Reise-Reportage
Südfrankreich mal anders: Wandern im „Tal der Drôme“

29.09.2023 | Stand 18.10.2023, 16:01 Uhr |

Eintauchen in eine andere Welt: Die Berge in der Synklinale sind in Dunst gehüllt, die Bäume im Wald von Saoû, erleuchtet von der Sonne, strahlen hellgrün. Zwischen dem unendlich wirkenden Wald tauchen immer wieder Häuser auf, die aber längst nicht mehr bewohnt sind. Eine Synklinale ist eine seltene geologische Erscheinung. Durch Erosionen und Verschiebungen der Erdkruste sind die Berge quasi in sich zusammengefallen und bilden sozusagen ein „Tal im Tal“. Die Synklinale ist in sich fast komplett geschlossen. Die höchsten Erhebungen sind die „Trois Becs“.

Lyon und Marseille kennt jeder. Versteckt zwischen den beiden französischen Metropolen liegt das „Tal der Drôme“. Ein Abstecher in diese Gegend lohnt sich – besonders für Naturliebhaber und Wanderfreunde.

Zwischen den Bergen im südfranzösischen Dorf Saoû steigt die rotgelbe Sonne auf und färbt die Bäume in ein leuchtendes Grün. Die Kalkfelsen, die wie eine natürliche Mauer anmuten, sind noch in Dunst gehüllt, wie auch unsere Tassen, in denen Tee vor sich hin dampft. Es ist früh am Morgen, aber genug der Müdigkeit. Majestätisch erhebt sich vor uns ein Heißluftballon. „Einsteigen bitte“, sagt Montgolfiere Oscar Benoît. Als alle Mitfahrer ihren Platz im Korb gefunden haben, lässt Oscar den Ballon aufsteigen. Höher und höher. Als der Ballon die Felskanten überquert, tauchen wir ein in eine andere Welt.

Unter uns eröffnet sich ein in Falten geworfener Kessel. So weit unsere Augen reichen, ist Wald zu sehen. Oscar lässt seinen Ballon knapp über den Baumkronen der Buchen, Eichen und Kastanien schweben. „Wir sind in der Synklinale. Unter uns ist der Wald von Saoû“, klärt uns Oscar auf. Vor Millionen Jahren sind Gesteinsschichten unter seitlichem Druck in sich zusammengesackt. Entstanden ist ein in sich geschlossenes „Tal im Tal“, das mit seiner Mischung aus Berg- und mediterranem Klima ein Kleinod für Tiere und Pflanzen ist. Im Osten ragen die höchsten Erhebungen, die „Trois Becs“ aus dem Tal, die weitum in der Region zu sehen sind.

Mehr Gäste erwünscht, aber: „Wir wollen keinen Overtourism“

Wenn die „Trois Becs“ am Horizont auftauchen, weiß Nicolas Adam, dass er bald in seinem geliebten Tal angekommen ist. Die zwölf Kilometer lange Bergkette mit drei Gipfeln im Süden Frankreichs ist ein Wahrzeichen der Region, durch die sich wild und ungebändigt die Drôme und die Roanne schlängeln.

Die Badestellen der türkisblauen Flüsse locken Touristen an. Seit einigen Jahren entwickelt sich das Tal der Drôme zu einem immer beliebteren Reiseziel. Das freut die Einwohner, die „Drômoise“, die die Schönheit ihrer Heimat schätzen und gerne Gäste empfangen. Nicolas Adam, Direktor des Tourismusverbands „Cœur de Drôme“, und seine Kollegen wollen das Tal bekannter machen, wobei sie besonderen Wert auf nachhaltigen Tourismus legen. „Wir wollen keinen Overtourism“, macht Nicolas deutlich und erklärt, dass man vor allem umweltbewusste Touristen ansprechen wolle, die die teils unberührte Natur achten, in lokalen Läden einkaufen und die Abende mit einem Glas Wein in der örtlichen Gastronomie ausklingen lassen.

Wer einmal im „Tal der Drôme“ war, versteht, warum die Einheimischen ihre Heimat als Schatz sehen. Es duftet herrlich nach Lindenblüten, Rosen und Lavendel. In den Abendstunden geben Grillen und das Rauschen der Flüsse den Ton an. Jeder kennt und hilft sich. Die Franzosen lieben es zu plauschen, und wenn’s nur ein schneller Ratsch am Küchenfenster ist. Gerne darf es auch ein Picknick mit Käse, Salami und frischem Baguette sein.

Küsschen links, Küsschen rechts, Küsschen links

Das Zusammenleben hat einen hohen Stellenwert. „Küsschen links, Küsschen recht, Küsschen links – so begrüßen sich gute Freunde bei uns im Departement“, erklärt Nicolas Adam mit einem Schmunzeln. Denn er weiß, dass der Kuss-Knigge in Frankreich eine Wissenschaft für sich ist. Je nach Region variiert die Zahl der „bises“ – der angedeuteten Schmatzer auf die Wange.

Kleine, mittelalterliche Dörfer vereinen Vergangenheit und Gegenwart. Aus den Fugen und Ritzen der rustikalen Mauern im Örtchen Mirmande dringen Gräser und Kräuter ans Tageslicht. Natur und Menschen leben hier spürbar im Einklang, was die besondere Auszeichnung „village botanique“ (botanisches Dorf) unterstreicht. Wer genau hinschaut, entdeckt schneckenförmige Fossilien, die neben den Haustüren ins Mauerwerk gearbeitet sind. „Sie sollen Glück bringen und den bösen Willen von den Häusern abhalten“, erklärt Alexandre Piet, der wie Nicolas Adam für den Tourismusverband „Coeur de Drôme“ arbeitet.

Schmuck, Kunst und Töpferwaren

Die Wurzeln der Gemeinde Mirmande liegen im 12. Jahrhundert. Die Gemeinde liegt, wie viele Orte im Drôme-Tal, erhöht auf einem Hügel. So konnten einst Feinde schneller gesichtet werden. Früher arbeiteten die Einwohner als Seidenproduzenten. Als günstige Seide aus China im 20. Jahrhundert den europäischen Markt eroberte, mussten sie sich Alternativen suchen. Glücklicherweise verfiel der berühmte kubistische Maler André Lhote dem Charme des Örtchens und gründete eine Kunstschule, die dem wirtschaftlich geschädigten Mirmande neues Leben einhauchte.

Auch wenn die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Das Dörflein mit seinen 600 Bewohnern pulsiert. In 20 Läden und Ateliers präsentieren junge und jung gebliebene Menschen ihre Kunst, ihren selbstgemachten Schmuck oder Töpferwaren. Eine davon ist „Mademoiselle Jane“. Sie betreibt ein kleines Atelier, in dem sie Glaskunst herstellt und verkauft. Mit ihren Chili-Ketten und filigranen Glaskugeln hat sie sich einen Namen gemacht. Mit einer Schutzbrille sitzt die Mademoiselle in ihrer Werkstatt und formt eine Kugel. 1000 Grad muss das Glas heiß sein, damit sie es beliebig formen kann. „Wenn das Glas heiß genug ist, wird die Flamme gelb“, erklärt Jane und nimmt das gelb-rote Glas aus dem Feuer. Vorsichtig pustet sie ins Röhrchen und bläst den glühenden Ball zu einer hauchdünnen Kugel auf.

Drôme: Einer der letzten wilden Flüsse Europas

Abseits der Dörfer, in freier Wildbahn, ist Emma Perrin unterwegs. Die 36-Jährige arbeitet als Rangerin im Naturschutzgebiet „Ramières du val de Drôme“. Die erst wilde Drôme mäandert hier in viele kleine, flach dahinfließende Seitenarme. Jeden Tag zieht Emma Perrin ihre Runden durch das Schutzgebiet, streicht durch die Auwälder und beobachtet Pflanzen und Tiere. Es gebe immer etwas Neues zu entdecken. Das Flussbett mit seinen „Ramières“ (Flussläufen) unterliege einem ständigen Wandel. „Die Drôme ist ein wilder Fluss, einer der letzten in Europa. Kein Damm oder Stausee stört ihren Lauf. Ich lerne immer noch dazu“, erklärt die Ökologin, die nach zehn Jahren immer noch täglich gespannt ist, was es Neues zu entdecken gibt.

Wie verhält man sich in einem Naturschutzgebiet? „Am besten wie ein Tier – leise und wenig Spuren hinterlassen“, sagt Emma Perrin und lacht. Sie habe zwar im Blick, wie sich die Besucher im Schutzgebiet benehmen. Strafen zu verteilen, sei aber nicht ihr Ding. Die meisten Besucher hätten ohnehin Respekt vor der Natur. „Wahrscheinlich, weil es hier so wunderschön ist.“


INFORMATIONEN

Das Tal der Drôme in Südfrankreich ist berühmt für seine Synklinale – seltene, geologische Formationen. Die Synklinale von Saoû gilt als die schönste in Europa. Seit 2003 ist der Wald von Saoû im Besitz des Départements Drôme, das ihn als Naturschutzgebiet ausgewiesen hat.

ANREISEN

Flug nach Lyon und von da mit dem Auto etwa eineinhalb Stunden Fahrt. Nach rund 100 Kilometern folgt man der „Route de Soleil“. Von Lyon aus bietet sich auch die Weiterfahrt mit dem Zug an. Der Bahnhof ist an den Flughafen angebunden.

ÜBERNACHTEN
Es gibt kaum Hotels, dafür eine Vielzahl an „chambres d’hôtes“ (Fremdenzimmer), „gîtes“ (Ferienhäuser) und Campingplätzen, etwa www. gervanne-camping.com.

AUSFLUGSZIEL
Im Herzen des Waldes von Saoû befindet sich die „Auberge des Dauphins“. Einst ein Gasthof, ist darin heute ein regionales Museum untergebracht.

www.domainedeblacons.fr

www.valleedeladrome.de


Redakteurin Katja Elsberger hat auf Einladung von „Vallée de la Drôme Tourisme“ das „Tal der Drôme“ erkundet.

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