Filmfestspiele Cannes

Das Glück im Einfachen: „Perfect Days“ von Wim Winders im Wettbewerb

26.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:22 Uhr
Doris Groß

Stammgast beim Filmfestival in Cannes: Der deutsche Regisseur Wim Wenders genießt seinen Auftritt am roten Teppich. −F.: Valery Hache, AFP, dpa

Kurz vor Schluss also noch die Königsdisziplin! Erst ein paar Tage ist es her, da sorgte Wim Wenders in Cannes mit seinem 3D-Künstlerporträt „Anselm“ schon für einige Begeisterung. Nun lief er auf den Festspielen für die Premiere eines zweiten, neuen Films noch einmal über den roten Teppich – und anders als „Anselm“ konkurriert „Perfect Days“ damit um die Goldene Palme. Mit großem Abstand auf dem Festival gezeigt, bewegen sich die beiden Werke auch an unterschiedlichen Enden des künstlerischen Spektrums im Schaffen des Regisseurs, der mit 77 Jahren noch mit ungebrochener Neugier auf die Welt und das Sein schaut.

„Perfect Days“ stellt dabei einen Mann ins Zentrum, der alleinstehend ein einfaches Leben führt: Hirayama verdient sein Geld damit, Toiletten zu reinigen, in Tokio, wo die öffentlichen Toiletten eh immer blitzeblank sind und mitunter aussehen wie Kunstinstallationen. „Ich wurde nach Tokio eingeladen, um mir diese Toiletten anzusehen und vielleicht Inspiration darin zu finden“, sagte Wenders in Cannes. „Die Stadt erwachte zu der Zeit nach der Pandemie gerade wieder zum Leben – und das wollte ich festhalten.“

Der Film, der mit dem wunderbaren Koji Yakusho in der Hauptrolle daraus entstanden ist, folgt dem wortkargen Hirayama in einem sehr entschleunigten Erzählfluss durch den Alltag in der endlos zugebauten Megametropole: zu unterschiedlichsten Reinigungsstopps, zu Routinen im Onsen-Bad und in Restaurants, zu einer Reihe von Begegnungen. Immer wieder wird das untermalt von Hirayamas Lieblingssongs, die auch Wenders Lieblingssongs sind. Von Velvet Underground etwa. Oder Lou Reed.

„Perfect Days“, den Wenders in nur zwei Wochen mit Takuma Takasaki geschrieben und in schnellen drei Wochen gedreht hat, bewegt sich so durch die Alltagsschleifen dieses Mannes, der in seiner eigenen, analogen Zeit lebt. Mit kleinen, menschlichen Episoden öffnet er dabei nicht nur den Blick für das Glück im Einfachen und den Wert der kleinen Dinge des Lebens. Der Film ist auch eine Liebeserklärung an diesen ausufernden Großstadtkosmos Tokio, die ganz normale Seite der Metropole allerdings, fernab der Neonschluchten und grellen Obskuritäten. „Es ist ein spiritueller Film für mich“, erklärte Wenders.

Die Goldene Palme, die am Samstag, 27. Mai, vergeben wird, wird er mit „Perfect Days“ wohl eher nicht gewinnen – aber das hat er ja ohnehin schon mal vor fast 40 Jahren mit seinem Roadmovie „Paris, Texas“.

Sascha Rettig



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