Organisierter Finanzbetrug

Sie erbeuteten Millionen im Internet - und sollen in Regensburg vor Gericht

17.02.2023 | Stand 17.09.2023, 2:50 Uhr

Organisierte Kriminelle bauen die Plattformen echter Anbieter oft täuschend echt nach – investiert wird kein Cent; die Anleger verlieren nicht selten ein Vermögen. Nun kommt ein aktueller Fall mit mehr als 75 Millionen Euro Schaden vor das Landgericht in Regensburg. −Symbolbild: dpa

Eine organisierte Bande soll Anleger über Fake-Plattformen abgezockt haben. Am Regensburger Landgericht ist ein Mammut-Prozess gegen drei mutmaßliche Betrüger geplant. Es gibt viele Betroffene in der Oberpfalz, in Niederbayern und Oberbayern – und eine gigantische Dunkelziffer.



Regensburger Ermittlern ist ein beispielloser Schlag gegen weltweit agierende Cyber-Kriminelle gelungen. Es geht um professionell organisierten Finanzbetrug im Internet und einen Schaden von mindestens 76,5 Millionen Euro durch sogenanntes Cybertrading. Drei Männer im Alter von 34, 34 und 62 Jahren müssen sich voraussichtlich ab April vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts in Regensburg verantworten. Sie sollen die führenden Köpfe einer Bande sein, die seit 2015 vor allem von Israel und Georgien mit Fake-Plattformen wie „Getfinancial“ oder „ProfitTrade“ tausende Anleger abgezockt haben.

„Die Ermittlungen gegen die GetFinancial-Gruppe gehören sicher zu den aufwändigsten im Bereich Cybertrading“, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Goger von der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB). Seit 2018 sei mit erheblichen Kapazitäten an dem Fall gearbeitet worden; unter Federführung der Kriminalpolizeiinspektion mit Zentralaufgaben (KPI-Z) Oberpfalz. Allein der Schaden von mehr als 76,5 Millionen Euro zeige, dass dieser Aufwand „mehr als gerechtfertigt ist“. Vor allem sei es gelungen, auch die mutmaßlichen Bosse zu identifizieren, festzunehmen und nun in Deutschland anzuklagen.

Auch in der Oberpfalz gab es mehr als ein Opfer: Anlagebetrug: 450.000 Euro sind futsch

Die drei Angeklagten sollen 2015 in das lukrative Geschäft mit betrügerischen Anlageplattformen eingestiegen sein. Damals gründeten sie laut Anklage ihr erstes Callcenter in Israel. Weitere Büros betrieb die Gruppe in Georgien, in der Republik Moldau und in Armenien. Das teilte die laut Bamberger Generalstaatsanwaltschaft mit. Von hier aus wurden demnach gutgläubige Anleger dazu gebracht, teils hohe Geldsummen zu investieren. Dafür spielten die Betrüger ihren Opfern wohl vor, mit deren Geld auf internationalen Finanzmärkten zu spekulieren – tatsächlich wurde aber nie auch nur ein Cent in Aktien oder Kryptowährungen investiert.

Cyberkrimielle bauen Webseiten täuschend echt nach



Beim Cybertrading setzen die Täter auf eine perfide Strategie: Sie gaukeln den Anlegern die Investitionen, Kursentwicklungen und Gewinne mit professionell wirkenden Internetseiten vor. Diese vermeintlichen Kundenkonten sind jedoch reine Täuschung, technisch aber nahezu perfekt umgesetzt. Sie ähneln den Plattformen etablierter und legaler Anbieter teils haargenau. Teil der am 2. November erhobenen Anklage sind unter anderem die Fake-Plattformen Getfinancial, ProfitTrade, MyCoinBanking, ProCapitalMarkets, TradeSolid und SolidCFD, CoinsBanking, GainFinTech und AccepTrade.

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Ausgangspunkt der internationalen Ermittlungen im aktuellen Komplex war Weiden. Hier stammt einer von zwei Oberpfälzern her, die über GetFinancial betrogen worden waren. Im Oktober 2018 hatte der Mann das bei der Polizei angezeigt. In Niederbayern sollen es etwa 15 Betroffene sein, in Oberbayern rund 35, heißt es aus Ermittlerkreisen. Für die Täter ist das Phänomen Cybertrading längst ein Milliarden-Geschäft. Allein in Deutschland brachten die weltweit agierenden Banden in den letzten Jahren zehntausende Anleger um ihr Geld. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein: Nicht wenige Opfer glauben laut Ermittlern irrtümlich, dass ihr Geld wegen des hohen Verlustrisikos verloren sei. Dass sie tatsächlich aber auf Cyberkriminelle hereingefallen sind, wäre ihnen oft nicht klar.

Ermittlungen liefen jahrelang in der Oberpfalz zusammen



Durch umfangreiche Ermittlungen der KPI-Z Oberpfalz konnten insgesamt acht Männer und drei Frauen identifiziert und lokalisiert werden. Im Oktober 2021 folgten bei einer Razzia Day zeitgleich die Zugriffe im georgischen Tiflis sowie im Großraum Tel Aviv (Israel). Neben den Behörden der jeweiligen Länder waren auch Staatsanwälte der ZCB sowie 18 Polizeibeamte aus vielen Teilen Bayerns im Einsatz. Bei den Durchsuchungen von 15 Objekten, darunter ein noch aktives Callcenter in Georgien, stellten die Ermittler umfangreiches Beweismaterial sicher. Sie fanden außerdem zwei vollständige vorbereitete Fake-Plattformen, die noch nicht online gegangen waren.

Landgericht in Regensburg sondiert derzeit die Termine



Im anstehenden Prozess in Regensburg müssen sich die drei Angeklagten für gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor der Großen Wirtschaftskammer verantworten. „Die Anklage liegt vor“, bestätigte Landgerichtssprecher Thomas Polnik. Derzeit würden Terminmöglichkeiten zwischen 3. April und 11. Mai sondiert. Den Vorsitz im Verfahren habe Richter Marcus Lang. In einem weiteren Verfahren hat die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg den mutmaßlichen Marketing-Boss angeklagt. Der 44-Jährige soll von Kiew und Tiflis aus die Werbung für die Betrugsplattformen gesteuert haben. Er wurde vor einem Jahr in Polen gefasst.

Auch die mutmaßliche Chef-Entwicklerin der täuschend echt wirkenden Fake-Seiten war Monate nach dem Action Day vom Oktober 2021 in Georgien festgenommen worden. Die 30-Jährige wird sich bald vor Gericht verantworten müssen. Gegen weitere Mitglieder der mutmaßlichen Millionen-Betrüger laufen laut Oberstaatsanwalt Thomas Goger die Ermittlungen weiter. Der Komplex ist nur einer von mehreren Verfahren, die liefen und laufen.

Was ist die Zentralstelle Cybercrime Bayern?



Gründung: Die 2015 gegründete Zentralstelle Cybercrime Bayern mit Sitz in Bamberg bearbeitet zentral alle herausgehobenen Verfahren von Cyberkriminalität im gesamten Freistaat.

Aufgabe: Die Bekämpfung von Kinderpornografie und Missbrauch von Kindern im Internet gehört auch zu den Kernaufgaben der 22 Staatsanwälten und vier IT-Forensikern bei der ZCB.

URL: https://www.pnp.de/nachrichten/bayern/sie-erbeuteten-im-internet-millionen-und-sollen-in-regensburg-vor-gericht-10562197
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