Von Daniel Pfeifer
Berlin. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Dinge, für die Deutschland berühmt ist. Die Autobahn zum Beispiel, angebliche Humorlosigkeit oder die deutsche Pünktlichkeit, über die sich nun wirklich streiten lässt. Eines ist aber unstrittig: Deutschland ist weltweit angesehen für sein Brot. Die Unesco ernannte die deutsche Brotkultur 2014 zum immateriellen Kulturerbe. Worte wie „Pumpernickel“ oder „Breze“ haben es in die englische Sprache geschafft. In Deutschland haben wir dem Brot eine eigene „Brotzeit“ gewidmet. Und dennoch befindet sich diese jahrhundertealte Tradition drastisch im Wandel.
Auf dem Land machen viele alte Familienbäckereien nach Generationen zu, Städte spalten sich auf in Industrie-Back-Shops und trendige Läden mit Namen wie „Zeit für Brot“ oder „Die Mehlwerkstatt“. Wie geht es weiter mit der deutschen Brotkultur?
Es ist inzwischen ein gewohntes Bild, dass lange Schlangen von Kunden vor Filialen der Edel-Bäckerei „Zeit für Brot“ bis auf die Straße hinausführen. In Berlin gibt es diese hippe Kette häufiger, in Heidelberg ist sie auch vertreten und bald sogar in Tel Aviv. Im Inneren warten duftendes Brot, minimalistisch-moderne Einrichtung und junges Verkaufspersonal. Hinter einer Glasscheibe kann man Bäcker beim Teig-Kneten beobachten. Auf Instagram werden die Backwaren virtuell als edler, aber natürlich bodenständiger Lifestyle verkauft. Kurioserweise ist der Traditionsbäcker zwei Straßen weiter nur mäßig besucht. Brot ist also auch eine Frage des Marketings.
Konzentrationsprozess im Bäckerhandwerk
„Zeit für Brot“ markiert das obere Ende der immer größer werdenden Schere in der deutschen Brotwirtschaft. Am anderen Ende warten abgepacktes Industriebrot und Ketten-Aufbackshops. „Das Deutsche Bäckerhandwerk unterliegt schon seit den 50er Jahren einem Konzentrationsprozess“, sagte Friedemann Berg, der stellvertretende Chef des Deutschen Bäckerhandwerks, der Mediengruppe Bayern. Kleine Familienbetriebe wurden seit den 1950ern weniger, daraus entstanden wenige Ketten mit zentraler Produktionsstätte. „Nur so können sie im Wettbewerb mit Supermärkten und Tankstellen bestehen“, sagte Berg.
Das Ergebnis: Die Zahl der Bäckereibetriebe sank von 55000 auf inzwischen noch 9607, die rund 46000 Verkaufsstellen beliefern. Inzwischen jedoch hat sich die Lage stabilisiert. Auch wenn Inflation und Nachwuchsmangel die Stimmung dämpfen, gibt es doch so etwas wie Optimismus. Jährlich werden 400 Bäckereien neu gegründet. Immer mehr Supermärkte kooperieren mit Handwerksbäckern und setzen auf qualitativ hochwertige sogenannte „Vorkassenbäcker“ als Frequenzbringer, also als Lockangebote für Kunden etwa in Super- oder Baumärkten. Und weil inzwischen für die meisten Bäckereien ein Café oder Imbiss als fester Bestandteil dazugehört, stieg sogar die Zahl der Beschäftigten im Bäckerhandwerk seit den 1950ern von 240000 auf 255300 Beschäftigte. Bei den Edel-Bäckern gehören Tische und Stühle natürlich dazu.
Dass es wieder Optimismus in der Branche gibt, hängt auch an der Begeisterung junger Bäckermeisterinnen und Bäckermeister. Im fränkischen Fischbrunn rief 2017 die neue Bäckerei Bärenbrot eine „Rebellion für gutes Brot aus“. Und in Schwandorf in der Oberpfalz versuchte die Bäckerfamilie Glaab mit dem Generationenwechsel 2012 auch den Imagewechsel. Sie nannten sich um in „Erlebe Brot“, bauten ihr Geschäft in zeitgemäßem Stil um und warben auf Instagram und Tik Tok mit künstlerischen Schwarz-Weiß-Bildern von rustikaler Backware und lächelndem, jungen Personal.
„Wir haben uns genau wie andere kleinere Bäckereien Gedanken um die Zukunft gemacht“, erzählt Daniel Glaab. „Wir dachten uns: Bäckerei Glaab ist nicht wirklich catchy. Wir haben also aus unserer kleinen Bäckerei einen Lifestyle gemacht.“ Inzwischen haben sie weitere Geschäfte eröffnet, beschäftigen 50 Mitarbeiter. Viele davon kamen über Social-Media-Werbung und sind dementsprechend oft branchenuntypisch jung, viele erst um die 30 Jahre alt. Viele andere klassische Bäckereien hadern hingegen damit, Nachwuchs zu finden. Auf Treffen der Innungen ist meist die scheiternde Nachfolger-Suche das Thema Nummer Eins. Auch das ist ein Grund, warum die Bäckereilandschaft so im Umbruch ist. Und warum unkonventionelle Geschäftsideen boomen. „Ich fürchte, die Schere wird definitiv weiter aufgehen“, sagt auch Daniela Glaab. Auch in den Hipster-Bäckereien muss das Brot schließlich schon am frühen Morgen in den Ofen. Der Konkurrenzkampf um das Personal entscheidet sich also über den klingenden Namen.
Inwiefern die deutsche Politik eingreifen kann, um die deutsche Brotkultur zu retten oder zu schützen, ist fraglich. Es gibt jedoch einen, der sich dies zumindest auf die Fahne geschrieben hat: SPD-Chef Lars Klingbeil. Er ist seit Anfang Mai der aktuell amtierende „Brotbotschafter“ und tritt damit in die Fußstapfen seiner Vorgänger Cem Özdemir und Christian Lindner. Dieser Titel mag klingen wie eine Art Weinkönigin für Backwaren, wird aber von den Titelträgern durchaus ernst genommen.
„Deutsche Qualität und Vielfalt beispiellos“
„Der Titel ist für mich keinesfalls nur symbolisch“, sagte Klingbeil unserer Zeitung. Als Brotbotschafter stehe er besonders im Kontakt zu Handwerksbäckern und setze sich auch besonders für deren Sorgen ein. Die deutsche Brotkultur sei für ihn weltweit einzigartig, sagt er. „Ich bin als Parteivorsitzender der SPD viel im Inland und Ausland unterwegs und habe dabei schon einige Backtraditionen kennengelernt. Natürlich schmeckt mir auch mal ein Eclair in Frankreich oder Gebäck aus der Türkei, aber am Ende ist die Qualität und die enorme Vielfalt in einer deutschen Bäckerei für mich einfach beispiellos.“
Und wen nun interessiert, was ein SPD-Chef so gern an Backwaren isst – hier die Antwort: „Ein belegtes Vollkornbrötchen mit Käse für unterwegs und zu Hause ein klassisches Graubrot“. Aber eines muss er als Brotbotschafter natürlich noch extra betonen: „Ich gehe auf jeden Fall gerne selbst zum Bäcker um die Ecke, auch weil ich keine Lust habe auf das geschmackliche Einerlei der Brotindustrie.“
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