Die ruhige Seite des Wilden Kaisers und die vielen Gesichter des „Koasa“

27.01.2023 | Stand 12.10.2023, 10:15 Uhr

Auf Kufen und Kanten geht’s hinab ins Brixental: Die dreieinhalb Kilometer lange Rodelbahn am Gaisberg führt nach Kirchberg hinab. Ein Sessellift bringt die Schlittenfahrer bequem zum Startpunkt. −Fotos: Fischl

Von Eva Fischl



Zwischen „Koasa“ und Kitzbüheler Horn sorgt die atemberaubende Natur der Ferienregion St. Johann in Tirol für Glücksmomente.

Wenn die Nacht im Kirchdorfer Ortsteil Gasteig anbricht, beginnt die Lieblingsschicht von Josef Lackner. Dann besteigt der alte Bergbauer und Seniorchef im Gut Kramerhof sein Gefährt und nimmt sich die hauseigene Rodelstrecke vor. Vereiste Stellen müssen mit Schnee ausgebessert, Zäune und Fangnetze geprüft werden. „Die Bahn wird jede Nacht präpariert“, erzählt er in breitem Tiroler Dialekt. „Das ist Chefsache. Für den Außendienst bin ich zuständig.“

Seit 45 Jahren pflegt Josef Lackner die Bahn, die auf einer großen Wiese hinter dem 300 Jahre alten Bauerngut endet. Es sei die erste Rodelstrecke in der Gegend gewesen, erzählt Lackner nicht ohne Stolz. Und betont im nächsten Satz, dass neben der Bahn ein Wanderweg auf den Berg hinaufführt, sie also zweispurig ist. „So kommen sich die Wanderer und die Rodler nicht in die Quere. Die Sicherheit geht vor.“

„Wir müssen wieder mehr zum Normalen zurück“

Startpunkt für die Rodelpartie ist die Bacheralm, eine kleine Holzhütte, die von der Familie Lackner seit Generationen bewirtschaftet wird. In seinem Rücken thront die Gebirgskette des Wilden Kaisers vor strahlend blauem Himmel – das Bilderbuchpanorama ist der beste, weil kostenlose Werbepartner zahlreicher Ortschaften in den Kitzbüheler Alpen. Doch dem geschäftigen Rummel rund um die „Bergdoktor“-Gemeinden auf der anderen Seite des Massivs und dem Promi-Ort Kitzbühel kann der alte Bergbauer nicht so viel abgewinnen. „Wir müssen wieder mehr zum Normalen zurück“, findet Josef Lackner, „entschleunigen, wie man heute so schön sagt.“

Vielleicht kratzt es auch ein wenig am Ego der Einheimischen, dass das kleinere, aber seit langem vom Alpen-Jetset vereinnahmte Kitzbühel im Vergleich zur größeren, rund 10 000 Einwohner zählenden Marktgemeinde St. Johann den Titel der Bezirkshauptstadt trägt. Gerade mal eine Viertelstunde Fahrzeit liegen die beiden Orte auseinander, mit dem Zug sind es nur zehn Minuten. Und doch trennen sie Welten. Wer in den Kitzbüheler Alpen die Ferienregion St. Johann ansteuert, legt weniger Wert auf sehen und gesehen werden, sondern sucht eher seine Ruhe – auf und abseits der Pisten. Oder wie es Tourismuschef Gernot Riedel formuliert: „Wir haben entspannte Gäste, die Vielfalt schätzen.“

Die Ferienregion positioniere sich als das „gemütlichere, bodenständigere Kitzbühel. Wir sind keine Après-Ski-Metropole“, sagt Riedel. „Wir sind authentischer, bei uns gibt es das echte Leben, nicht nur schöne Kulisse wie drüben“, schiebt er mit einem durchaus ernst gemeinten Augenzwinkern hinterher. Schulen, Industrie und Handel – das alles sei ganzjährig in St. Johann ansässig, die Hotellerie und Gastronomie fast ausschließlich in familiärer Hand. Deshalb finde man zum Beispiel im ganzen Skigebiet auch keine Hütten mit Selbstbedienung.



Knödel-Kostproben und Lebensweisheiten


Einfallen lassen müssen sich die Wirte aber dennoch was, um hungrige Wintersportler in die Hütten zu locken. Wie etwa das „Knödel-Skiticket“ im Januar, bei dem es zum regulären Ticket an Wochentagen auch eine gratis Knödel-Kostprobe gibt. Statt Millionen Euro in „Schneller-Höher-Weiter-Attraktionen“ zu investieren, setzt man also in St. Johann weiter lieber auf Tiroler Küche und Natur, die für „kleine Glücksmomente“ sorgen, erklärt Riedel.

Ein Rezept, das für Bergbauer Josef Lackner seit jeher aufgeht. Die Fahrt zur Bacheralm und das Präparieren der Rodelbahn sind sein täglicher „Glücksmoment“. Kein Wunder. Dort oben bei der alten Holzhütte im Angesicht des tief verschneiten „Koasa“-Massivs stellt sich unweigerlich Tiefenentspanntheit ein, und da klingen die Worte des alten Bauern über seine Hütte wie eine Tiroler Lebensweisheit. „Urig ist sie, aber mehr braucht’s nicht“, hat er unten auf dem Hof zur Bacheralm erzählt. „Eine neue Hütte ist schnell gebaut, aber eine alte wie diese kriegst du nicht noch einmal.“

Mondän und familiär: Zwei Welten treffen sich im Brixental

inmal abschwingen bitte – jetzt wird’s exklusiv. Was sich im legendären Kitz-Ski gerne mit weißen Tischdecken auf den Hüttenterrassen und Magnum-Champagnerflaschen im Eiskübel äußert, ist auf der anderen Seite des Brixentals in der Ski-Welt Wilder Kaiser aus Schnee und Eis geformt. An der Gondelbahn Hochbrixen liegt auf etwa 1300 Metern Höhe eine Bar, die den Eingang in eine ganz eigene Welt markiert.

Das Alpeniglu-Dorf mit seinen 18 aus Schnee und Eis gezimmerten Gebäuden und der langen Außenbar ist ein Hingucker im weitläufigen Skigebiet. „Acht Männer sind für den Aufbau mehrere Wochen beschäftigt“, erzählt Stephanie Robanske vom Alpeniglu-Team. Ein Kilometer Kabel müssen dabei in Böden und Wände verlegt werden. Das Dorf empfängt bis Ende März neugierige Besucher. Die Studentin aus Rosenheim führt Gäste auch ohne Voranmeldung durch das Innenleben der Iglus, die täglich von 10.30 bis 16 Uhr geöffnet sind.

Wer die Eishöhle betritt, staunt nicht schlecht. In den Iglus verbergen sich eine gut ausgestattete Bar, eine große Tafel und kleine Nischen für romantische Candle-Light-Dinners – alles aus Eis. Auch eine Ausstellung gibt es zu sehen: Internationale Eiskünstler haben in dieser Saison Skulpturen unter dem Motto „Giganten“ entworfen.

Außergewöhnliche Orte ziehen Verliebte an – und so haben die Männer um Alpeniglu-Chef Benno Reitbauer sogar eine kleine Hochzeitskapelle in eine der Eishöhlen gezaubert, mit zwei herzförmig geschnitzten Traustühlen. „An die fünf Hochzeiten haben wir jedes Jahr“, erzählt Stephanie Robanske. „Bei den Einheimischen war der 22.2.2022 der Renner.“

Tiroler Originale lassen sich in Brixen, Kirchberg und Westendorf vermutlich auch leichter antreffen als in den Boutiquen und In-Lokalen der Kitzbüheler Schickeria. „Wir wollen gar nicht Kitz sein“, sagt Bettina Hechenberger vom Brixentaler Tourismusbüro. „Wir sind die charmanten Nebenorte, in denen sich ambitionierte Skifahrer genauso wohl fühlen können wie Familien.“

Zu den endlosen Pisten und Loipen im „Koasa“-Skigebiet gibt es zahlreiche Alternativen. Wanderungen mit Ziegen etwa oder die Rodelbahn am Gaisberg. Ein Sessellift bringt die Schlittenfahrer auf den Berg. So geht sich auch noch eine zweite oder dritte Partie locker aus. Der Verleih setzt auf bewährte Kathreiner Rodeln, die sich gut lenken lassen und ordentlich Tempo machen. Der Spaßfaktor stimmt. Dass sich auf der dreieinhalb Kilometer langen Strecke Steilhänge und Flachstücke abwechseln minimiert das Unfallrisiko und schont elterliche Nerven.

Doch was wären die Kitzbüheler Alpen ohne einen Abstecher auf die legendäre Streif? Das Starthaus, von dem sich die Skistars ins Hahnenkammrennen stürzen, lässt sich sogar zu Fuß erreichen, und die Familienabfahrt macht es möglich, auch ohne halsbrecherisches Risiko ins Tal zu schwingen. Außerdem kommt man so an der Seidl-Alm vorbei – eine für Kitzbüheler Verhältnisse geradezu bodenständige Hütte ohne Klimbim. Die urige Atmosphäre und das ehrliche Essen wissen offenbar auch Promis wie Hansi Hinterseer, Andreas Gabalier, Felix Neureuther oder Benni Raich zu schätzen, deren Besuche der Wirt an der Bilderwand verewigt hat.


Ressortleiterin Eva Fischl recherchierte in der vergangenen schneereichen Wintersaison mit Unterstützung der beiden Tourismusverbände in den Kitzbüheler Alpen rund um den Wilden Kaiser




INFORMATION ST. JOHANN

Zur Tiroler Ferienregion rund um die Marktgemeinde St. Johann zählen die beschaulichen Ortschaften Oberndorf, Kirchdorf und Erpfendorf. Eingerahmt wird die Gegend vom Kitzbüheler Horn auf der einen und dem Wilden Kaiser auf der anderen Seite des Tals.

ANREISEN

Von Bayern aus geht es entweder über die Inntalautobahn bis zur Ausfahrt Kufstein oder über Reichenhall und Lofer nach St. Johann in Tirol.

ÜBERNACHTEN
7200 Gästebetten vom Campingplatz bis zum 5-Sterne-Hotel. Urig-idyllisch liegt zum Beispiel das Hotel Gut Kramerhof in Kirchdorf/Gasteig.

DAS SKIGEBIET

Das Skigebiet mit drei Einstiegen in Oberndorf, zentral in St. Johann und bei der Zehnergondel am Eichenhof bietet sich mit seinen breiten Pisten für Familien und Genuss-Skifahrer an. Es hat weniger Pistenkilometer als die prominenteren Nachbarn in Kitzbühel und Brixental, dafür aber moderate Preise und ist weniger überlaufen. Hinzu kommen kleine Gebiete in Kirchdorf und Erpfendorf.

www.kitzalps.cc

www.bergbahnen-stjohann.at

INFORMATION BRIXENTAL

Die drei Tiroler Wintersportorte Brixen im Thale, Kirchberg und Westendorf haben sich im Tourismusverband Kitzbüheler Alpen-Brixental zusammengeschlossen.

DIE SKIGEBIETE

Endlose Pisten zeichnen das Brixental aus. Skifahrer haben hier Zugang zu gleich zwei Skigebieten – der riesigen Ski-Welt Wilder Kaiser im Norden (288 Pistenkilometer, neun direkte Einstiegsorte) und dem legendären Kitz-Ski im Osten (188 Pistenkilometer). Auch abseits der Alpinpisten gibt es jede Menge Angebote für Wintersportler und Familien – von Skitourengehen über Eisklettern bis hin zu Ausflügen mit Fat Bikes oder Segways.
www.kitzbueheler-alpen.com/brixental