Nachhaltigkeit und gestörte Lieferketten

28.11.2022
−Foto: impulsQ UG

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Solvium-Vorstand André Wreth über den Welthandel, logistische Herausforderungen und die besondere Bedeutung des Schienenverkehrs für unsere Ökobilanz.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wissen Verbraucher und Unternehmen, was der Begriff "Lieferkettenproblem" bedeutet. Autobauer warten auf Bauteile, das neue Notebook ist nicht mehr innerhalb weniger Tage verfügbar, und mittlerweile sind sogar die Chips für Haushaltsgeräte knapp, ganz zu schweigen von Baustoffen. Der scheinbar grenzenlose Welthandel fordert seinen Tribut und "stellt insbesondere die Logistik-Branche immer wieder vor große Herausforderungen", sagt André Wreth im Interview. Er ist Vorstand der Solvium Holding AG. Die Hamburger bieten Logistik- und Transportinvestments etwa in Schiffscontainer, Eisenbahnwaggons und in sogenannte Wechselkoffer. Kunden sind neben institutionellen Investoren wie Pensionskassen und Versorgungswerken auch viele tausend Privatanleger.

Herr Wreth, die Pandemie und ihre Folgen beeinträchtigen den Welthandel nach wie vor erheblich. "Lieferkettenproblem" ist der wohl am häufigsten gebrauchte Begriff, sobald Produkte nicht verfügbar sind. Wie beschreiben Sie das Wort?

André Wreth. Die Logistikwelt, wie wir sie heute kennen, ist hochkomplex und auf Effizienz ausgerichtet. Fällt ein wesentliches Element aus, zum Beispiel die Verfügbarkeit eines Hafens, oder gerät ins Stocken, beeinflusst das die komplette Lieferkette – also von Rohstoffen über Hersteller von Zwischenprodukten und Konsumgütern bis hin zum Einzelhandel. Die unterbrochenen Lieferketten machen der Logistikwelt zu schaffen. Vor Corona wurde für jeden Container, der ein Schiff verließ, ein neuer auf das Schiff gebracht. Also gab es ungefähr doppelt so viele Standardcontainer wie Stellplätze auf den Containerschiffen. Lange vor Reiseantritt stand für die Reedereien und Logistiker schon fest, welches Schiff wann welchen Hafen anläuft und welcher Container, ob leer oder mit Ware, wann und wo be- bzw. entladen wird.

Lockdowns und Hafensperrungen führten dazu, dass sich in vielen Seehäfen und in deren Hinterland teils bis heute noch tausende Container stapeln. Diese fehlen in der von Effizienz so abhängigen Logistik. Aktuell bräuchte man mindestens 3, wenn nicht 4 Container je Containerstellplatz auf den Schiffen. Die Folgen sind nach wie vor hohe Preise bei den Kauf-, Miet- und Frachtraten, zudem Schiffsstaus und verlängerte Lieferzeiten bei Zwischenprodukten und fertigen Erzeugnissen. Dies alles bezeichnen wir allgemein als "Lieferkettenprobleme".

Ukraine-Krieg bislang untergeordnete Rolle
Als würde dies nicht schon ausreichen, hat Putin Ende Februar die Ukrainer überfallen. Wie wirkt sich aktuell der Ukraine-Krieg auf den Welthandel aus?

André Wreth. Der Ukraine-Krieg spielt bislang eine untergeordnete Rolle für die globalen Warenströme. Russland, die Ukraine und Weißrussland repräsentierten nach den letzten Statistiken weniger als 2,5 Prozent des Welthandelsvolumens. Allerdings ist derzeit nicht vorhersehbar, ob die Lage eskaliert. Eine solche Eskalation würde die Lieferkettenprobleme mit zunehmender Dauer weiter verschärfen und ohnehin nahezu alle Wirtschaftsbereiche beeinträchtigen.

Die Erfindung des Containers durch den US-Amerikaner Malcolm McLean in den 1950er Jahren hat das weltweite Transportwesen revolutioniert. Ohne die Metallboxen kämen weder Kaffee noch Notebooks in den Mengen und günstigen Lieferpreisen von A nach B. Sind die Container von damals noch die gleichen wie heute?

Verschiebungen im Containerbereich wegen Globalisierung
André Wreth. Grundsätzlich ja. An den Maßen und technischen Details hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas geändert. Die Globalisierungsdynamik führte allerdings zu einigen Verschiebungen im Containerbereich. Noch vor zehn Jahren entfiel der größte Anteil des Weltbestandes auf 20-Fuß-Standardcontainer, der ursprünglich von McLean erfundenen Containerart.

Mittlerweile sind es die 40-Fuß-High-Cube-Standardcontainer, die größeren Brüder, die den Markt dominieren. Diese können zwar im Verhältnis weniger Gewicht transportieren, jedoch deutlich mehr größere oder mehr leichtere Waren, weil sie mehr Volumen aufnehmen können. Der etwas größte Teil der Nachfrage nach Transportkapazitäten konzentriert sich mittlerweile auf diese Containerart. 20-Fuß-Standardcontainer und 40-Fuß-High-Cube-Standardcontainer machen zusammen aber rund 90 Prozent der weltweiten Containerflotte aus.

Corona hat das starke Wachstum des Online-Shoppings weiter beschleunigt. Nicht nur in Deutschland erreichten die Logistik-Unternehmen in vielen Pandemiemonaten ihre Kapazitätsgrenzen. Profitieren davon auch die Containermärkte?

Wechselkoffer statt Container
André Wreth. Ja, auch davon konnten Containermärkte profitieren, aber ein anderes Transportbehältnis besonders. Die Corona-Pandemie brachte dank des boomenden Onlinehandels einen Umsatzschub für Logistikfirmen wie DHL, UPS oder DPD. Diese und deren Wettbewerber bedienen sich eines ähnlichen Transportbehältnisses wie Container, nämlich der sogenannten Wechselkoffer.

Das sind Container-ähnliche und auf Euro-Paletten-Maße ausgerichtete Metallboxen für den Einsatz in der Land- und Schienenlogistik. Sie unterscheiden sich von ihren "älteren Brüdern" durch die hochklappbaren Stützbeine an den Ecken, die deren Abstellen und Aufnehmen via Lkw ohne Kran ermöglichen, somit das effiziente sowie zeitsparenden Be- und Entladen bzw. Transport von Waren durch Lkw erleichtern.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland erstmals mehr als 4 Milliarden Pakete versendet und zugestellt. Aus Umweltgesichtspunkten bedenklich, da die meisten von ihnen – alles in allem knapp 64 Millionen Tonnen schwer – mit Lkw über Straßen transportiert wurden …

Schienentransport muss ausgeweitet werden
André Wreth. Das stimmt für einen großen Teil der Sendungen. Deshalb muss und wird unter dem Gesichtspunkt von Nachhaltigkeit und Ökobilanz die Schiene als Transportweg deutlich an Bedeutung gewinnen. Marktführer Deutsche Post transportiert nach eigenen Angaben momentan nur 2 Prozent ihrer DHL-Pakete über die Schiene. Mittelfristig sollen es 6 Prozent sein, langfristig 20 Prozent. Aus meiner Sicht eine sehr gute und vernünftige Entscheidung.

Denn nach wissenschaftlichen Erkenntnissen beträgt der CO₂-Ausstoß auf der Schiene nur etwa 17 Prozent – Tendenz fallend – im Vergleich zum Straßentransport. Deshalb gibt es zahlreiche europäische und deutsche Pläne zum Ausbau des Schienennetzes.

Ist die zunehmende Bedeutung der Schienenlogistik nun eine gute oder eine schlechte Nachricht für Ihre Investoren?

André Wreth. Jedem dürfte klar sein, dass der Transport per Bahn und nicht über die Straße auf Dauer einen erkennbaren Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz leistet. Deshalb haben Güterwaggons schon seit Jahren einen bedeutenden Anteil an unseren Logistik-Portfolios – mit steigender Tendenz. Anleger fragen gezielt nach dieser Form von Logistikinvestments.

Um Ihre Frage zu beantworten: Die zunehmende Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene ist eine gute Nachricht auch für unsere Investoren. Denn für eine weltweite Logistik ohne gravierende Lieferkettenprobleme müssen alle drei dominierenden Transportwege – See, Straße, Schiene – funktionieren und miteinander harmonieren.