Der kleine Bub und die große Bombardierung

Politisches Jugendbuch: Josef Einwangers "Das Glaszimmer und ein Brief an den Führer"

03.06.2021 | Stand 25.10.2023, 10:53 Uhr

Mühldorf nach dem Bombenhagel am 19. März 1945: die Richard-Wagner-Straße, der Bahnhof und die Gleisanlagen. −Foto: Stadtarchiv Mühldorf

Einem breiten Publikum ist der im niederbayerischen Bachham zwischen Pfarrkirchen und Eggenfelden geborene Josef Einwanger durch den Buch- und Kinoerfolg "Toni Goldwascher" bekannt. Aber auch sein Roman "Der blaue Schuh" war ein Verkaufshit.

Spezialisiert hat sich der heute 86-jährige ehemalige Pädagoge auf Kinder- und Jugendbücher. Ab 1979 veröffentlichte er literarische Werke und produzierte literarische Jugendsendungen für den Bayerischen Rundfunk.

Jetzt hat er wieder ein Jugendbuch vorgelegt: "Das Glaszimmer und ein Brief an den Führer". Mit diesem Thema ist er topaktuell. Ein Blick in die Medien zeigt, wie leicht der Mensch, auch der junge Mensch, immer noch von Nazi-Parolen beeindruckt werden kann. Und dass man gar nicht früh genug über diese Zeit und ihr Gewaltregime lernen kann.

Letzte Kriegstage in Nieder- und Oberbayern

"Das Buch soll junge Menschen ansprechen und ist auch als Schullektüre gedacht", sagt der Autor, der seit 12 Jahren an der Grenze in Kiefersfelden (Landkreis Rosenheim) wohnt. Deshalb kostet es auch nur sensationelle 8 Euro. Der Autor weiß um die Probleme, wenn Schullektüre zu teuer ist.

Vielen ist Einwanger auch noch aus seiner Burghauser Zeit bekannt. 15 Jahre hat er in der Salzachstadt gewohnt und erinnert sich noch gerne an das rege literarische Leben dort.

Der neue Jugendroman spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs in Nieder- und Oberbayern. Er erzählt die Geschichte des zehnjährigem Felix, der mit seiner Mutter der Bombardierung von München entfliehen will und aufs Land zieht, zwischen Mühldorf und Simbach, ganz nahe der "Hitlerstadt" Braunau. Doch die Bomben holen ihn auch in seiner neuen Heimat ein. Bei einem Einkauf in Mühldorf müssen Mutter und Sohn im Schwaigerkeller die Bombardierung der Kleinstadt miterleben.

Das ist eines der zentralen Geschehnisse, die Josef Einwanger aus seiner eigenen Biografie einbringt. Als kleiner Bub, der mit seiner Mutter von München nach Dobl in Kirchdof bei Simbach gezogen war, fuhr er mit seiner Mutter nach Mühldorf, um Zucker und Mehl zu kaufen – rare Lebensmittel damals. Da hörten die beiden den Fliegeralarm und rannten mit der Menge zum Schwaigerkeller. "Stundenlang hockte ich dort eng eingepfercht und total verängstigt, bis die große Bombardierung der Stadt vorbei war. "Ich erinnere mich noch, als wäre es heute", sagt er zur PNP. Nach der Veröffentlichung dieses Buches haben ihm viele alte Mühldorfer geschrieben und gesagt: Genau so war es! Für die Kleinstadt war der 19. März 1945 ein traumatisches Erlebnis – und für Josef Einwanger auch.

Natürlich sei das Buch eine Fiktion und in kleinen Kapiteln kindgerecht erzählt, sagt er, aber doch mit autobiografischen Erlebnissen versehen. Auch die Figur des Tofan sei nicht ganz erfunden.

Zwei Welten tun sich in dem Jugendbuch auf: die der Hitlerjungen und seines Nachbarn Karri, Sohn des Ortsgruppenleiters, und die seines Glaszimmers am Dachboden, wo er vor dem Alltag fliehen und seinen Träumen nachhängen kann. Er findet eine Freundin. Mit Marta kann er nicht nur über alles sprechen, sie vermisst wie er den Vater. Die Väter sind an der Front. Die beiden Kinder beschließen an Hitler zu schreiben, damit er den Krieg beendet. Was natürlich nichts nützt.

Aktuell: Verführbarkeit der Jugend als Thema

Thema des Jugendromans ist die "Verführung und Verführbarkeit", so der Autor, der das Buch für Jugendliche ab 12 Jahren empfiehlt. Die Geschichte wird in 37 kurzen Kapiteln mit griffigen Überschriften erzählt, wie "Ein Raum voller Ratten", "Das verzaubernde Glaszimmer", "Eierdieb", "Bomben statt Mehl und Zucker". Die Sprache ist jugendgerecht, die Vermittlung von fehlenden Werten dieses menschenverachtenden Regimes gelingt in knappen und eindringlichen Beschreibungen.

Das Buch endet optimistisch: Felix’ Vater kehrt zurück, und die Familie hat eine Zukunft in dem befreiten Deutschland. Symbolisch steht der amerikanische Kaugummi für ein friedliches Miteinander.

Einwangers Lektor Hans-Jürgen van der Gieth veröffentlichte hierzu ein "Literaturprojekt". Es erschließt detailliert Inhalt und Aussage des Romans.

Außerdem gibt es bereits einen Film, über den der Autor allerdings unglücklich ist: "Mein Buch finde ich darin kaum wieder."

Der Roman ist für Kinder ab der 6. Klasse empfohlen – und er ist bestes Beispiel, wie ein Jugendbuch politisch, unterhaltsam und lehrreich sein kann – gerade weil die Betroffenheit wie auch die Wahrheit oft aus dem Kindermund kommen.

Josef Einwanger, Das Glaszimmer und ein Brief an den Führer, Buch Verlag Kempen, 148 Seiten, 8 Euro

URL: https://www.pnp.de/archiv/1/politisches-jugendbuch-josef-einwangers-das-glaszimmer-und-ein-brief-an-den-fuehrer-7279595
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