein auf den Tisch. „Die Sonne ist untergegangen“, sagt Grech. „Davor fange ich nie an zu trinken.“ Wenn ein Gast aber etwas ausgibt, schlägt man das nicht aus. „Das passiert hier häufig. Die Stammkunden gleichen sich so gegenseitig aus, die Touristen profitieren“, zwinkert Grech. Ob sich der Tourismus in den vergangenen Jahren verändert hat? „Es kommen viel mehr Besucher als früher. Das ist schön.“ Selbst reist der Barbesitzer ungern. Die Insel und seine Besucher sind ihm Aufregung genug. Immerhin haben sie alle Geschichten zu erzählen, und bei Tony Grech treffen sie aufeinander. Gozo ist eine Insel so bunt wie ihre Kultur. Sie ist nicht groß, aber sie ist alt, und vor allem ist sie bereit für Besucher aus aller Welt. Die kleine Schwester Maltas ist erwachsen geworden.


Stipendiatin Maja Schmatz erkundete auf Einladung des Fremdenverkehrsamts Gozo die kleine Insel.


Die Insel Gozo (etwa 31000 Einwohner) gehört zu Malta und wird vom Maltesischen Ministerium für Gozo verwaltet. Sie befindet sich im Mittelmeer südlich von Sizilien zwischen Europa und Afrika. Während es hier in den Sommermonaten häufig bis zu 40 Grad heiß wird, verwandelt sich im Winter die sandige, steppenartige Natur in ein grünes Paradies.

ANREISEN
Vom Flughafen München aus erreicht man die Insel Malta per Direktflug in zwei Stunden. Vom Flug- zum Fährhafen dauert es eine Stunde mit dem Auto. Die Überfahrt dauert etwa 30 Minuten.

ÜBERNACHTEN
„Grand Hotel Gozo“ Mgarr: Das Grand Hotel ist das größte Hotel der Insel und nur ein paar Gehminuten vom Fährhafen Mgarr gelegen, um den viele Restaurants angesiedelt sind. Daneben bietet das Hotel Innen- und Außenpool und ein großes Frühstücksbuffet. Die Terrasse, auf der der Außenpool gelegen ist, bietet einen weiten Blick über das Meer.
„The Duke Boutique Hotel“ Victoria: Das im Zentrum Victorias gelegene Hotel ermöglicht es seinen Gästen, flexibel alles zu Fuß erreichen zu können.

ESSEN
„Terrazzo“ Xlendi: Das Terrazzo hat eine der schönsten Aussichten Gozos zu bieten. Im Sonnenuntergang schwimmen kleine Fischerboote im Meer. Dahinter liegen die Klippen Xlendis. Neben einer breiten Auswahl an Fleisch-, Fisch- und Nudel-Gerichten, serviert das Restaurant auch Wein. Anbei befindet sich eine Bar.
„Orleander“ Ix-Xaghra: Inhaber Brian Rafalo legt Wert auf ein breites Angebot. Laut der Inselbewohner serviert er die beste Fischsuppe Gozos.

www.visitgozo.com