Emotionale Herausforderung
Und nun? Die Momente nach dem Tod eines geliebten Menschen

17.11.2023 | Stand 03.07.2024, 16:11 Uhr |

Hand halten - Ein letztes Mal die Hand halten: Nach dem Tod eines geliebten Menschen haben einige Angehörige das Bedürfnis danach, für andere ist das unvorstellbar. - Foto: Mascha Brichta/dpa-tmn

Wenn alte oder sehr kranke Menschen sterben, ist das meist absehbar. Der Moment, in dem es passiert, überfordert Angehörige dennoch. Wie verhalte ich mich richtig? Gibt es „richtig“ überhaupt?

„Die wenigsten Menschen sterben zu Hause“, sagt Karin Scheer. Sie leitet die Hospizarbeit im Uniklinikum Essen und ist Vorstandsmitglied im Deutschen Hospiz- und PalliativVerband. So sterben viele alte Menschen im Krankenhaus oder im Heim.

Wer dabei ist, wenn ein geliebter Mensch den letzten Atemzug tut, oder einen Angehörigen tot vorfindet, kommt emotional an seine Grenzen. Wie Menschen damit umgehen, sich in den ersten Momenten nach dem Tod verhalten, das ist vielfältig. Und das darf auch so sein, erklärt die Trauerfachfrau.

Was ist das für ein Spektrum an Gefühlen in diesen Momenten nach dem Tod eines Angehörigen?

Karin Scheer: Wenn man dabei ist, wie ein geliebter Mensch aufhört zu atmen, ist das wie ein Schock. Ganz normal ist das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wo oben und unten ist, ganz aufgeregt zu sein. Man ist sozusagen „out of order“ und in einer Unruhe, bekommt auch Ängste. Es können einem ganz viele praktische Fragen durch den Kopf schießen: Wen muss ich benachrichtigen, habe ich einen Bestatter, wer macht die Beerdigung, wer versorgt mich jetzt finanziell?

Es ist ein Moment, in dem die Gefühle von links nach rechts und oben nach unten rasen. Gleichzeitig gerät man in eine Art Starre, in der man gar nicht klar denken kann. Dann ist es gut, wenn man sich vielleicht vorher schon über einiges Gedanken gemacht hat, sich auch manches aufgeschrieben hat, was zu tun ist, weiß, wen man jetzt anrufen kann.

Was ist denn in so einem Fall erstmal zu tun?

Scheer: Ist ein Mensch eines natürlichen Todes zu Hause gestorben, braucht man keine Polizei. Man ruft den Hausarzt an, der kommt und die Todesbescheinigung ausstellt. Das kann man, muss man aber nicht sofort tun. Der Tod muss innerhalb von 36 Stunden bescheinigt werden, auch der Bestatter sollte innerhalb dieser Zeit angerufen werden. Ist aber jemand zum Beispiel in der Nacht gestorben, würde ich ja direkt noch gar keinen erreichen.

Vielleicht möchte ich aber jemanden aus der Nachbarschaft oder der Verwandtschaft anrufen, damit ich nicht alleine bin. Da muss jeder für sich wissen: Was halte ich aus? Manche Angehörigen bekommen das Zittern oder ihr Blutdruck sinkt oder sie werden unruhig - das ist ganz individuell.

Stirbt jemand nicht zu Hause, sondern in einem Heim oder Hospiz, ist jemand da, der sich auskennt und helfen kann.

Welche Rituale können in der Zeit direkt nach dem Tod eines Angehörigen helfen?

Scheer: Früher waren die Menschen mehr in kirchliche Bezüge eingebunden. Da kam der Pfarrer und es gab Rituale, die man auch braucht, um die Situation zu meistern. Stirbt jemand zum Beispiel auf einer Palliativstation oder in einem Hospiz, können Angehörige in vieles miteinbezogen werden.

Man kann zum Beispiel die Haare des oder der Verstorbenen kämmen, das Gebiss einsetzen, ihn oder sie waschen, den Raum schön herrichten, gegebenenfalls einen Bibelvers aufstellen, den der- oder diejenige immer gerne mochte. Entscheidend ist natürlich auch, ob es einen bestimmten kulturellen oder religiösen Hintergrund gibt.

Aber all das ist sehr individuell. Jeder und jede muss schauen, was er oder sie möchte. Manche Angehörigen wollen dabei sein in diesen Momenten, andere schaffen das emotional gar nicht. Man kann sogar noch dann, wenn der Leichnam schon beim Bestatter war, darum bitten, Abschied zu nehmen, indem man den Sarg noch einmal öffnet. Auch eine Aufbahrung zu Hause ist meist in den ersten 36 Stunden nach dem Tod noch möglich.

Ist im Grunde erlaubt, wonach ich mich fühle, wenn jemand gestorben ist?

Scheer: Es ist alles möglich, entscheidend ist, was ich möchte und kann. Manche bleiben die Nacht noch im selben Zimmer mit dem Partner, verabschieden sich mit einem Kuss.

Andere brauchen erst einmal einen Moment Ruhe für sich, um überhaupt zu überlegen, was genau sie jetzt wollen. Für die einen ist es gut, in einer Umarmung noch in großer Nähe zu sein, andere sagen: „Ich halte das nicht mehr aus.“

Beides ist in Ordnung. Es ist wichtig, das zu tun, was für einen selbst richtig ist, egal, wie die Umwelt das vielleicht findet.

Kann ich mich auf so einen Moment vorbereiten?

Scheer: Durch so eine Situation, dass ein geliebter Mensch stirbt, muss niemand alleine durch. Sprechen Sie Ihren Hausarzt an, der im Gespräch vorbereiten und unterstützen kann und Ihnen zum Beispiel einen ambulanten Hospizdienst empfehlen kann. Dort können Sie jederzeit anrufen und nachfragen. Auch auf der Webseite des Hospiz- und Palliativverbandes (www.dhpv.de) finden Sie Informationen und Hospizdienste bei Ihnen vor Ort.

Der Sterbeprozess beginnt dann, wenn es eine entsprechende Diagnose vom Arzt gibt. Kümmern Sie sich daher rechtzeitig, denn es geht nicht nur um den Moment des Sterbens, wesentlich ist die Betreuung vorher und danach.

Wie kündigt sich der Tod an?

Jemand „kommt ans Liegen“, so nannte man es früher in der Heimat von Karin Scheer. „Das hieß: Man kommt nicht mehr auf die Beine, man bleibt im Bett liegen“, sagt sie.

Hat ein sehr alter oder kranker Mensch wenig Appetit und lassen die Kräfte deutlich nach, können auch das Anzeichen sein, dass es langsam zu Ende geht mit einem Menschenleben.

Welche typischen Phänomene gibt es noch?

Ob ein Sterbeprozess einige Stunden oder Tage dauert, ist ganz individuell. In der letzten Phase vor dem Tod sind Sterbende laut Karin Scheer oft sehr unruhig. Typisch sei das „Nesteln“, darunter versteht man ein In-die-Luft-Greifen mit den Händen. Meist seien diese Menschen dann auch nicht mehr ansprechbar.

Ein weiteres Anzeichen dieser letzten Phase ist das sogenannte „Todesrasseln“. Dieses geräuschvolle Atmen von Sterbenden kommt daher, dass der- oder diejenige den Speichel nur noch schwer schlucken kann. „Die Muskulatur funktioniert nicht mehr so gut, der Speichel sammelt sich am Kehlkopf“, erklärt Karin Scheer. „In der Regel führt es beim Sterbenden aber nicht zum Leiden.“ Für Angehörige kann es dennoch erschreckend sein.

Wie reagiert der Körper des Toten?

Irgendwann ist der letzte Atemzug genommen, der Mensch ist gestorben. Der Tod zeigt sich nicht nur an der ausbleibenden Atmung, sondern zum Beispiel auch an den Fingerspitzen. „Sie werden bläulicher“, sagt Karin Scheer. Nach kurzer Zeit bilden sich Leichenflecken auf der Haut. Sie entstehen, weil das Blut nicht mehr durch den Körper gepumpt wird, sondern sich ansammelt.

Was Angehörige oft irritiert: Dass der Körper auch nach dem Tod noch Geräusche machen kann. „Die Muskulatur des Darmes lässt nach, und es kann auch noch etwas herauslaufen“, sagt Karin Scheer. „Daher wird ein toter Mensch am Ende auch noch einmal gewaschen.“

Für die Angehörigen ist der Sterbeprozess eine große Herausforderung. „Man möchte etwas tun und fühlt sich so hilflos“, weiß die Leiterin der Hospizarbeit. „Die Hospizbewegung sagt daher: "Wir lassen euch nicht alleine, wir sind da, um die Kennzeichen des Todes zu erklären und gemeinsam auszuhalten."“

© dpa-infocom, dpa:230927-99-349512/6

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