Gesellschaft der Musikfreunde Passau

"Es ist unfassbar" – Dirigent Michael Tausch über Bachs h-Moll-Messe

04.03.2020 | Stand 20.09.2023, 0:30 Uhr

Dirigent Michael Tausch hier inmitten seines Jugendchores Messa di Voce nach der Aufführung des Mozart-Requiems. −Foto: Toni Scholz

Seit über 175 Jahren pflegt die Gesellschaft der Musikfreunde in Passau den Chorgesang. Seit 2014 leitet Michael Tausch den Oratorienchor, 2016 gründete er zudem den Jugendchor Messa di Voce. Der Musikpädagoge wagt sich mit seinen Sängerinnen und Sängern an die größten Meisterwerke der Kirchenmusik, so am Sonntag, 8. März 2020, an die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach in einer monumentalen Veranstaltung mit über zwei Stunden Musik plus zwei Einführungen vorab.

Herr Tausch, Sie führen mit ihren Chören reihenweise die größten Meisterwerke der Kirchenmusik auf. Mozarts c-Moll-Messe und Requiem, Bachs Matthäus-Passion und nun Bachs h-Moll Messe. Warum wählen Sie gerade diese extrem anspruchsvollen Werke?
Michael Tausch: Das täuscht ein bisschen. Ich bin jetzt 52 und habe in meiner Vita alles Mögliche gemacht, was als Vorbedingung nötig ist, um an solche Werke herangehen zu können. Ausgangspunkt war die frühe und intensive Auseinandersetzung mit dem Orgelwerk Johann Sebastian Bachs, vor allem unter Anleitung von Prof. Michael Radulescu. Das hat also alles einen langen Vorlauf. Und ich habe das Gefühl, mit diesen großen Stücken etwas Wichtiges weitergeben zu können.

h-Moll-Messe am Sonntag, 8. März, St. Peter, Passau, Beginn 19 Uhr, Einführung ab 16 Uhr. Karten ausschließlich online über www.okticket.de

Haben Bach und Mozart besondere Bedeutung für Sie?
Tausch: Absolut. Ich habe mich als Student mit vielen Meistern der Alten Musik auseinandergesetzt: Nehmen Sie nur Frescobaldi, Byrd, das ist alles von so unglaublicher Qualität, dass das Leben nie ausreicht, um alles umzusetzen. Man muss sich entscheiden. Ich habe mir zum Beispiel in den letzten Jahren beide Teile des Wohltemperierten Klaviers am Cembalo intensiv vorgenommen und werde sie nun auch in Konzerten spielen. Ich bin froh und dankbar, dass ich das machen kann. Jeder muss da seine Schwerpunkte setzen. Mir als Musikpädagogen ist wichtig, dass möglichst niemand unberührt bleibt, dass man Gewinn aus der Musik zieht. Mit Werken wie der h-Moll-Messe lassen sich Menschen maximal erreichen und bewegen. Es ist mir wichtig zu zeigen, wie toll das ist.

Der Züricher Verleger Hans Georg Nägeli nannte 1818 Bachs h-Moll-Messe das "größte musikalisches Kunstwerk aller Zeiten und Völker". Hat der Mann recht und warum?
Tausch: Nägeli muss man aus seiner Zeit heraus verstehen. Er war ein großer Bach-Verehrer – und ein großer Mozart-Kritiker! Bach war damals in der Breite nicht so bekannt, und Nägeli hat versucht, darauf hinzuweisen: Wir müssen uns mit dieser Kunst beschäftigen, weil sie einfach so wertvoll ist! Das war richtig Propaganda für Bach. Nebenbei: Er war eben auch Verleger und Geschäftsmann. Allerdings trifft die Aussage über die sogenannte h-Moll-Messe sicherlich zu, insofern sie auf die herausragende Stellung dieser Musik verweist.



Und was bedeutet jenseits der historischen Einordnung die h-Moll-Messe für Sie persönlich?
Tausch: Es ist unfassbar. Wirklich unfassbar. Einerseits die geistige Tiefe und religiöse Verankerung. Dass Kunstwerke dermaßen aus ihrer Zeit herausbrechen und für uns heute noch Relevanz haben – das gibt es wirklich nicht so oft. Ich denke etwa an Nietzsche, der in Fragen christlicher Religiosität so ein Verweigerer war – und genau der sagt, er sei in einer Woche dreimal in Bachs Matthäuspassion gewesen! Immer mit dem Gefühl unermesslicher Verwunderung, sogar als Mensch, der das Christentum völlig verlernt habe. Es gibt da eben über jede handwerkliche musikalische Meisterschaft hinaus eine metaphysische Ebene, über die man nur staunen kann. Die Informationsdichte dieser Musik ist extrem hoch, fast möchte man sagen, es ist Musik nur für Experten und Kenner – und gleichzeitig gibt es eine sinnlich erfahrbare Ebene, die sich erschließt, ohne irgendetwas über das Werk wissen zu müssen. Das ist einzigartig.

So ein Werk vermittelt sich nicht aufs erste Hören: Sie geben gleich zwei Einführungen zu beiden Teilen der Messe, je 45 Minuten um ab 16 Uhr und ab 17.15 Uhr. Das Konzert beginnt um 19 Uhr und dauert über zwei Stunden. Über fünf Stunden für ein Konzert – wenn das jemand für übertrieben hält, was antworten Sie ihm?
Tausch: Ich habe da eine klare Meinung. Wir sollten uns Zeit nehmen für die wichtigen Dinge. Das ist eben nicht zur Unterhaltung oder kurzzeitigen Erbauung überliefert. Wenn ich Musik nur hören will, brauche ich die Einführung nicht. Aber ich brauche sie, wenn ich die Musik verstehen will – und dafür ist diese Zeit mitnichten zu lange –, zumal wir Pausen für Erfrischungen und Gespräche eingeplant haben. Um der Musik in ihrer Qualität gerecht zu werden, muss ich Sekundärliteratur lesen und Quellen studieren – oder ich muss es mir erzählen lassen. Ich will es mit einem Bild sagen: Viele von uns würden wohl nach Italien fahren, dort einem leidenschaftlichen Gespräch zuhören und sagen: So eine schöne Sprache, ich mag das gerne hören! Aber wenn ich die Sprache nicht verstehe, dann erfahre ich eben nur Klänge, die bestenfalls oberflächliche Assoziationen ermöglichen, aber nicht den Inhalt oder die Sinnzusammenhänge.

Was genau passiert in 90 Minuten Einführung?
Tausch: Ich werde nur Zusammenfassendes zur Genese sagen (das kann heute jeder schnell im Internet nachlesen) und etwa darauf hinweisen, dass das Werk bei Bach gar nicht den heute bekannten Titel hat, sondern dass es sich bei der so genannte h-Moll-Messe um durch Titelblätter getrennte Einzelteile einer "Missa tota" handelt, deren innere Zusammengehörigkeit sogar angezweifelt wurde. Sehr wichtig ist mir, eine Hörhilfe zu geben und stellenweise ein wenig zu erläutern, warum wir etwas auf eine bestimmte Weise musizieren. Im besten Falle gelingt dadurch eine schlüssige Deutung und ein nachhaltiges Musikerlebnis für alle, die sich dafür in St. Peter einfinden. Nur ein kleines Beispiel: Wir lassen etwa beim doppelchörigen "Dona nobis pacem" die Solistin allein vorne stehen, und rücken mit dem Chor beidseitig etwas mehr in das Kirchenschiff. Das mag eine komische Idee sein, aber ich bin überzeugt, dass die Doppelchörigkeit ein Symbol dafür ist, dass hier eine größere Dimension eröffnet ist als beim musikalisch fast identischen "Gratias". Von dieser Geste begleitet führt uns die Bitte "Gib uns Frieden" am Ende der Aufführung wieder hinaus in die Welt.

CD-Einspielungen der h-Moll-Messe inszenieren gern virtuose Meisterschaft und Tempo. Die Gesellschaft der Musikfreunde ist ein großer Oratorienchor, besetzt mit Laien. Wie meistern sie die technischen Anforderungen etwa einer Cum-sancto-spiritu-Fuge?
Tausch: Das ist in der Tat für alle eine große Herausforderung – ob Laie oder Profi! Interpretationen, die jedes Sechzehntel gleich artikulieren oder besonders schnelle Tempi umsetzen, wirken technisch virtuos und beeindruckend. Ich gehe lieber von der musikalischen Figur aus, die man verstehen soll und nachvollziehen können muss. Wir haben viel daran gearbeitet, diese Sprachlichkeit der Musik hörbar zu machen, sie bedingt Tempo, Artikulation und Dynamik. Und da gibt es stimmtechnisch ganz verschiedene Lösungen. Bezogen auf die Cum-sancto-Fuge bedeutet das etwa, dass der Chorsänger weiß: Im Fugenthema wird der Heilige Geist mit einer aufblitzenden Figur vorgestellt, gefolgt von einer dynamisch züngelnden Figur wie die Flammen im Pfingstereignis. Mit diesem Bild kann ich das viel leichter umsetzen – auch wenn es technisch herausfordernd bleibt. Ich sehe Chorarbeit hier als dauernde Suche nach Bildern, die helfen, mit der Stimme, mit dem Körper musikalische Ideen hörbar zu machen. Ich konnte feststellen, dass man sich auf diese Weise eben auch in der Laienarbeit an solche Musik wagen kann. Da gibt es genügend Begabungen, die das Ganze stützen und es ist eine wunderbare Sache, wie der Chor sich während eines solchen Projektes entwickelt, begeistern lässt und gegenseitig unterstützt. Und jeder sollte wissen: Spezialisten alleine tragen keine Kultur.

Sie sind Gymnasiallehrer in Vollzeit, haben Familie, spielen Cembalo und Klavier, halten Probenwochenenden ab, leiten den Chor der Gesellschaft der Musikfreunde und den Jungendchor Messa di Voce, gehen mit diesem auf Konzertreise nach Spanien, und an Silvester feiern die Jugendlichen in ihrem Haus ins neue Jahr. Haben Sie noch ein Leben jenseits der Musik?
Tausch: Aber ja! Ganz normale Sachen. Im Garten zum Beispiel oder im Haushalt. In einer sechsköpfigen Familie kommt man um den Staubsauger und das dauernde Einkaufen nicht rum. Zugegeben, es sind schon einige Baustellen, die viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Es menschelt ja auch hin und wieder und nicht jedem gefällt, was man macht. Tatsächlich kannst du aber so ein Leben nicht führen ohne feste Strukturen. Ich habe eine wunderbare Frau, die auch sehr viel hilft in der Organisation, und wir habe eine tolle Hausgemeinschaft mit dem früheren Intendanten der Europäischen Wochen Passau, Prankraz von Freyberg und seiner Frau Barbara Blumenstingl. Ich habe wundervolle Menschen im Vorstand und im Chor der Gesellschaft der Musikfreunde. Und ich habe neben den eigenen Kindern herrlich herausfordernde junge Menschen in der Schule und im Jugendchor. Solange man die Musik liebt und die Arbeit gern macht, vergisst man die Anstrengung am Ende und fängt immer wieder neu an.
Mehr zum Thema lesen Sie am 4. März im Feuilleton der Passauer Neuen Presse.

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