Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist das Verhältnis Belgrads zu seiner einstigen Provinz Kosovo spannungsgeladen. Präsident Vucic und Ministerpräsident Kurti kamen nun einer Einigung näher denn je.
Ohrid (dpa) Nach zwölfstündigen Marathonverhandlungen im nordmazedonischen Ohrid haben die Spitzenvertreter Serbiens und des Kosovos beträchtliche Fortschritte erzielt. «Wir haben einen Deal», erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am späten Samstagabend vor Journalisten.
«Wir haben eine Einigung darüber, wie es zu machen ist.» Borrell und der Balkan-Sondergesandte der EU, Miroslav Lajcak, hatten bei den Gesprächen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti vermittelt.
Bereits Ende Februar hatten die beiden Politiker in Brüssel einem von der EU vorgelegte Abkommen verbal zugestimmt, das die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Balkanstaaten grundlegend regeln soll. Am Samstag einigten sie sich auf den Anhang des Abkommens, der dessen konkrete Umsetzung festlegt. Vucic weigerte sich jedoch am Ende wie schon in Brüssel, die Abmachungen zu unterschreiben.
Eigenstaatlichkeit Kosovos wird zur Kenntnis genommen
Das neue Abkommen sieht vor, dass Belgrad das Kosovo zwar nicht völkerrechtlich anerkennt, aber die Eigenstaatlichkeit seiner ehemaligen Provinz zur Kenntnis nimmt. Insbesondere soll es die Reisepässe, Kfz-Kennzeichen und Zollpapiere des Kosovos anerkennen. Das Kosovo soll die Rechte der serbischen Volksgruppe im Land institutionell absichern.
Am Samstag verhandelten Vucic und Kurti über den Anhang zu dem Abkommen, das den ursprünglichen Plänen der EU-Vermittler zufolge konkrete Fristen für die Umsetzung der einzelnen Punkte hätte enthalten sollen. Das am Sonntagmorgen von der EU veröffentlichte Dokument beinhaltete jedoch kaum zeitliche Zusagen. So steht darin lediglich, dass die Seiten innerhalb von 30 Tagen einen Gemeinsamen Monitoring-Ausschuss bilden würden, der für die Überwachung des Abkommens zuständig sein wird.
Borrell räumte am Samstagabend ein, dass die Vermittler «mit einem ambitiöseren und detaillierten Vorschlag für den Anhang» in die Verhandlungen gegangen seien. «Unglücklicherweise vermochten sich die Seiten nicht auf den detaillierten Vorschlag zu einigen», sagte er. Das Kosovo hätte «Flexibilität in der Substanz» vermissen lassen, Serbien wiederum habe von Anfang an darauf bestanden, nichts unterschreiben zu wollen. Auf nähere Einzelheiten ging er nicht ein. Er und sein Team würden aber weiter daran arbeiten, «bis eine umfassende Übereinkunft erzielt» sei.
Deal ohne Unterschriften
«Ich habe heute nichts unterschrieben», erklärte Vucic in Ohrid. «Wir haben auf jeweils unterschiedliche Weise aufgezeigt, wo für uns die jeweiligen roten Linien sind.» Für den serbischen Nationalisten stellt jede Aufweichung der harten Haltung gegenüber Pristina ein politisches Risiko dar. Rechtsradikale in Serbien drohten mit «heißen» Protesten, sollte Vucic in Ohrid «kapitulieren».
Kurti ist wiederum dem Druck der kosovo-albanischen Bevölkerung und Wählerschaft ausgesetzt, die Zugeständnisse an die serbische Volksgruppe ablehnt. Artikel sieben des Abkommens sieht aber vor, dass den Serben im Kosovo «ein angemessenes Ausmaß an selbstständiger Regelung ihrer Angelegenheiten» zusteht. Pristina habe sich nun dazu verpflichtet, die Umsetzung dieses Punktes umgehend einzuleiten, sagte Borrell. Im Kosovo befürchtet man, dass zu starke Vetorechte für einen künftigen serbischen Gemeindeverband den Staat blockieren könnten.
Berlin: «Glückwunsch zu diesem Durchbruch»
Die deutsche Bundesregierung begrüßte die in Ohrid erzielte Einigung. «Glückwunsch zu diesem Durchbruch, mit dem die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo auf eine neue Grundlage gestellt werden», teilte Regierungssprecher Steffen Hebenstreit über Twitter mit. Jetzt gehe es darum, Führungsstärke zu zeigen, um das Vereinbarte einzuhalten und umzusetzen.
Das Verhältnis des jüngsten europäischen Staates zu Serbien ist seit dessen Abspaltung von Serbien infolge einer Nato-Intervention im Frühjahr 1999 ungelöst. Diplomatische Bemühungen des Westens führten in den vergangenen Jahren zu keiner wesentlichen Normalisierung der Lage. Im Vorjahr waren die Spannungen erneut eskaliert: Es gab Straßenblockaden und Zwischenfälle, bei denen geschossen wurde.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gewann die Beilegung des Kosovo-Konflikts für den Westen wieder an Bedeutung. Moskau nutzt Schwachstellen in der politischen Ordnung verschiedener Balkanstaaten für Einflussnahme aus. Belgrad ist abhängig von Russland, weil die östliche Großmacht mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat die Aufnahme des Kosovos in die Weltorganisation verhindert. Serbien trägt als einziges Land der Region die EU-Sanktionen gegen Russland nicht mit.
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