Ab 25. Mai im Kino

Meerjungfrau gegen Rassismus: Arielle ist schwarz und wunderbar

Am Donnerstag kommt die Neuverfilmung von Disneys „Arielle“ ins Kino – Die Nixe ist erstmals schwarz

23.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:43 Uhr

Der Beginn einer großen Liebesgeschichte: Nach einem Schiffsunglück rettet Arielle (Halle Bailey) Prinz Eric (Jonah Hauer-King) das Leben. −Fotos: Disney

Über die Hautfarbe von Meerjungfrauen gibt es bisher keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das aber hat den Shitstorm nicht aufgehalten, der sich zusammenbraute, als Disney 2022 den ersten Teaser zu „Arielle, die Meerjungfrau“ veröffentlichte.



Darin war die afroamerikanische Schauspielerin Halle Bailey in der ikonischen Rolle der Nixe zu sehen. Mehr als drei Millionen „Dislikes“ sammelte das 1 Minute und 24 Sekunden lange Youtube-Video. In den sozialen Medien liefen die Hass-Kommentatoren Sturm dagegen, dass Arielle im neuen Film dunkle Hautfarbe hat.



Mittlerweile nutzen rechte Propagandisten dies gezielt für sich aus, um in den Kulturkampf gegen Hollywood zu ziehen, wo man sich seit einigen Jahren um mehr Diversität vor und hinter der Kamera bemüht. Das gleiche Schicksal mit identischen Argumentationsmustern ereilte auch die Amazon-Serie „Herr der Ringe – Ringe der Macht“, die den Tolkien-Klassiker mit einem multikulturellen Ensemble besetzte.

In diesen Schlammschlachten um Meerjungfrauen und Mittelerdebewohner zeigt sich der unverhohlene Rassismus solcher Kampagnen. Aber es gab auch Gegenstimmen wie die Sammlung der herzzerreißenden Videoschnipsel, in denen afroamerikanische Eltern die überraschten und enthusiastischen Reaktionen ihrer Kinder auf die „schwarze Arielle“ festgehalten haben. Wenn der Film nun in dieser Woche weltweit startet, wird an den Kinokassen somit auch über ein vermeintliches Politikum abgestimmt. Dabei ist dieser „Arielle, die Meerjungfrau“ in erster Linie großes, harmloses Unterhaltungskino.

Literarische Vorlage bekam Happy End



Als Disney 1989 das Zeichentrick-Original ins Kino brachte, wurde die literarische Vorlage Hans Christian Andersens von ihrem melancholischen Grundton und tragischen Verlauf bereinigt und mit einem fetten Happy End versehen. Die neue fotorealistische Verfilmung der Märchengeschichte um die junge Nixe, die sich in einen Menschen-Prinzen vom Festland verliebt, hält sich nahezu eins zu eins an die Zeichentrickvorlage.

Dieses „Werktreueverfahren“ hat Disney auch schon bei den Remakes von „Der König der Löwen“ (2019), „Aladdin“ (2019) und „Mulan“(2020) angewendet. Dem wenig innovativen Drehbuch-Konzept steht hier jedoch eine geradezu rauschhafte visuelle Umsetzung gegenüber, mit der Regisseur Rob Marshall die Unterwasserwelt der Meeresbewohner in Szene setzt und fluide mit karibischen Küstenlandschaften verbindet. Klar, mit den superlativen Aqua-Vision von James Camerons „Avatar: The Way of Water“ kann diese „Arielle“ nicht mithalten. Aber man sieht hier deutlich auf der Leinwand, dass Marshall von den konzerneigenen Erfahrungen mit „Findet Nemo“ und „Piraten der Karibik“ profitiert hat.

Die Hauptdarstellerin ist absolut überzeugend

Die knallbunte Meeresfauna und -flora wird hier sehr effizient mit den düsteren Schiffswrack-Räumen und dem Wohnsitz von Bösewichtin Ursula (in ihrem Element: Melissa McCarthy) kontrastiert. An Land verschmilzt Marshall karibische Einflüsse zu einer eigenen Traumwelt, in die sich die multikulturelle Besetzung organisch einfügt. Auch unter Wasser wird der familiäre Genpool von Meereskönig Triton (Javier Bardem) mit Töchtern verschiedenster Couleur kräftig aufgemischt, was sich in die Diversität der maritim Fantasy-Umgebung bestens einpasst.

Dies gilt auch für Hauptdarstellerin Halle Bailey, die sich absolut überzeugend in die Titelrolle eingroovt und statt der unter Wasser ohnehin recht unpraktischen Föhnfrisur der Original-Arielle rote Rastazöpfe trägt. Wenn sie voller Verve in „Wish I Could Be Part of That World“ von der Sehnsucht nach Dazugehörigkeit zur Menschenwelt singt, bekommt der Song durch die Hautfarbe seiner Interpretin eine zusätzliche Bedeutungsebene.

Ähnliches lässt sich von der Grundsubstanz der Geschichte sagen, die von der Aussöhnung scheinbar unvereinbarer Welten erzählt. Aber damit ist dann auch schon Schluss mit den gegenwartspolitischen Analogien. Als gelernter Musical-Regisseur vertraut Marshall („Chicago“) vor allem auf die Mischung aus kraftvoller Musik, wohldosiertem Kitsch und aufwendigen Choreografien. Gerade in den Zwischensongs, wenn Krabbe Sebastian die Vorzüge der Unterwasserwelt anpreist, Arielle durch einen karibischen Markt fegt oder die Möwe Scuttle in einem kongenialen Hip-Hop-Song den Hochzeitstratsch bei Hofe zusammenrappt, entfaltet sich die ansteckende Lebensenergie des Films.

Ob sich das Publikum über alle Kulturkämpfe hinweg davon infizieren lässt, wird sich bald zeigen.

Martin Schwickert


•USA 2023, von Rob Marshall, mit Halle Bailey, Javier Bardem, Melissa McCarthy, 135 Minuten, frei ab 6 Jahren

•Den Trailer zum neuen Disney-Film sehen Sie im digitalen Feuilleton auf pnp.de/kultur

URL: https://www.pnp.de/nachrichten/kultur/meerjungfrau-gegen-rassismus-arielle-ist-schwarz-und-wunderbar-11247584
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