Wassermarsch durch Augsburg

05.11.2022 | Stand 22.09.2023, 3:37 Uhr

Die Augsburger lieben ihren Fluss − nicht nur, weil er die jahrhundertealten Kanäle mit Wasser flutet. Der Lech beglückt auch mit seinem wildromantischen Naherholungsgebiet direkt vor den Toren der Stadt. Fotos: Resch

Von Michaela Resch

Auch wenn hier alles fließt − Augsburg lässt sich bestens trockenen Fußes erkunden. Und so ganz nebenbei ist das Weltkulturerbe „Wassermanagement“ gar nicht mehr so theoretisch.

Frau Mahlzahn muss ausgebrochen sein. Anders lässt sich dieses Geräusch aus den Tiefen des historischen Wasserwerks nicht erklären: Die gestrenge Drachendame hat sich vermutlich aus der „Augsburger Puppenkiste“ davongestohlen, um ihren Widersachern Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer, zu entwischen. Es faucht, zischt, schnauft tierisch. Roland Leuthe lässt sich nichts anmerken: Unerschrocken nähert er sich dem strahlend weißen, spätklassizistischen Gebäude. Und sobald er die schweren Holztüren öffnet, löst sich auch die Vision von Frau Mahlzahn in Luft auf. Riesige Stirnräder in Schwarz arbeiten geräuschvoll in einer Industriekulisse, wie sie typischer nicht sein könnte: Schon 1879 wurde aus diesem Werk Trinkwasser in die zunehmend angesagte Stadt am Lech geschickt, die ihren steigenden Bedarf ja irgendwie stillen musste. „Erst wurden Holzrohre verlegt, dann im Laufe der Zeit durch gusseiserne ersetzt“, betont Leuthe, der sich mit der einst revolutionären Technik bestens auskennt. Heute produziert das museale Ensemble immerhin 2,1 Millionen Kilowattstunden emissionsfreien Strom pro Jahr.

Augsburg kann mit Venedig konkurrieren

Das Zusammenspiel von Energie und Wasser hat den Augsburgern von jeher einen Zustrom an Handwerkern und Kaufleuten beschert, und garantiert ihnen seit drei Jahren noch mehr Zulauf, dieses Mal von touristischer Seite. Denn 2019 kam die Stadt buchstäblich unter den Hammer: In Aserbaidschan wurde das „Wassermanagement-System“, das seit 2000 Jahren Geschichte schreibt, zum Weltkulturerbe „geschlagen“. Dieser „Titel ohne Mittel“, wie Stadtführerin Elisabeth Retsch süffisant anmerkt, gründet sich auf rekordverdächtigen Zahlen: Über eine Distanz von 199 Kilometern erstrecken sich die Wasserläufe in der City, die wahrscheinlich ältesten Wassertürme Mitteleuropas von 1463 und 1470 können noch immer besichtigt werden, über 40 Wasserkraftwerke wären theoretisch in der Lage, alle Haushalte der Stadt mit Strom zu versorgen, und sogar die Konkurrenz mit den Venezianern müssten die 300000 Einwohner nicht scheuen, jedenfalls nicht, was die Zahl ihrer Brücken anbelangt. Mehr als 530 eiserne, hölzerne, steinerne Exemplare geleiten über gluckernde, sprudelnde, rauschende Bäche, Kanäle und Flüsse. Da lässt sich Meile machen, wollen die malerisch gelegenen Ufer an sonnigen Herbsttagen abgeschritten werden − auch um dem Schatz des Weltkulturerbes mit seinen 22 Einzelobjekten sinnesreich näherzukommen.

Sebastian Jurka freilich kennt jeden wasserläufigen Zentimeter. Er ist der Nachfolger der alten Brunnenmeister, wacht mit zwei Kollegen Tag und Nacht über elf Einlaufschleusen und die imposanten Bauwerke drumherum. Sein Arbeitsplatz ist überall dort, wo es fließt oder − schlimmstenfalls − nicht mehr fließt. Dabei hat er als Bub auch dazu beigetragen, dass viel natürliches Material flussabwärts trieb: „Wir merken das, wenn Ferien sind und die Kinder Dämme bauen“, sagt Jurka und lächelt. „Da kommen dann lauter kleine Stecken daher.“

Am Hochablass, der seinen Namen wohl deshalb hat, weil er hochwichtig ist, donnern dennoch imposant Wassermassen in die Tiefe. Betonschwer und stahlfest steht das Ausleitungsbauwerk an der Stelle, an der sich der Lech verjüngt und drängend Richtung Donau drückt. 36000 Liter pro Sekunde werden in den Stadtbach geleitet. Und auch die Olympiastrecke des Eiskanals, 1972 erbaut, flutet Flusswasser, damit sich Bayerisch-Schwaben weiterhin mit Medaillengewinnern schmücken kann. Zwei Vereine kümmern sich um den Nachwuchs der Kanuten. Erfolgreich, wie sich an bereits gewonnenem Gold, Silber und Bronze ermessen lässt.

Dabei kann sich nicht nur die glänzende Vergangenheit mit den ausgezeichneten Sportlern, brillanten Ingenieuren, geldigen Kaufleuten, berühmten Dichtern, und herausragenden Künstlern sehen lassen, denen die Besucher in der Stadt auf Schritt und Tritt begegnen. Hans Holbein der Ältere hatte seine Wiege in Augsburg stehen, Bertolt Brecht wurde hier geboren, die reichen Fugger überzeugten mit sozialen Errungenschaften, und, und, und. Doch gelingt diesen sympathisch schwäbisch schwätzenden Bayern der Spagat bis in die Gegenwart augenfällig gut.

Da kommt dann auch ein Michelin nicht umhin, einige Sterne zu platzieren. Das „Sartory“ im Hotel „Maximilian’s“ beispielsweise darf sich damit schmücken. Und auch Stefan Fuß hat einen − in Grün. Das bedeutet nachhaltige Kochkunst, das zeigt Verbundenheit mit der Natur, mit der Region. Dabei hätte der 38-Jährige auch in einem dieser Gourmettempel irgendwo auf der Welt arbeiten können. Vor zehn Jahren ist er auf den ehemaligen Bauernhof seiner Eltern in Bayerisch-Schwaben zurückgekehrt und hat im „Goldenen Stern“ im kleinen Rohrbach sein Ding gemacht. „Wir sind ein Stück weit Dorfgasthaus geblieben, aber abends wird doppelt eingedeckt“, sagt Stefan Fuß. „Das leben wir, das läuft alles zusammen, ohne dass es beliebig wird.“ Gekocht wird aufwendig. Jedes Gericht hat seine eigene Soße. Und die Produkte haben ein Gesicht: Das Lamm stammt vom Gutshof Polting der Familie Riederer. Die glücklichen Hühner der Familie Treffler legen ihre Eier in Rinnenthal, wo auch Familie Habersetzer ihre Nudeln produziert. Und der Schwiegervater − er geht jagen. „Das sind die Menschen, die sich täglich für uns hinstellen“, sagt Stefan Fuß und zeigt auf die Bildergalerie, die jeden Erzeuger ins Licht rückt, „erst dann hat man Nachhaltigkeit.“ Eine Nachhaltigkeit, die der Familienvater während seiner Wanderjahre vermisst hat. Dass er es gemeinsam mit seiner Frau und den Eltern in dieser ländlichen Idylle geschafft hat, ein Dorfwirtshaus zu erhalten und gleichzeitig aufzuwerten, das honorieren seine Gäste. Die nächsten fünf Monate ist er abends ausgebucht. Mittags kann man auch kurzfristig Glück haben.


Redakteurin Michaela Resch reiste auf Einladung des Tourismusverbands Allgäu/ Bayerisch-Schwaben und hat bereits zahlreiche neue Ziele dieser Region im Fokus.


Die 300000. Einwohnerin Augsburgs heißt Melba und kam 2019 zur Welt. Der stete Zuwachs an Einwohnern hat in der Fuggerstadt schon in der Vergangenheit bahnbrechende Ingenieursleistungen hervorgebracht. Seit drei Jahren darf sich Augsburg deshalb mit einem weiteren Titel schmücken: Weltkulturerbe in Sachen Wassermanagement. Überall fließen Bäche und Kanäle durch die sehr grüne City. Und das 2160 Hektar große Naturschutzgebiet „Stadtwald“ ist eine Oase der Erholung. Die 120 Biber, die sich hier herumtreiben, sehen das wohl ebenso. 21 hörenswerte „Lauschtouren“, über eine App schon vorab herunterzuladen, führen durch Augsburg und zu interessanten Orten in Bayerisch-Schwaben.

ANREISEN

Mit der Bahn von München aus in einer halben Stunde.

ÜBERNACHTEN
Das Fünf-Sterne-Hotel Maximilian’s hat den Namen „Drei Mohren Hotel“ abgelegt. Die lange Geschichte ist aber nach wie vor präsent: Alte Gemälde, in jedem Zimmer ein anderes, und feudale Möbel setzen Akzenten in der modernen Einrichtung.

www.wassersystem-augsburg.de

www.hotelmaximilians.com

www.bayerisch-schwaben.de

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