Eishockey-Weltmeisterschaft in Kanada
„Wir spielen nicht für die Galerie“: U20-Nationaltrainer Tobias Abstreiter über die WM – und die beteiligte Niederbayern-Fraktion

12.12.2024 | Stand 12.12.2024, 7:00 Uhr |
Andreas Forster

Fokussiert auf die WM: Bundestrainer Tobias Abstreiter. − Foto: DEB

Mit dem Flug nach Kanada begann mm Montag begann die Mission Klassenerhalt für die deutsche U20-Eishockey-Nationalmannschaft. Mit dabei sind mit Nico Pertuch, Timo Kose, Tobias Schwarz und Simon Seidl auch vier Eishockeyprofis aus Niederbayern. Angeführt wird die niederbayerische Fraktion vom Cheftrainer Tobias Abstreiter aus Landshut, der seinen Sohn Leon (Mittelstürmer beim Bayernligisten EV Dingolfing) als Physiotherapeut mitnimmt.

Vor dem Start des Turniers im Mutterland des Eishockeysports – das erste Spiel findet am 26. Dezember gegen die USA statt – hat sich die Mediengruppe Bayern exklusiv mit den Nationaltrainer unterhalten. Er äußert sich zur Erwartungshaltung, der kleineren Eisfläche in Nordamerika und gab einen Ausblick auf die Rollen der niederbayerischen Spieler. Ferner bedankt er sich beim EV Dingolfing.

Herr Abstreiter, wie groß ist die Anspannung und Vorfreude auf die WM?
Tobias Abstreiter: Momentan überwiegt eindeutig die Vorfreude beim gesamten Staff und sicherlich auch bei der Mannschaft. Die Weltmeisterschaft wird für uns alle ein großes Erlebnis. Das haben wir bereits bei der letzten Maßnahme in Finnland gespürt und natürlich wird die Anspannung steigen, wenn es nach dem letzten Testspiel dann ernst wird und die Weltmeisterschaft beginnt.

Herausforderung kleinere Eisflächen



Das Team absolviert noch Testspiele vor Ort, um sich perfekt zu akklimatisieren. Wie wichtig ist dies in Anbetracht der Tatsache, dass sich die meisten Spieler auf die kleinere Eisfläche einstellen müssen?
Tobias Abstreiter: Das ist selbstverständlich die Intention. Demzufolge haben wir bereits bei der letzten Maßnahme in Finnland in den drei Tests auf der kleinen Eisfläche gespielt. Uns war wichtig, dass die Jungs wissen, auf was es ankommt, denn es ist ein ganz anderes Spiel. Mit Scheibe müssen wir stabil sein und ohne Scheibe unsere Struktur beibehalten. Das sind nur zwei kleine Themen von vielen Dingen, die auf der kleinen Eisfläche ungemein wichtig sind, um Erfolg zu haben.

Spielte die kleine Eisfläche auch bei der Kaderzusammenstellung eine Rolle, denn das Spiel in Nordamerika wird schneller und weitaus intensiver sein?
Tobias Abstreiter: Ich kann nicht aus dem Reservoir an Spielern schöpfen wie eine der Top-Nationen, aber es ist sicherlich ein großer Vorteil, wenn ein Spieler bereits Erfahrung in den nordamerikanischen Juniorenligen gesammelt hat. Trotz alledem war schon immer unser Credo, dass wir die besten Spieler zur Weltmeisterschaft mitnehmen. Der Kader soll den aktuellen Leistungsstand definitiv widerspiegeln. Ich denke, dass uns dies wieder hervorragend gelungen ist.

„Faktor Adrenalin darf nicht unterschätzt werden“



Generell wird für viele Spieler diese Weltmeisterschaft ein unglaubliches Erlebnis werden. Eine WM im Mutterland des Eishockeysports erlebt man nicht oft. Wie werden Sie die Spieler auch mental darauf vorbereiten?
Tobias Abstreiter: Das ist eine gute Frage, die jedoch nur schwer zu beantworten ist (lacht). Natürlich gibt der Trainerstab eine gewisse Taktik und Struktur vor, aber ein Spiel vor einer ausverkauften Halle löst im Spieler selbst eine andere Situation aus. Der Faktor Adrenalin darf hier nicht unterschätzt werden. Wir wissen alle, dass nicht jeder Spieler gleich reagiert und deswegen stehen wir immer mit Rat und Tat dem Team zur Seite. Da gibt es dann sicherlich den einen oder anderen Tipp, wie man mit der Anspannung zurechtkommt.

Die WM ist auch ein Schaufenster für den Traum eines jeden Eishockeyspielers – eine Chance in der NHL. Wie schwer ist diese Balance zwischen Druck und Vorfreude auch für Sie als Bundestrainer zu vermitteln?
Tobias Abstreiter: Unser Motto war schon immer, dass wir nicht für die Galerie, sondern für uns, für das gesamte Team, spielen. Da ist für Egoismus kein Platz, denn letzten Endes können wir nur erfolgreich sein, wenn wir im Kollektiv funktionieren und uns gegenseitig auf und neben dem Eis helfen. Und es zählen nicht nur Tore und Assists.

Sondern auch mal ein wichtiger geblockter Schuss …
Tobias Absteiter: Absolut richtig. Die NHL-Scouts kennen sich sehr gut aus und schauen sich ein Spiel ganz genau an. Die wollen sehen, dass ein Spieler seine Aufgaben – egal ob defensiv oder offensiv – erfüllt. Und wenn wir schon beim geblockten Schuss sind. So einer kann offensiv dann wieder eine Chance kreieren. Wir wollen bei der Weltmeisterschaft mit unsere Werten, mit denen wir uns definieren, punkten. Ganz oben steht auf jeden Fall der Teamgedanke.

Knallharter Auftakt



Die Gruppengegner und der Auftakt sind knüppelhart. Erst wartet am 26. Dezember die USA, einen Tag später Finnland und am 29. Dezember das Highlight gegen die Gastgeber Kanada. Wie will der „David“ Deutschland gegen diese „Goliaths“ spielen?
Tobias Abstreiter: Bei meiner ersten Weltmeisterschaft als Nationaltrainer hatte ich die USA, Kanada, Tschechien und Russland als Gruppengegner. Ich denke, dass mich deswegen nichts mehr schocken kann (lacht). Natürlich sind die Gegner stark und wir respektieren sie, aber wir wissen, wie wir erfolgreich sein können. Es ist klar, dass wir gegen diese drei starken Gegner aktiv verteidigen müssen und unsere Chancen effizient nutzen müssen.

Das wichtigste Spiel wird das letzte Gruppenspiel gegen Lettland. Mit einem Sieg wäre der Klassenerhalt wohl in trockenen Tüchern. Liegt auf diese 60 Minuten ihr eigentlicher Fokus?
Tobias Abstreiter: Es mag zwar wie eine billige Floskel klingen, aber ich meine es auch wirklich so: Unser Ziel ist es, dass wir in jedem Spiel unsere bestmögliche Leistung abrufen wollen. Deshalb bringt es nichts, wenn wir uns nur auf Lettland fokussieren. Wir denken von Spiel zu Spiel und wollen einfach das Maximum herausholen.

Kurz zum Kader: Julius Sumpf spielte eine herausragende Saison in Moncton. Ist er einer der wichtigsten Führungsspieler?
Tobias Abstreiter: Auf jeden Fall. Seine Vielseitigkeit ist für unser Team enorm wichtig. Er kann Center und Außenstürmer spielen und gibt unserem Trainerteam viele Optionen. Ich bin mir sicher, dass Julius eine starke Weltmeisterschaft spielen wird.

Wichtige Rollen für die Niederbayern-Fraktion



Niederbayern ist nicht nur mit Ihnen als Trainer repräsentiert, sondern auch mit dem gebürtigen Deggendorfer Simon Seidl (EV Landshut) und den gebürtigen Landshutern Nico Pertuch (ERC Ingolstadt/EV Ravensburg), Timo Kose (EV Regensburg) sowie Tobias Schwarz (EV Landshut). Alle vier Junioren-Nationalspieler bekommen in der DEL2 viel Spielpraxis und drei davon sind bereits bei DEL-Clubs unter Vertrag. Welche Rolle werden sie einnehmen?
Tobias Abstreiter: Nico Pertuch wird bestimmt eine wichtige Rolle als Torhüter einnehmen. Er hat bei den letzten Maßnahmen gute Leistungen gezeigt. Generell werden die Torhüter für uns ein wichtiger Baustein für den Erfolg sein, weil eine deutsche Mannschaft immer einen Goalie in Bestleistung benötigt. Damit ermöglichen sie uns die Chance ein Spiel zu gewinnen. Simon Seidl ist noch ein jüngerer Jahrgang und spielt bereits jetzt bei einem DEL2-Club eine anständige Rolle mit Eiszeit sogar in Überzahl. Das gleiche gilt für Tobias Schwarz, der am vergangenen Wochenende seine ansteigende Form mit einem Tor sowie Assist noch einmal deutlich unterstrichen hat. Timo Kose ebenfalls sehr variabel im Sturm einsetzbar und hat sich mit guten Leistungen in den vergangenen Wochen die Nominierung verdient. Ich denke, dass wir Trainer allen vier Niederbayern eine geeignete Rolle zuteilen, damit sie den maximalen Wert für die Mannschaft entfalten können.

Der ehemalige Bundestrainer Marco Sturm forderte zu seiner Zeit mehr Spielzeit und Vertrauen zu den jungen deutschen Spielern. Ist man hier – im Vergleich zu vor zehn, zwölf Jahren – einen Schritt weitergekommen?
Tobias Abstreiter: Es ist auf jeden Fall ein Riesenpotenzial da. Wichtig ist für mich als Junioren-Nationaltrainer, dass die Spieler im Profibereich genügend Eiszeit bekommen. Und da spreche ich von mehr als zehn Minuten pro Spiel. Dann können wir mit den Top-Nationen mithalten. Alles, was darunter ist, hilft weder uns noch dem Spieler bei seiner Entwicklung.

Helfen Vorbilder wie Leon Draisaitl, Tim Stützle, JJ Peterka oder Moritz Seider dem Sport noch attraktiver für die Kinder zu sein?
Tobias Abstreiter: Das muss man ein wenig differenzierter sehen. Die genannten Spieler sind Ausnahmetalente. Sie sorgen für positive Schlagzeilen für diesen wunderbaren Sport, aber die eigentlichen Vorbilder für die Kinder sind die Spieler vor Ort. Ich sehe es es zum Beispiel, wenn in einem DEL2-Spiel ein Siebenjähriger als Puckkind einläuft und mit Begeisterung sagt, dass ein Spieler aus dem Heimatverein sein großes Vorbild ist. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Vereine auf den Nachwuchs setzen, denn er schafft Identifikation mit dem Eishockeysport.

Die letzte Frage wird ein wenig persönlich, denn Ihr Sohn Leon ist Leistungsträger beim EV Dingolfing und wird dort nun schmerzlich vermisst werden, weil er als Physiotherapeut zur WM mitreist. Wie hoch rechnen Sie dem Verein an, dass er ihm diese Chance ermöglicht und wie sehr freuen Sie sich auf ein bisschen familiäre Unterstützung während Weihnachten und Neujahr in Kanada?
Tobias Abstreiter: In dieser Frage steckt wirklich alles drin (lacht). Ich freue mich sehr, dass mein Sohn mit dabei ist und er als Physiotherapeut mit zum Gesamterfolg beitragen wird. Mit der niederbayerischen Heimat bleiben wir via Facetime natürlich täglich verbunden. Dass der EV Dingolfing ihn für diese WM freistellt, ist nicht selbstverständlich und das rechne ich dem Verein hoch an. Der gleichen Meinung ist im Übrigen auch meine Frau. Da kann man nur Danke sagen und ich bin mir sicher, dass in Kanada einige Daumen für die Isar Rats gedrückt werden.




Wer mit der U20-Nationalmannschaft und den niederbayerischen Spielern mitfiebern will, kann dies auf Magenta Sport tun. Der Sender überträgt alle Begegnungen der Nationalmannschaft in Kanada.

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