In eine eigene Kultur eintauchen, im Wirtshaus exotischen Sprachen lauschen, schmausen, Kunst und Natur genießen – das geht nirgendwo so nah wie in Franken. Vier Empfehlungen für eine aufregende Reise ins innerbayerische Ausland.
Schweinfurt
So eine dumme Frage. Wenn wer nach Schweinfurt reist, sagt bestimmt einer: Warum? Wer mal dort war, kann viele Antworten geben. Statt Prachtbauten gibt’s unbändig würzige Fischsemmeln bei Flussfischerei Dittmar und gratis dazu einen Blick in die fränkische Seele samt Ratsch mit der unvergleichlich patenten „Fisch-Inge“. So viel Herz und herben Charme pro Quadratmeter Kleinstladenfläche trifft man selten. So viel Schlemmerei ebenso: Nach Zwiebelplootz und Dürrplätz von Bäcker Drescher mit Federweißem von Winzer Dahms geht noch die Eierlikörtorte in der Cafébar. Statt an Palästen führt Nadja Birkels Genusstour vorbei am romantischen Schrotturm, wo einst Munition durch freien Fall von Blei hergestellt wurde, am bürgerlich-herrschaftlichen Rathaus und an der Salvatorkirche mit ihrem tief bewegenden, vom Bombenangriff verkohlten Kruzifix.
Die Warmherzigkeit hier spottet sämtlichen Frankenklischees. Daneben verdanken wir Schweinfurt etwas Großartiges: die Erfindung des Rades, wie wir es kennen. Georg Schäfer erfand die Torpedo-Freilaufnabe. Der Technik-Quantensprung macht’s möglich, dass Pedale sich nicht weiterdrehen, wenn man aufhört zu treten. Mit seiner Firma FAG Kugelfischer wurde Schäfer so reich, dass er eine Kunstsammlung mit 1000 Ölgemälden von Biedermeier bis Fin de Siecle aufbaute – zu erleben im Museum Georg Schäfer, das in Architektur (Volker Staab), Qualität und Besucherführung von erstem Rang ist. Ein Schwerpunkt der Sammlung ist Spitzweg – jener Künstler, der oft als Biedermann abgestempelt wird – und in Wahrheit ein Meister der Ironie, Lichtführung und des feinen Strichs ist.
„Schweinfurt schwimmt in Kunst“ sagen sie in der Stadt, auch, weil das zweite große Museum, die Kunsthalle, im ehemaligen Hallenbad untergebracht ist. Die städtische Sammlung bietet Klassische Moderne, Kunst nach ’45 und Gruppen wie „Spur“, so dass dem Besucher alte Bekannte wie Fritz Koenig und Erwin Eisch begegnen. Nach der ganzen Kunst und Schlemmerei empfehlen sich Mainradweg und Steigerwald.
Bamberg
Als Griechenland von den Osmanen befreit wurde, setzten die Häuser Europas den bayerischen Prinzen Otto 1832 als ersten König ein. 30 Jahre später kehrte er nach Aufständen als König ohne Land zurück nach Bayern und fand Asyl in Bamberg – Exil in der Heimat. Sein Jugendbett beschließt den Rundgang durch die von Billardtisch bis Tafelsilber prachtvoll ausgestattete Residenz, die Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn um 1700 erbauen ließ. Dass den üppig-barocken Kaisersaal mit seinem Scheinarchitektursäulen und seinem Deckengemälde (Melchor Steidl malte zwei Jahre lang an dieser Verherrlichung des Reiches) nie ein Kaiser gesehen hat, ist eine Ironie der Geschichte. Bamberg, das sind drei Städte in einer: Von Residenz mit Rosengarten und vom Dom mit dem Riemenschneidergrabmal des Kaiserpaars Heinrich II. und Kunigunde geht es hinunter in die Inselstadt und weiter in die Gärtnerstadt, alle drei sind Teil des 142 Hektar großen Unesco-Welterbes von sagenhafter Anmut. Mit dem Rathaus mitten im Fluss, ohne Kriegsschäden und, auch das ein Segen: ohne Einkaufszentrum.
Über 40 Kirchen entstanden in der 800 Jahre währenden Geschichte als Kirchenstaat. Zwölf Brauereien brauen 50 Biersorten, das bekannteste ist wohl das historische urwürzige Rauchbier der Gaststätte Schlenkerla. Kulturfreunde besuchen die Villa Concordia und die Bamberger Symphoniker, ehe der Tag überm Wasser der Regnitz ausklingt auf der Terrasse im Wirtshaus Eckerts.
Ansbach
Die Kleider, die er getragen hat, als er erstochen wurde, sind hier, seine Taschenuhr, gar die Unterhose mit dem Blutfleck, der später zu DNA-Analysen herangezogen wurde, um zu klären, ob Kaspar Hauser ein verstoßener Prinz von Baden war. Die Hauser-Abteilung im Markgräflichen Museum (das zudem die Vor- und Frühgeschichte sowie Ansbach im 19. Jh. im Königreich Bayern thematisiert) gibt Zeugnis vom berühmtesten aller Findelkinder, das geistig zurückgeblieben mit 16 Jahren in Nürnberg auftauchte und fünf Jahre später im herrlich weiten Ansbacher Hofgarten ermordet wurde. Die Stadt gedenkt seiner mit Kaspar-Hauser-Festspielen von 28. Juli bis 4. August 2024.
Nebenan prangt die Residenz mit 528 Räumen und Prachtausstattung von Seide aus Lyon bis zu den präparierten Lieblingspferden der Markgrafen. Vor der Residenz startet der Kunstweg „Skulpturenmeile“ mit Jürgen Goertz’ futuristischer Bronze „Anscavallo“ – in der Tourist-Info gibt es eine Broschüre, die zu allen 48 Skulpturen im öffentlichen Raum leitet. Zwei besonders witzige (von Kurt Laurent Metzler) stehen am Übergang zum Einkaufszentrum Brücken-Center, direkt am hochgradig empfehlenswerten Biergarten „Zum Mohren“.
Unbedingt sehenswert auf der Tour durch die Stadt sind die Synagoge, Johanniskirche und das Retti-Palais, das derzeit saniert und künftig als Privatmuseum wieder für die Öffentlichkeit zugänglich wird. Wer’s erst 2025 in die Stadt schafft, kann sich die 75. Rokokofestspiele von 3. bis 6. Juli und die berühmte Bachwoche von 1. bis 10. August dick im Kalender anstreichen.
Nürnberg
Erstaunlich, wie viele Nicht-Franken Nürnberg nur als Umsteigebahnhof kennen. Guter Vorsatz fürs nächste Mal: raus in die Stadt, Zeit nehmen, genießen. Gleich auf der anderen Straßenseite im Handwerkerhof an der Stadtmauer gibt es im „Bratwurstglöcklein“ – auf Holzbänken zwischen Fachwerkhäuschen – die wohl würzigste Bratwurst, die ein Altbayer je probiert hat.
Je nach Reisevorliebe kann der Gast tief eintauchen in die mittelalterliche Stadt mit Kaiserburg, historischen Felsengängen (besonders beliebt mit Führung zum Thema Bierkeller), ins Stadtmuseum oder Germanische Nationalmuseum, wo der älteste Globus der Welt (auch mit separaten Führungen) als stolzes Unesco-Welterbe präsentiert wird. Ein düster-imposantes Zeugnis deutscher Geschichte ist das Reichsparteitagsgelände mit Dokumentationszentrum.
Wer die Stadt mit Kindern erkundet, kann im Bahnmuseum die erste Dampflok Deutschlands, den „Adler“, Prunkwagen des Märchenkönigs Ludwig II. und die Modelleisenbahn bestaunen. Besonders attraktiv für Familien ist auch das erst 2021 eröffnete Zukunftsmuseum mit Themen von Star Wars, E.T. und Raumfahrt bis zur handfesten Frage: „In welcher Zukunft willst du leben?“ Roboter, die Suche nach Weltraummüll und ein Virtual-Reality-Spiel für bis zu vier Personen (nur nach Anmeldung) könnten sogar Jugendliche überzeugen, dass ein Museum aufregend sein kann.
Kulturfreunde erkunden den Kunstbunker, das Staatstheater oder das Dürerhaus, in dem der Künstler fast 20 Jahre lang gelebt und gearbeitet hat. Und wenn es dann reicht mit der Kultur, lässt man sich im Sommer in Sichtweite am sogenannten „Affenfelsen“ am nördlichen Tiergärtnertor nieder – und genießt das Angebot der umliegenden Kneipen, die vielfältige Braukultur und den liebenswerten „fränggischen“ Zungenschlag der Leute, die übrigens größten Wert darauf legen: „Wir sind hier nicht in Bayern, sondern in Franken!“
Der Schock der Säkularisation, als die freie Reichsstadt 1806 Bayern zugeschlagen wurde, steckt den Franken immer noch in den Knochen. Sie pflegen stolz Kulinarik, Sprache und Charme. Nach Franken reisen, das heißt: ein faszinierendes exotisches Land mit ganz eigener Kultur entdecken. Und das mitten in Bayern.
Raimund Meisenberger ist Ressortleiter im Feuilleton und bereiste die Städte auf Einladung von Frankentourismus. Ob die Bratwurst als „Drei im Weggla“ (Semmel), „Vier im Bier“(im Sud mit Zwiebeln gebraten) oder „Acht im Glöcklein“ (auf Silbertablett mit Kraut und Sahnemerettich) am köstlichsten war, überlegt er bis heute.
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