Namibia – Land der Farben

08.05.2020 | Stand 20.09.2023, 4:42 Uhr
Alexandra von Poschinger

Über Jahrmillionen hat der Wind riesenhafte Dünen in die westafrikanische Wüste Namib gebaut. Auf der Suche nach Nahrung streifen Tiere wie die Oryx-Antilopen oft mehrere hundert Kilometer weit durch die karge Landschaft. −Fotos: Poschinger

Exotische Reiseziele sind derzeit in weite Ferne gerückt – ihrer Faszination tut das aber keinen Abbruch. Über Namibias Süden zeigt sich Afrika von seiner schwärzesten Seite. Der Norden dagegen strahlt grün und zeigt Wilderern die rote Karte.

Die Namib verrostet. Schleichend. Leise. Exorbitant. Sandkorn für Sandkorn korrodiert auf den Dünen, die der Wind in der ältesten Wüste der Welt über Jahrmillionen zu riesigen Haufen aufgeschaufelt hat. "Große Leere" heißt Namib in der Sprache ihrer Ureinwohner, der Nama, doch wer in ihr abtaucht, sieht keinesfalls nichts. Er sieht rot: blutrot, erdbeerrot, lachsrot, fuchsrot, rhabarberrot, kardinalsrot, perlrubinrot – natürliches Rot in tausenderlei Nuancen, von der Sonne abwechselnd intensiv bei 40 Celsiusgraden zum Leuchten gebracht.

"Seit zehn Jahren hat es keinen Tropfen mehr geregnet, und sogar den Nama ist es irgendwann zu karg geworden hier", erzählt Theresius, Angehöriger des Bantuvolks Owambo, das die größte ethnische Gruppe in Namibia stellt. Nach Jahren der Dürre gaben auch die letzten Farmer resigniert auf. Geblieben ist nur die hartnäckigste Sorte Mensch: der Tourist. Als Naturguide führt Theresius Reisende durch die Namib, präsentiert ihre mondäne Schönheit, verweist auf die Flora, die sich in struppigen Büscheln aus dem Sandmeer krallt – und schwärmt von der Fauna, die in ihrer Vielfalt einmal mehr den Beweis liefert, dass die Wüste lebt. Oryx-Antilopen ziehen in mittelgroßen Herden durch den ewigen Sand, an anderer Stelle machen sich aufgescheuchte Zebras aus dem Staub.

So überwältigend die Namib tagsüber ist, in der Nacht raubt sie den Atem – und steckt voller Magie. Schenkt man den Überlieferungen der indigenen Völker im südlichen Afrika Glauben, zeigt die Milchstraße das aufgestellte Rückenfell eines knurrenden Hunds. Während wir Europäer auf dem Mond einen Mann oder Hasen ausmachen, sieht der Afrikaner auf der kopfüber am Himmel stehenden Scheibe eine Frau mit einem Bündel von Ästen im Arm. Wie dem auch sei: Der Himmel über der Namib zeigt Afrika von seiner schwärzesten Seite und schleudert gleichzeitig ein majestätisches Funkeln ins Firmament, das weltweit seinesgleichen sucht. Weil kein künstlicher Lichtstrahl den Nachthimmel stört, wurde 2012 im Naturreservat "NamibRand" der erste Sternenpark Afrikas eröffnet. Wer dort in der Unendlichkeit des Universums versinkt, misst dem Lauf der Dinge keine Bedeutung mehr zu. Hier gibt es keine Pünktlichkeit, weil die Zeit urplötzlich relativ ist.

Während den Süden des Landes die wüste Ewigkeit dominiert, kommt im wasserreichen, sattgrünen Norden vieles zu spät: Jede Stunde töten Wilderer in Namibia ein Tier. Meist sind Nashörner die Opfer und ihre Trophäen auf dem Schwarzmarkt mit 100000 US-Dollar pro Kilo mehr wert als Gold. "In China, wo das Horn als Wundermittel gegen Fieber und Impotenz gilt, war der Import jahrzehntelang verboten", weiß Ivan Philippson. Seit Peking 2018 die Regeln wieder lockerte, stieg aber die Wilderei deutlich an.

Ihr hat Philippson den Kampf angesagt: Im N/a’an ku sê-Reservat, einem 9000 Hektar großen Privatschutzgebiet unweit der Hauptstadt Windhoek, stellt der Wildlife-Manager und Polizeioffizier illegalen Jägern professionell nach – und verbucht große Erfolge: 85 Prozent der Wilderer bringt Ivan Philippson zur Strecke, denen im Anschluss ein Vierteljahrhundert Gefängnis oder eine Million Euro Geldstrafe droht. Als Mitglied einer regierungsgestützten Anti-Wilderei-Einheit und Chef über 128 Ranger verspürt Philippson zwar ordentlich Schubkraft im Rücken – er weiß aber auch um die Gefährlichkeit seines Jobs: "Erst im vergangenen Jahr wurden in Afrika 19 meiner Kollegen von Wilderern getötet."

Überleben Tiere – meist schwer verletzt – die mafiös organisierte Hatz, finden sie im N/a’an ku sê-Reservat ein sicheres Zuhause. Dort hat sich Marlice van Vuuren dem Erhalt der Landschaft, der Kultur und Fauna Namibias in beständig schrumpfenden Habitaten verschrieben und mit ihrem Mann Rudie eine Stiftung gegründet. Ob Erdmännchen, Stinktier, Pavian, Gepard oder Elefant: Im Herzen der 44-Jährigen findet ein ganzer Tierpark Platz – und Zuflucht vor dem Feind. "Wir retten Wildtiere aller Art, die ohne Futter oder medizinische Versorgung keine Überlebenschance hätten", erzählt Marlice van Vuuren und scherzt mit einem Äffchen, das permanent an ihrem Hosenbein zerrt. Weil manche Tiere früher in Häusern gehalten wurden und zu sehr an den Menschen gewöhnt sind, sei ihre Auswilderung nicht mehr möglich.

Stattdessen bekommen sie bei Marlice und Rudie van Vuuren eine zweite Chance – besonders jene Tiere, die verwaist oder verletzt im Buschland gefunden wurden. Ihre individuellen Geschichten lernen Reisende auf einer Safari zu Fuß durch das Privatreservat kennen, etwa diejenige der Gepardin "Amber", deren Mutter sie als Welpe in der Wildnis zurückgelassen hat. Um sicherzustellen, dass Amber überlebt, wurde sie vor fünf Jahren nach N/a’an ku sê gebracht, wo sie nun zweimal am Tag durchs Revier streift, sich schon mal vor den Besuchern auf den Boden schmeißt und wie eine dicke Hauskatze schnurrt.

120 Raubtiere wurden in den vergangenen zehn Jahren im stiftungseigenen Hospital geheilt, auf zehn Hektar innerhalb des Schutzgebiets regeneriert und so wieder mit dem Leben in freier Wildbahn vertraut gemacht: Löwen, Panther und Geparden, Leoparden, Paviane und Wildhunde gleichermaßen. Weil Namibia mit 2,4 Millionen Einwohnern auf einer mehr als doppelt so großen Fläche wie Deutschland das am wenigsten dicht besiedelte Land nach der Mongolei darstellt, sei Tier- und damit Artenschutz so großzügig möglich, ist Marlice van Vuuren überzeugt.

Dass das namibische Umweltministerium und die Stiftung der Hollywoodstars Angelina Jolie und Brad Pitt ihre Projekte unterstützen, lässt die quirlige Sportökonomin freilich ruhiger schlafen – und dabei Kraft tanken für ihr jüngstes Baby: eine Grundschule für Kinder aus dem Buschmann-Volk der San. Aus deren komplizierter Sprache stammt auch der Name, den Marlice van Vuuren ihrer Stiftung vor 13 Jahren verlieh: "N/a’an ku sê heißt ,Gott beschütze uns‘", erklärt die 44-Jährige und lacht, während ihre Zunge beim Aussprechen der vertrackten Schnalz- und Klicklaute Schwerstarbeit zu leisten scheint. Und am Ende doch keine Mühe macht – wie immer, wenn viel Herzblut in eine Sache fließt.
INFORMATION EN
Namibia im Südwesten Afrikas wird durch die Wüste Namib entlang seiner Atlantikküste geprägt. Das Land besitzt eine artenreiche, aber hochbedrohte Tierwelt und verankerte als erster Staat weltweit die Erhaltung der Natur und ihres Wildbestands in seiner Verfassung. Umweltschutz ist in Namibia gesetzliche Pflicht.

ANREISEN
Flüge aus München oder Frankfurt steuern im Normalfall die Hauptstadt Windhoek (auch via Johannesburg )an.

ÜBERNACHTEN
•Mittendrin statt nur dabei, jedoch so umweltfreundlich wie möglich: Die junge Hotelkette Zannier gilt als Pionier in Sachen Nachhaltigkeit und entwickelte seine Lodges in der Namib und im N/a’an ku sê-Privatreservat nach obersten ökologischen Prinzipien. Info: www.zannierhotels.com
•Den Respekt vor der Natur hat die &Beyond Sossusvlei Desert Lodge in den Fokus ihres Ökokonzepts gerückt: 65 Prozent der Energie werden aus Photovoltaik gespeist, befüllbare Wasserflaschen in den Zimmern sparen 45000 Plastikflaschen ein – und damit knapp 70000 Liter Wasser jährlich. Die Produktion einer 0,5-Liter-Plastikflasche verbraucht rund 1,5 Liter Wasser. Info: www.andbeyond.com.

www.namibia-tourism.com

Alexandra von Poschinger lebt und arbeitet als freie Journalistin und Autorin in St. Oswald im Landkreis Freyung-Grafenau und München.