Söder droht mit Klage

Einzug in den Bundestag wackelt: CSU wehrt sich gegen Wahlrechtsreform

13.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:02 Uhr

Gegen die geplante Wahlrechtsreform hat Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder vehementen Widerstand angekündigt. −Foto: Peter Kneffel/dpa

Man muss kein Hellseher sein: Auch der nun vorliegende Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform wird die seit Jahren hitzig geführte Debatte nicht beenden. Zwar erklärt auch die Union, sie wolle eine Verkleinerung des XXL-Bundestags - aber bitte nicht so.



Der jahrelange Streit über eine Wahlrechtsänderung zur Verkleinerung des Bundestags wird auch nach der Verabschiedung der nun von der Ampel-Koalition vorgelegten Reform anhalten. Das zeichnete sich schon vor der für Freitag geplanten Abstimmung über das Vorhaben im Bundestag ab. SPD, Grüne und FDP luden die Union am Montag erneut ein, die Reform mitzutragen, damit das Wahlrecht auf einer breiten politischen Basis steht. Die Empörung der CDU und vor allem der CSU ist jedoch groß. „Bis zur letzten Sekunde“ werde die CSU dagegen vorgehen, sagte deren Vorsitzender Markus Söder in München nach einer Sitzung des Parteivorstands.

Die Ausgangslage



Bei der Wahl 2021 wuchs der Bundestag auf 736 Abgeordnete an. Damit ist er so groß wie nie zuvor und eines der größten Parlamente weltweit. Der Grund ist das Wahlsystem mit seinen zwei Stimmen. Mit der ersten wird in jedem der 299 Wahlkreise eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter direkt gewählt. Die Zweitstimme aber ist ausschlaggebend dafür, wie viele Sitze eine Partei im Bundestag bekommt. Gewinnt sie mehr Direktmandate als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, darf sie diese behalten. Für diese sogenannten Überhangmandate bekommen die anderen Parteien wiederum Ausgleichsmandate.

Die Reform



Der Gesetzentwurf der Ampel sieht vor, die Sollgröße des Bundestags von derzeit 598 Abgeordneten leicht auf 630 zu erhöhen. Erreicht werden soll dies, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet wird. Es bleibt bei den bestehenden 299 Wahlkreisen. Ausschlaggebend für die Sitzverteilung sollen allein die Zweitstimmen sein. Künftig kann es nach diesem Modell passieren, dass Kandidaten, die ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben, das Mandat nicht bekommen werden - und zwar dann, wenn nach dem Zweitstimmenergebnis ihrer Partei weniger Sitze zustehen als sie Direktmandate geholt hat.

Leer ausgehen soll künftig auch jede Partei, die nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Denn die sogenannte Grundmandatsklausel soll gestrichen werden. Nach ihr zieht eine Partei auch dann in den Bundestag ein, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen, aber mindestens drei Direktmandate geholt hat. Davon hat mehrfach die Linke profitiert - zuletzt 2021, als sie bei der Bundestagswahl nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen bekam.

Die Kritiker



Am schärfsten fällt die Kritik bei der Partei aus, die vom bisherigen Wahlrecht am meisten profitiert hat: die CSU in Bayern. Traditionell gewinnt die bayerische Regionalpartei fast alle der möglichen Direktmandate im Freistaat. Auf Bundesebene erreicht die CSU allerdings nur einstellige Prozentanteile, da sie außerhalb Bayerns im Rest der Bundesrepublik nicht auf dem Stimmzettel steht. Würde allein das bundesweite Zweitstimmen-Ergebnis für die Bemessung der Zahl der Mandate herangezogen, würde nicht nur einigen CSU-Parlamentariern der Weg ins Parlament versperrt: Hätte 2021 schon das angekündigte neue Wahlrecht gegolten, dann wäre die CSU bei einem Zweitstimmenanteil von 5,2 Prozent nur haarscharf am Verfehlen der 5-Prozent-Klausel vorbeigeschrammt. Die Linke hätte den Einzug in den Bundestag mit 4,9 Prozent ganz verpasst.

Notfalls werde es eine Verfassungsbeschwerde geben, kündigte Söder an. „Die Abgeordneten werden nicht mehr gewählt, sie werden zugeteilt.“ Es müsse aber das Motto gelten: „Demokraten vor Bürokraten!“. Auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja kritisierte, durch die Reformpläne werde die Union überproportional Mandate verlieren, da sie in der Vergangenheit die meisten Wahlkreise gewonnen habe. Er sprach von einem „Wahlrecht deutlich zulasten der Wahlkreisgewinner“. Nach dem Bundestagsbeschluss werde man sich die genauen Änderungen am Wahlgesetz anschauen. Danach werde die Unionsfraktion über ein Normenkontrollverfahren in Karlsruhe entscheiden.

Mit einer Verfassungsklage rechnet auch die Linken-Vorsitzende Janine Wissler. Die geplante Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel werde mit Sicherheit zu einem Gang nach Karlsruhe führen, sagte sie in Berlin. Ihre Fraktion habe die Pläne allerdings noch nicht beraten und folglich auch noch nicht über eine eigene Klage entschieden. Auch der Ansatz, dass nicht in allen Wahlkreisen eine Mehrheit zum Gewinn eines Direktmandats führen soll, sei hoch problematisch.

Die Urheber



SPD, Grüne und FDP betonen hingegen, dass nicht eine Partei besonders bevorzugt und eine andere besonders benachteiligt werde. „Es sind alle Parteien gleichermaßen betroffen, wie das eben bei einer gut funktionierenden und auch demokratisch legitimierten Verkleinerung des Parlaments der Fall sein sollte“, sagte der FDP-Obmann in der Wahlrechtskommission des Bundestags, Konstantin Kuhle.

Sein SPD-Kollege Sebastian Hartmann betonte, es handle sich um „ein einfaches, ein faires und ein transparentes Wahlrecht“, das verfassungskonform sei. Katja Mast, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, erklärte: „Ich lade alle reformbereiten Abgeordneten in der CDU ein, sich unserem Vorschlag in dieser Woche anzuschließen.“ Hinter vorgehaltener Hand hätten ihr auch CDU-Kollegen Sympathien für das Modell der Ampel signalisiert.

Demonstrativ gelassen reagierten die Ampel-Vertreter am Montag auf eine mögliche Klage in Karlsruhe. „Wer das Gericht anrufen mag, wie das manche schon ankündigen, kann das gerne tun, hat auch ausreichend Zeit dafür vor der nächsten Bundestagswahl“, sagte Till Steffen, der Obmann der Grünen in der Wahlrechtskommission.

− dpa/cav/lha

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