Schaumwein aus England, Rotwein aus Schweden, pilzwiderstandsfähige Rebsorten aus Niedersachsen: Tatsächlich machen immer mehr Weine aus dem Norden von sich reden. Ist der Klimawandel der Grund dafür?
Beim Teutoburger Wald haben viele Menschen die Varusschlacht im Sinn, schöne Wanderwege oder die Externsteine. Was wohl wenige erwarten: Weinberge. Und doch betreibt Jan Brinkmann in Bad Iburg im Osnabrücker Land Weinbau. „Wir haben hier die ersten beiden genehmigten Steillagen von ganz Niedersachsen“, erzählt er. Den Hof unter dem Namen Brinkmann gibt es seit 750 Jahren. Den „Weinhof Brinkmann“ aber erst seit 2018. Da ist Jan Brinkmann von der Schweinehaltung auf den Weinbau umgestiegen.
Möglich gemacht hat das eine Gesetzesänderung in der EU. Jahrelang war es verboten, neue Rebflächen anzupflanzen. Bis 2016. In Deutschland dürfen seitdem jährlich etwa 300 Hektar neue Rebfläche angelegt werden. Aufgrund eines Bundesratsbeschlusses stehen jedem Bundesland mindestens fünf Hektar pro Jahr zu. Und damit ist der gewerbliche Weinbau seit 2016 auch in Niedersachsen erlaubt.
Davon hat Jan Brinkmanns Vater im Radio gehört. „Jetzt können wir einmal die ersten sein“, haben sich die zwei Landwirte gedacht. Statt weiter Schweine zu halten, legten sie Weinberge wie den „Teutoburger Südhang“ an. Für Jan Brinkmann in vielerlei Hinsicht etwas Neues. Groß geworden ist er mit Wein nicht, erzählt er: „Bei uns gab es Bier und Cola-Korn. Auf einer Hochzeit hat man dann vielleicht auch mal Wein getrunken.“
Dass aus ehemaligen Viehzucht- oder Mischbetrieben Weingüter entstehen, findet Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI) gar nicht so ungewöhnlich: „In den 1960er Jahren war in Rheinhessen oder der Südpfalz Weinbau auch noch nicht sehr verbreitet, da hat es genauso angefangen.“ Heute sind beide Gebiete aus der Weinlandschaft nicht wegzudenken.
Erderwärmung lässt Trauben im Norden reifen
Ob es sinnvoll ist, Weinberge anzulegen, ist aber natürlich nicht nur eine Frage der Gesetzeslage. Laut Lehrbuch ist das Klima dafür auf der Nordhalbkugel vom 30. bis 50. Breitengrad ideal. Da liegen Rheinhessen und die Südpfalz mittendrin. Bad Iburg, wo Jan Brinkmann seinen Wein anbaut, liegt auf dem 52. Breitengrad – also jenseits dieser Zone. Damit fehlt es hier, zumindest der Theorie nach, an Sonnenstunden, damit die Trauben gut ausreifen können.
„Aber da kommt der Klimawandel ins Spiel“, sagt Ernst Büscher. „Es wird einfach wärmer. Wir haben gerade im Südwesten in Deutschland während der Vegetationsperiode von April bis Oktober einen Anstieg der Durchschnittstemperatur von 1,5 Grad. Das ist sehr viel.“ Das kann für den Weinbau von Vorteil sein. So reifen etwa Rotweintrauben in Deutschland besser aus. Und es macht den Weinbau in nördlichen Regionen attraktiver.
Das sagt auch Damien Briard von der Domäne Château d’Annevoie in Belgien. Anders als Brinkmann ist er kein Quereinsteiger, sondern hat das Weinmachen in Frankreich gelernt, unter anderem im Bordeaux und der Champagne. Er sagt: „Sommer mit so viel Sonne wie jetzt hat es in meiner Kindheit in Belgien nicht gegeben.“ Für den Weinbau in seiner Heimat sei das hilfreich – es sei einfacher, guten Wein zu machen. „Aber der Klimawandel macht mir natürlich auch Angst“, sagt er. Und erzählt von Winzerfreunden aus Montpellier in Südfrankreich, deren Weinberge unter großer Trockenheit leiden und die deshalb große Zukunftsängste haben.
Schaumwein aus England
Auch die Champagne, eine der nördlichsten Weinbauregionen in Europa, verändert sich durch die Erderwärmung. Das berühmte Gebiet liegt zwischen 48. und 49. Breitengrad, also gerade noch in der offiziellen Weinbauzone. Das kühle kontinentale Klima sorgte meist für Trauben mit niedrigem Zucker- und hohem Säuregehalt - ideal für die Schaumwein-Produktion.
Bedrohen wärmere Sommer den typischen Champagner-Stil? Tatsächlich könne man im Weinberg, etwa durch die Art der Entblätterung der Laubwand, viel beeinflussen. „Beispielsweise auch die Bildung des Zuckers in den Trauben“, sagt Manfred Stoll. Er ist Professor für allgemeinen Weinbau an der Hochschule Geisenheim. Trotzdem haben sich Investoren aus der Champagne früh nach neuen Weinbauregionen umgesehen. „Vor 15, 20 Jahren waren sie auf der Suche nach ähnlichen Böden wie in der Champagne, aber kühleren und moderateren Bedingungen“, sagt Manfred Stoll.
Fündig geworden sind sie in Südengland. Hier bauen Champagner-Hersteller wie Taittinger die typischen Rebsorten aus der Champagne an. Champagner werden die Weine zwar niemals heißen, das ist eine geschützte Ursprungsbezeichnung. Aber tatsächlich genießen Schaumweine aus England bereits einen hervorragenden Ruf.
Nachhaltigere Rebsorten
Aber nicht immer greife man beim nordischen Weinbau auf klassische Rebsorten zurück, so Stoll. Stattdessen werden häufig sogenannte pilzwiderstandsfähige Rebsorten, kurz PIWIs, gepflanzt. Das sind neuere Züchtungen, die weniger anfällig gegenüber den Pilzkrankheiten wie den Echten und den Falschen Mehltau sind. „Deshalb benötigen sie weniger Pflanzenschutz“, erklärt Stoll. Das ist nicht nur nachhaltiger, sondern bedeutet auch weniger Arbeitsaufwand für das Weingut.
Für Jan Brinkmann aus Niedersachsen, der auf seinen Flächen lange Futter für seine Schweine angebaut hat, waren das überzeugende Argumente. In seinen Weinbergen pflanzte er die weißen PIWIs Helios und Solaris sowie den roten Regent. Eine langfristige Wahl, denn Weinstöcke werden für mehrere Jahrzehnte gepflanzt. Dass die PIWIs auch einen Haken haben, fiel ihm erst später auf: „Niemand steht auf einem Weinfest und fragt nach Helios“, sagt Brinkmann.
Aber er sieht es pragmatisch: „Bei Wein aus Niedersachsen müssen wir eh eine lange Geschichte erzählen, dann eben auch noch die der PIWIs.“ Ernst Büscher vom DWI glaubt, dass sich das in Zukunft ändern kann und sieht in den PIWI-Weinen auch eine Chance: „Vielleicht sind die PIWI-Reben irgendwann mal ein Wettbewerbsvorteil. Gerade jüngere Menschen achten immer mehr auf Nachhaltigkeit.“
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