Mini statt maxi und Plastik statt Protz: Als Mercedes vor 25 Jahren den ersten Smart brachte, wollten die Schwaben nicht weniger als die Welt retten - und waren ihrer Zeit offenbar zu weit voraus.
Größe ist relativ. Auf der einen Seite war der Smart Fortwo mit seinen 2,50 Metern Länge das mit Abstand kleinste Auto, das 1998 auf den Markt kam. Auf der anderen Seite schlug keine andere Neuheit vor 25 Jahren so viele Wellen wie der Winzling, der da aus einem eigens errichteten Werk in Hambach rollte.
Kein Wunder: Schließlich wollte der Smart nicht weniger, als das Auto revolutionieren und so die Welt oder zumindest den Stadtverkehr retten. Dafür wurde er auf das maximal Mögliche reduziert. Und dass so ein Auto ausgerechnet von Mercedes, dem Hersteller von S-Klasse und Maybach kommen sollte, machte die Sache nur noch interessanter.
Ein Nahverkehrsfahrzeug und das Swatch-Auto als Vorboten
Begonnen hatte die Geschichte freilich schon viel früher, kann man in den Mercedes-Archiven nachlesen. Denn bereits in den 1970er Jahren hatte sich ein Team um Mercedes-Ingenieur Johann Tomforde unter dem Eindruck der Ölkrise Gedanken über das Stadtauto der Zukunft gemacht.
Sie hatten sich dabei auf eine Länge von 2,50 Metern eingeschossen und die dicken Bretter im Hause der Bedenkenträger so lange gebohrt, bis 1981 das Nahverkehrsfahrzeug NAFA als Studie enthüllt wurde.
Parallel dazu machte sich auch der als Erfinder der Swatch-Uhr berühmt (und reich) gewordene Schweizer Unternehmer Nicolas Hayek Gedanken um ein Auto für die Stadt von Morgen. Mit seinen Ideen scheiterte er bei VW als Partner, fand aber beim damaligen Mercedes-Vorstand Jürgen Hubbert ein offenes Ohr.
Vor 25 Jahren rollte der Winzling auf den Markt
Zwar nicht wie von Hayek präferiert mit Elektroantrieb, dafür aber so kompakt wie das Nafa und so bunt und modisch wie Hayeks Uhren, mündeten beide Konzepte gemeinsam im Smart. Der gab seinen Einstand auf der IAA in Frankfurt 1997 und kam Herbst 1998 auf den Markt.
Experten wie der Duisburger Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer halten den Smart denn auch für eine der mutigsten Neugründungen in den vergangenen 50 Jahren. Neben Tesla natürlich, sagt er. Zwei entscheidende Unterschiede gibt es aber: Während der Tesla-Kurs an der Börse durch die Decke ging, gilt der alte Smart als Milliardengrab. Und während Tesla-Chef Elon Musk zuweilen als Messias der Elektromobilität gefeiert wird, sind die Herren Tomforde, Hayek und Hubbert fast schon wieder vergessen.
„Wahrscheinlich war Smart einfach seiner Zeit voraus“, so Dudenhöffer, „und hatte obendrein bei Mercedes die falschen Väter“. Denn wenn die Schwaben eines nicht können, dann sind es preisgünstige Autos, ist der Experte überzeugt: „Und für einen echten Durchbruch war der Fortwo immer zu teuer.“ Und so richtig gut gefahren ist er - zumindest anfangs - auch nicht.
Für pures Fahrvergnügen sorgt der Antrieb nicht
Wer heute noch einmal in ein Auto aus jener Zeit steigt, wundert sich nicht nur über die billige, aber dafür bunte Plastiklandschaft. Das mag weder zum Mercedes-Image passen noch zum stolzen Grundpreis von damals 16 480 D-Mark. Stöhnen dürfte man vor allem über den Antrieb.
Schließlich knattert im Heck ein Dreizylinder von mageren 0,6-Litern mit 33 kW/45 PS und 70 Nm, der lauter ist als jeder Achtzylinder von AMG. Nur dass er leider nicht so souverän klingt. Und selbst an dem kaum 800 Kilo leichten Wägelchen hat er schwer zu schaffen. Kein Wunder, dass es 18,9 Sekunden dauert, bis der Zweisitzer aus dem Stand auf Tempo 100 ist. Und bei 135 km/h ist schon wieder Schluss.
Als wären dessen magere Fahrleistungen nicht schon Zumutung genug, spannt Mercedes den Motor auch noch mit einem automatisierten Schaltgetriebe zusammen, das quälend lange Pausen macht und einen jedes Mal durchschüttelt, wenn es dann doch den rechten Gang gefunden hat. Niemand Geringerer als Niki Lauda wurde zum Lautsprecher der Kritiker, weil der Formel-1-Legende im Smart dabei regelmäßig seine typische rote Kappe vom Kopf geschüttelt wurde.
Auch in der kleinsten Lücke ist noch Platz
Aber egal, wie nervig das Getriebe ist, wie laut der Dreizylinder und wie lahm einem der Bonsai-Benz jenseits des Ortsschildes erscheint: In der City ist und bleibt er der Champion und nichts geht über das gute Gefühl, wirklich immer und überall einen Parkplatz zu finden. Meist sogar legal und bisweilen noch immer quer zur Fahrbahn. Wo andere Klein- und Kleinstwagen den Verzicht predigen, bietet der Smart so ausgerechnet da Vergnügen, wo Autofahren sonst oft am meisten weh tut.
Und ein gutes Gewissen bietet er auch. Zum einen, weil er nicht einmal halb so viel Verkehrsfläche braucht wie die vielen SUV. Und zum anderen, weil er für Mercedes den Einstieg in die Elektrifizierung markiert: 2007 erst mit einer Testflotte in London und ab 2011 dann für alle zu kaufen, wurde er zu einem der ersten E-Autos aus der Großserie. Ein Jahr vor dem Model S von Tesla.
Außerdem wurde der Smart zum Pionier des Carsharing und eroberte so ab 2008 die Metropolen der Welt. Kaufen oder mieten, Sprit oder Strom - Smart war flexibel. Auch beim Ausbau der Modellpalette. Denn die jungen Wilden im Daimler-Imperium ließen sich einiges einfallen, um die Marke aufzuladen und auszubauen.
Viele Irrungen und Wirrungen
In zweieinhalb Jahrzehnten hat der Smart deshalb viele Irrungen und Wirrungen mitgemacht. Mercedes hat die Idee immer weiter variiert: Es gab ihn - erst in Kooperation mit Mitsubishi und später mit Renault - zwei Generationen lang als Viertürer Forfour. Es gab ein Targa-Coupé und einen Roadster. Bei Brabus wurden die Modelle zu Sportlern für die Westentasche. Und es gab Kleinserien wie den Crossblade ohne Türen und ohne Scheibe. Als Forjeremy vom US-Designer Jeremy Scott bekam der Smart sogar Engelsflügel am Heck.
Den größten Sprung hat der Smart aber nach ziemlich genau 20 Jahren gemacht, als Daimler sich Geely ins Boot holte und den Bonsai-Benz in ein Joint Venture mit den Chinesen einbrachte. Die wollten vom ebenso gelobten wie defizitären Konzept aber erstmal nichts mehr wissen und haben stattdessen ein Auto für das Segment entwickelt, das die besten Prognosen bietet: Aus einem verspielten Kleinwagen wie aus dem Bällebad eines schwedischen Möbelkaufhauses wurde mit dem #1 so ein elektrisches SUV für die Generation E - 4,27 statt 2,70 Meter lang.
Kultig wie der Mini? Äh, nein
Zwar wirkt selbst der erste Fortwo noch vergleichsweise zeitgemäß und abgesehen von Antrieb und Ausstattung erstaunlich up to date. Doch 25 Jahre nach seinem Debüt ist der Smart mittlerweile offiziell ein Youngtimer, sagt Frank Wilke.
Auch der Chef des Marktbeobachters Classic Analytics rühmt den Kleinwagen als Meilenstein. Und zudem - ganz ähnlich wie ein Mini - als bewusste Verzichtserklärung einer Gesellschaft von Besserverdienern, die sich sehr wohl mehr leisten könnte. Doch zum Kultauto hat es dem Smart deshalb trotzdem nicht gereicht.
Nicht umsonst habe nie ein anderer Hersteller ernsthaft versucht, das Konzept zu kopieren. Und auch in der Klassiker-Szene ist der Smart bis heute nicht angekommen: „Ja, es gibt ein paar gesuchte Varianten wie den luftigen und lustigen Crossblade, für die man etwas tiefer in die Tasche greifen muss“, räumt der Experte ein. Aber das Gros der Flotte läuft eher unter der Rubrik günstiger Gebrauchter als unter gesuchter Liebhaber.
Die Schuld dafür sucht Wilke auch bei den Designern: „Schließlich hat sich der Auftritt des Smart seit seiner Premiere vor 25 Jahren kaum verändert und es macht deshalb keinen Unterschied, ob man einen alten oder einen neuen fährt.“ Zumindest dieses Problem ist mit dem #1 jetzt allerdings aus der Welt.
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