Saubere nahezu unerschöpfliche Energie - das ist die Verheißung der Kernfusion. Kritiker sind skeptisch. In Greifswald sollen weitere Grundlagen geschaffen werden. Ein „Raketenstart“ steht bevor.
Sechs Monate hat allein das Wiederhochfahren der Anlage gedauert - nun sollen ab Dienstag neue Versuche mit dem Greifswalder Großexperiment „Wendelstein 7-X“ weitere Grundlagen für die Energieerzeugung mittels Kernfusion liefern. Diese könnte einmal CO2-frei Unmengen Energie liefern, ohne die Sicherheitsrisiken und Abfallproblematik der Kernspaltung - so die Hoffnung.
Auf dem Weg dahin erreichte „Wendelstein 7-X“ während der letzten Experimentierphase Anfang 2023 einen Meilenstein. Es gelang, ein Plasma - eine Art vierter, für die Kernfusion benötigter Aggregatzustand - sehr heiß und lange (acht Minuten) aufrechtzuerhalten. Nun soll es vor allem noch heißer werden. Dafür ist die Anlage technisch verbessert worden.
Kernfusion ist die Energiequelle der Sonne. In ihr verschmelzen bei großem Druck und großer Hitze Atomkerne, wodurch Unmengen Energie frei werden, die auch die Erde versorgen. Damit das Ganze auf der Erde funktioniert, braucht es Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad.
Vorbereitung wie vor einem Raketenstart
Die Vorbereitungen auf die anstehende Experimentierphase glichen denen eines „Raketenstarts“, heißt es vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, zu dem „Wendelstein 7-X“ gehört. So mussten etwa spezielle Magnete, die das Plasma halten, auf minus 270 Grad abgekühlt werden.
Aus aller Welt seien etwa 740 Experimentiervorschläge eingegangen. 200 davon wurden für die Durchführung mit der höchsten Priorität versehen. Vor Ort arbeiten etwa 100 Plasmaforscher und -forscherinnen und etwa 200 Ingenieure und Technikerinnen. Hinzu kommen während der Experimentierphase weitere 50 Plasmaforscher und -forscherinnen aus Europa, den USA und Japan.
Dauerbetrieb als Ziel
Die etwa 1000 Tonnen schwere Anlage in einer mehrstöckigen Halle im Osten Greifswalds gehört nach Aussage des Instituts zu den weltweit führenden Anlagen, wenn es um die lange Erzeugung heißen Plasmas geht. Mit dem bevorstehenden Programm wolle man sich an die Spitze setzen. Zunächst laufen die Experimente bis Dezember und dann noch einmal von Februar bis Mai. Nach einer erneuten Wartungsphase soll dann 2026 oder 2027 eine Plasmadauer von einer halben Stunde in Angriff genommen werden, was praktisch einem Dauerbetrieb entspräche und so Grundlagen für mögliche Kraftwerke schaffen soll.
Zu teuer und zu spät?
Inklusive Investitionen, Betriebs- und Personalkosten hat „Wendelstein 7-X“ bereits mehr als eine Milliarde Euro gekostet. Kritiker sagen, Kernfusion sei zu teuer und komme zu spät, wenn sie überhaupt komme. Thomas Klinger, Leiter von „Wendelstein 7-X“, wendet ein: „Der Umbau unseres Energiesystems ist eine Jahrhundertaufgabe, die nicht erledigt ist, wenn wir 2045 Treibhausgasneutralität erreichen werden“. Der Bedarf werde weiter steigen. Da sei eine zusätzliche Option wie die Kernfusion gut. „Wenn wir sie jetzt nicht erforschen, wird sie der Menschheit nicht zur Verfügung stehen, wenn sie dann eben doch gebraucht wird“.
© dpa-infocom, dpa:240907-930-225616/1
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